Hunger als Kriegswaffe Russlands Getreidestopp sorgt für Hungersnot in Afrika – ein Treffen von Putin zeigt die gefährliche Abhängigkeit

Wladimir Putin (r.) trifft AU-Präsident Macky Sall zum Austausch über Getreideexporte.
Eine Hand wäscht die andere: Russlands Präsident Wladimir Putin (r.) und AU-Präsident Macky Sall im Austausch über Getreideexporte.
© Mikhail Klimentyev / AFP
Nirgendwo sind die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs deutlicher zu spüren als in Afrika. Um die Hungerkrise zu stoppen, bittet Senegals Präsident Putin persönlich, wieder Getreide zu liefern. Ein Treffen, das symbolhaft für die Abhängigkeiten in einer globalisierten Welt steht.

Für Millionen Menschen in Zentralafrika war die Lage schon vor dem 24. Februar prekär. Doch seit russische Truppen in die Ukraine einmarschiert sind, wurde ein Dominoeffekt ausgelöst, der den Weltmarkt auf den Kopf gestellt hat. Die Ukraine und Russland sind die größten Weizen-Exporteure weltweit, verantwortlich für knapp ein Drittel des globalen Bedarfs. Da Russland die ukrainischen Häfen und damit die Ausfuhr über das Schwarze Meer blockiert, sind die Weltmarktpreise für Getreide dramatisch in die Höhe geschnellt.

Was sich in Europa beim Einkaufen im Geldbeutel bemerkbar macht, bedeutet für Menschen in Afrika – aber auch in Syrien und Jemen, im Libanon und in Afghanistan – nicht zu wissen, was sie am nächsten Tag essen sollen. Knapp 1,4 Milliarden Menschen könnten laut den Vereinten Nationen infolge des Ukraine-Kriegs von Nahrungsmittelknappheit betroffen sein.

Mit dem Ziel, die sich anbahnende Hungerkatastrophe aufzuhalten, machte sich der Präsident der Afrikanischen Union (AU) und Senegals, Macky Sall, am Freitag auf den Weg nach Moskau, um den russischen Präsidenten persönlich zu bitten, wieder Getreide zu liefern. Ein Treffen, das wie kaum ein anderes die Abhängigkeiten einer globalisierten Welt verdeutlichte: Afrika braucht Nahrung – Wladimir Putin Verbündete.

AU-Präsident bei Putin: Eine Hand wäscht die andere

Dass 'eine Hand die andere wäscht' wurde besonders auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Sotchi sichtbar: "Wir reisen von hier sehr beruhigt und glücklich über unseren Austausch ab", betonte AU-Präsident Sall zunächst. Er habe den Eindruck, dass Putin – den er als seinen "lieben Freund Wladimir" bezeichnete – "engagiert" und "im Klaren darüber" sei, dass "die Krise wirtschaftlich schwachen Ländern wie denen in Afrika ernsthafte Probleme bereitet".

Doch Sall ging noch einen Schritt weiter und wiederholte öffentlich eines der Lieblingsargumente des Kreml: dass die westlichen Sanktionen gegen Russland alles noch verschlimmert hätten. Lautstark forderte er daher die Aufhebung der Ausfuhrbeschränkungen für russischen Weizen und Düngemittel – und spielte Putin damit in die diplomatischen Karten.

Denn bisher hatten westliche Staats- und Regierungschefs einzig und alleine den russischen Präsidenten als Verursacher der globalen Lebensmittelkrise beschuldigt. "Russische Truppen bombardieren ukrainische Felder, verhindern die Aussaat, plündern Lebensmittelvorräte, blockieren ukrainische Häfen und erhöhen so die Preise für Lebensmittel und Düngemittel", kritisierte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Außenministerin Annalena Baerbock wurde noch deutlicher: "Russland führt seinen brutalen Krieg nicht nur mit Panzern, Raketen und Bomben. Russland führt diesen Krieg mit einer anderen schrecklichen und leiseren Waffe: Hunger und Entbehrung."

Ukraine halbiert Getreideexporte – Tschad ruft Notstand aus

Erst letzte Woche hatte die Getreidevereinigung der Ukraine einen düsteren Ausblick gegeben: Angesichts des Angriffskriegs dürfte die Getreideernte diese Saison um 40 Prozent niedriger ausfallen. Zwar werde das Land trotz blockierter Lieferwege, besetzter Gebiete und verminter Felder in der Lage sein, einen Teil zu exportieren. Insgesamt sei laut der Vereinigung jedoch nur mit der Hälfte – zehn statt 20 Millionen Tonnen – des normalen Getreideexportes zu rechnen.

