Ach, wie schön das doch war, wie gewaltig die Gefühle, die Hoffnungen, Träume. Millionen Amerikaner erinnerten sich an jenen historischen Tag, als man dachte, von nun an sei alles möglich. Und vielleicht könne man sogar ein bisschen die Welt retten. Es war eine Nacht voller Zauber, dort, im Hyde Park zu Chicago, als Barack Obama sich für seinen Sieg bedankte und noch einmal versprach, er werde diese Nation wiederaufbauen. Und er werde sie für immer verändern. Das ist gerade einmal ein Jahr her - und doch schon eine Ewigkeit.
Natürlich sind die kühnen Hoffnungen längst verflogen, die hitzigen Gefühle abgekühlt, längst hat Obama der Alltag in der Washingtoner Machtmaschine eingeholt. Aber dass es so schnell passieren würde, so heftig, dass hatte man wohl nicht gedacht. Arbeitslosigkeit, Gesundheitsreform, Afghanistan, der Klimaschutz - und jetzt haben Republikaner auch noch einige wichtige Gouverneurswahlen gewonnen. Schon jetzt, gerade mal ein Jahr danach.
Und so überbieten sich die White-House-Reporter in mehr oder weniger feinfühligen Beobachtungen zur Befindlichkeit des Barack Obama "one year after". Er sei eine Studie in Gegensätzlichkeit, müht sich der "New York Times"- Reporter Peter Baker: "Mutig und zugleich vorsichtig, radikal und zugleich pragmatisch. Ein Aktivist mit Appetit für verändernde Ideen, auch wenn er es vermeidet, sie - oder sich selbst - klar zu definieren." Dessen Kollege David Brooks fragt sich, ob Obama wirklich die "Hartnäckigkeit und Entschlossenheit" hat, die ein "Kriegspräsident" braucht. Die eher mitfühlende Kommentatorin der "Chicago Tribune" wiederum sieht bei Obama seit neuestem vor allem eins: "Müde braune Augen."
Kompromisse und Halbgares
Er hat eine Menge gewonnen, aber noch nichts Greifbares erreicht in seinem ersten Jahr. Zwar tragen seine Maßnahmen dazu bei, die schlimmste Rezession seit 70 Jahren abzufedern, vielleicht gar sie zu beenden - aber Staatsschulden und Arbeitslosigkeit werden weiter wachsen. Zwar wird der Kongress eine Gesundheitsreform verabschieden - doch mit faulen Kompromissen an allen Ecken und Enden. Zwar lässt Obama sich Zeit mit der qualvollen Entscheidung über eine Strategie für Afghanistan - doch er wird Tausende Soldaten mehr dorthin entsenden. Die dort einen Präsidenten unterstützen müssen, der sich die Wahl erschwindelt hat.
Und da mag Obama aus voller Überzeugung radikale Maßnahmen gegen den Klimawandel fordern - doch zur großen Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember wird er wohl nur wenig beitragen können. So wenig, dass der US-Präsident möglicherweise gar nicht kommen wird. Denn das vom Repräsentantenhaus nach monatelangem Tauziehen verabschiedete Emissionshandelsgesetz hängt jetzt in veränderter Form im Senat fest, schwer wie Blei. Man feilscht über die Obergrenzen für den Ausstoß. Selbst Obamas Demokraten zögern - vor allem die Senatoren aus Staaten mit schadstoffintensiven Industrien und Kohlefördergebieten, die um ihre Wiederwahl fürchten. Längst herrscht Parteienkrieg ums Klima.
Der Anti-Bush hat nichts anzubieten
Und wie stark der Widerstand im Kongress ist, konnte man jüngst auch während Angela Merkels eindrucksvoller Kongress-Rede sehen: Dort verweigerten ihr vor allem republikanische Abgeordnete den Applaus, als sie vom Klimaschutz sprach, dem wichtigen Zwei-Grad-Ziel, das es festzuschreiben gelte. International. Verbindlich. Und zwar auch von den USA. Und nur wenige Stunden später weigerten sich die Republikaner wie trotzige Kinder, an einer Sitzung des Umweltausschusses teilzunehmen, um über das Klimaschutzgesetz zu debattieren. Drei Stunden warteten die Demokraten, erst plauderte man miteinander, dann sortierte man Akten, zuletzt herrschte gähnende Langeweile, dann wurde die Sitzung beendet. Ohne Ergebnis.
Dabei sollte doch Obama der Mann sein, der Anti-Bush, der die Welt in Kopenhagen retten würde.
Jetzt aber wird diese wichtige Konferenz wohl ohne feste Zusagen der USA beginnen. Keine verbindlichen Festlegungen auf CO₂-Kürzungen (sollen es in zehn Jahren 20, 17 oder nur 14 Prozent weniger sein als 2005?), keine verbindliche Summe über Ausgleichszahlungen für die Entwicklungsländer, wenn diese in den Klimaschutz investieren. Gerade hat sich Europa verständigt: Bis zu 50 Milliarden Euro sollen die reichen Industrieländer jährlich an die ärmeren Länder zahlen, Europa würde bis zu 15 Milliarden beisteuern. Aus Washington dazu bislang: beredetes Schweigen. Und die Welt fragt sich: Fliegt der Mann im Weißen Haus nun nach Kopenhagen oder fliegt er nicht?
Alles hängt am Senat
In weniger als einem Monat beginnt die Konferenz - eine Lösung ist nicht in Sicht. Schon plagen Klimaschutz-Veteranen düstere Erinnerungen: Da hatten die USA unter Präsident Bill Clinton zwar das Kyoto-Protokoll unterzeichnet. Aber im eigenen Land war es nicht durchzusetzen: Alle Senatoren stimmten damals mit "No." Ein einstimmiges Votum - es war das Ende des Kyoto-Prozesses, bevor er richtig beginnen konnte.
In diesen Tagen brüten Unterhändler über dem 200 Seiten langen Vertragsentwurf , sie feilschen über Details, so wie sie seit Jahren über immer neue Details feilschen, und sie sorgen sich, dass die anderen Länder keine Vereinbarung unterschreiben werden, auf der Obamas Unterschrift fehlt. Doch soll ein weltweites Abkommen scheitern, nur weil der US-Senat sich nicht rechtzeitig über ein Gesetz einigen kann? "Die Welt kann doch nicht auf den Zeitplan des Senats warten", kritisierte der EU-Botschafter in den USA John Bruton neulich. Die ebenso selbstbewussten wie eigensinnigen Senatoren sehen das offenbar ganz anders. Und Obamas Klimaexperten beschwichtigen: Man solle keinen unnötigen Druck machen. Eine Niederlage im Senat wäre eine Katastrophe für das Klima und für Obama.
Welcher Ausweg führt aus dem Dilemma?
Schon sucht man nach Auswegen aus dem Dilemma. Man könne die Verhandlungen vielleicht ins nächste Jahr hinein verlängern. Oder ein einjähriges Moratorium verhängen, wie es der britische Klimaexperte David King fordert. Und einige greifen schon nach Strohhalmen: da könnte doch der umstrittene Friedensnobelpreis eine trickreiche Hilfe für Obama sein. Denn auf dem Weg zur Preisverleihung nach Stockholm Mitte Dezember könnte er doch einen Abstecher nach Kopenhagen machen. Es läge - immerhin umweltschonend - auf dem Weg.