"Ihr Kinderlein kommet" Ein post-kolonialer Schauprozess

Von Astrid Meyer
Die Anklage lautet auf Kindesentführung und Urkundenfälschung, als Strafe drohen fünf bis 20 Jahre Zwangsarbeit. Im Tschad steht die Hilfsorganisation "Arche de Zoe" vor Gericht. Sie wollte Zehntausend Kinder aus Darfur rausholen - mit ungewöhnlichen Mitteln.

"Ihr Kinderlein kommet" war das Motto der französischen Hilfsorganisation "Arche de Zoe". Er habe Waisen aus Darfur vor dem Tod retten wollen, sagte Eric Breteau, Chef der Organisation, im Prozess aus, der am Freitag in N'Dschamena, der Hauptstadt des Tschad, begann. Gegen "Arche de Zoe" klagen auch Eltern der vermeintlichen Waisen, die jetzt für die Trennung von ihren Kindern entschädigt werden wollen. Die Anklage lautet auf Kindesentführung und Urkundenfälschung, als Strafe drohen fünf bis 20 Jahre Zwangsarbeit.

Der Prozess wird geführt von einem Justizapparat, der für seine Bestechlichkeit und seine Hörigkeit den Mächtigen gegenüber berüchtigt ist. Die Weihnachtsschmuckverkäufer vor dem Justizpalast von N'Dschamena finden das nicht nur gut fürs Geschäft: "Es gibt auch im Tschad Gerechtigkeit", zitiert die französische Tageszeitung "Le Monde" einen von ihnen, "die Franzosen haben unsere Kinder gestohlen, nun sollen sie büßen." Solche Gefühle auszulösen, ist mutmaßlich eines der Ziele des Prozesses.

Es geht um 103 Kinder

Die Angeklagten wurden aus Frankreich eingeflogen, aber keine Sorge: Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy persönlich hat garantiert, dass sie ihre Strafe in Frankreich verbüßen werden. Die Präsidenten wickeln das Ganze in engem Kontakt zueinander ab, der Justizminister vom Tschad persönlich saß gestern im Gericht. Der Prozess um die 103 Kinder, die Ende Oktober mit künstlich rot eingefärbten Verbänden in einem Flugzeug saßen, das nach Frankreich abheben sollte, ist ein Schauprozess. Deswegen findet er im Tschad statt: Kotau der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, um die Regierung des Tschad milde zu stimmen.

"Wenn das Kolonialismus war", gab einer der Anwälte der kleinen, dilettantisch operierenden Organisation "Arche de Zoe" kürzlich zu Protokoll, "dann war es Kolonialismus des Herzens." Man habe nur das Beste gewollt. Zehntausend Kinder rausholen aus Darfur, das war der ursprüngliche Plan. Aus den Schwierigkeiten von Popsängerin Madonna, einen kleinen Jungen aus Malawi zu adoptieren, hat man bei "Arche de Zoe" jedenfalls nicht gelernt, dass noch so viel Reichtum kein schlagendes Argument sein muss, wenn es darum geht, Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen.

Die meisten haben noch Eltern

"Die Eltern sind in ihrer Ehre gekränkt", hat die tschadische Anwältin der Gegenpartei wissen lassen. Und behauptet: Niemals hätten diese ihre Kinder Weißen anvertraut, denn man möge die als ehemalige Kolonialisten nicht. Ob das der Wahrheit entspricht, kann niemand mehr nachvollziehen. Und auch nicht, wie die Kinder zu den Helfern von "Arche de Noe" kamen, nach welchen Kriterien sie ausgewählt wurden - die Organisation hatte behauptet (und geglaubt?), es seien Waisen aus Darfur. De facto haben die meisten der 103 Kinder noch mindestens einen Elternteil.

Sie wurden in Frankreich von Familien erwartet, denen eine Adoption nicht gerade versprochen aber suggeriert wurde. Aus rosigen Lebensverhältnissen kamen sie mit Sicherheit nicht: Der Tschad ist unter den zehn ärmsten Ländern der Welt, und der Süden leidet leidete viele Jahre unter bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Es ist eine der Gegenden Afrikas, in denen sich verschiedene Bevölkerungsgruppen immer schon heftig bekriegten - um Gefangene als Sklaven verkaufen zu können.

"Ein Kind in Todesgefahr muss mit allen Mitteln gerettet werden", sagte der damalige Chef von "médecins sans frontières", der heute französischer Außenminister ist. Sein ehemaliger Kollege Rony Brauman hat ihn und andere Gerechtigkeitsritter für derartige Emotionen schürende Rhetorik kritisiert: Verhängnisvolle Aktionen wie die von "Arche de Zoe" seien die Folge. Kindern hat sie nicht geholfen. Sie befinden sich vorerst noch immer in einem provisorischen Auffanglager. Dafür poliert ein korrupter Staat, der nicht einmal über Teile seines Landes die Kontrolle hat und in dem Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind, kräftig an seinem Image.