Noch kritischer beurteilt der ukrainische Präsident selbst die Lage. Die blockierte Menge des für den Export bestimmten Getreides aus der Ukraine könnte sich bis "zum Herbst" verdreifachen, warnte Wolodymyr Selenskyj am Montag in Kiew. Derzeit seien zwischen 20 und 25 Millionen Tonnen Getreide blockiert, "bis zum Herbst könnte diese Zahl auf 70 bis 75 Millionen Tonnen ansteigen", so Selenskyj.

Wie dramatisch die Folgen des Exportstopps für Afrika sind, zeigt sich bereits am Beispiel des Tschad: Das ostafrikanische Land hat nun Alarm geschlagen und den Nahrungsmittelnotstand ausgerufen. Der Vorsitzende der regierenden Militärjunta, Mahamat Idriss Déby Itno, verwies auf die "ständige Verschlechterung der Nahrungsmittel- und Ernährungslage" und warnte vor der "wachsenden Gefahr für die Bevölkerung", wenn keine humanitäre Hilfe geleistet werde.

Russlands Afrika-Beziehungen zahlen sich aus

Doch Putin wird die langjährigen Beziehungen zu vielen afrikanischen Staaten nicht unnötig aufs Spiel setzen wollen. Mit gezielten Investitionen hat sich Russland in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Akteur auf dem Kontinent entwickelt. Inzwischen gilt der Kreml nicht nur als Afrikas größter Waffenlieferant. Die Regierung in Moskau unterstützt aktiv autoritäre Regime wie in Angola, Mosambik und die Zentralafrikanische Republik (ZAR) – und stellt sich im Kampf für mehr Unabhängigkeit von den USA an deren Seite.

"Diese Freunde und Verbündeten, die Russland braucht, kann es auf dem afrikanischen Kontinent finden, also möchte es solche Beziehungen gut pflegen", erklärt Pauline Bax, Afrika-Expertin bei der International Crisis Group, im Gespräch mit der "New York Times". Und die Bemühungen zahlen sich für Putin und sein Kriegstreiben in der Ukraine bereits aus.

Russland hat es geschafft, die kritischen Stimmen zu seiner Invasion in Afrika – aber auch in Asien und Lateinamerika - fast vollständig zum Verstummen zu bringen. Im April stimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit 93 zu 24 Stimmen dafür, Russland aus dem UN-Menschenrechtsrat auszuschließen. Doch die meisten afrikanischen Nationen stimmten entweder dagegen oder enthielten sich – darunter Länder wie Senegal, das normalerweise als regionaler Friedensvermittler gilt.

Ein Hoffnungsschimmer namens Odessa

Immerhin: Nach seinem Besuch bei Putin will der Präsident der Afrikanischen Union auch in der Ukraine Gespräche führen. "Ja (...), ich werde auch nach Kiew reisen", bestätigte Sall am Wochenende vor Journalisten. Dies sei "wichtig, um zu einer Rückkehr zum Frieden beizutragen".

Und eine weitere Nachricht gibt zum Wochenbeginn Anlass für Hoffnung: Laut einem Medienbericht hat die russische Führung mit Kiew und Ankara ein Schema zur Freigabe von Getreidelieferungen aus der bisher blockierten Hafenstadt Odessa abgestimmt. "In den Hoheitsgewässern des Nachbarlands übernehmen türkische Militärs die Minenräumung und sie werden auch die Schiffe bis in neutrale Gewässer begleiten", beschrieb die kremlnahe Tageszeitung "Iswestija" am Montag unter Berufung auf Regierungskreise den geplanten Ablauf. Genaueres soll am Mittwoch bei Gesprächen in Ankara zwischen Russlands Außenminister Sergej Lawrow und seinem türkischen Amtskollegen geklärt werden.

Eins steht fest: Für die Menschen im Tschad und in vielen anderen hungernden Regionen der Welt, kann das Getreide nicht schnell genug kommen.

Quellen: "NY Times", "Guardian", "DW", mit DPA und APF-Material