Afghanistan Lizenz zum Töten

Von Christoph Reuter
Bislang hat sich die Bundeswehr auf ihre Art Respekt verschafft. Nun soll sie auch Kampftruppen in Afghanistan stellen - mit allen Konsequenzen. Doch allein militärisch sind die Taliban nicht zu besiegen.

Geschichte, schrieb Marx, wiederhole sich als Tragödie und als Farce. Im Falle Afghanistans tut sie gerade beides gleichzeitig. Während US-Verteidigungsminister Robert Gates vergangene Woche den Deutschen mangelnden Kampfeswillen vorwarf, lässt Hollywood die 80er Jahre aufleben und die bizarre Begeisterung für die "Freedom fighters" gegen die Sowjetbesatzung. An diesem Donnerstag startet "Der Krieg des Charlie Wilson" in den deutschen Kinos: Tom Hanks als koksender Kongressabgeordneter Wilson und Julia Roberts als millionenschwere Strippenzieherin, die beinahe im Alleingang jene Milliardenetats für Waffen beschafften, mit deren Hilfe die Mudschaheddin der übermächtigen 40. Sowjetarmee trotzten.

Obwohl die Sowjets mit weit mehr Soldaten in Afghanistan waren und brutaler vorgingen als die Nato-Truppen, konnten sie den Widerstand nicht brechen. Sowjet- Befehlshaber Michail Saizew hatte schon den Prager Frühling niedergeschlagen und kämpfte nach bewährtem Muster: immer mehr Gewalt, bis zur Unterwerfung. Aber die Afghanen unterwarfen sich nicht.

Wenn nun Robert Gates heute fordert, man müsse nur mehr Taliban töten, um in Afghanistan endlich zu siegen, klingt er vertrackt nach General Saizew. Die Realität, so scheint es, wird derzeit von Hollywood inszeniert, die Fiktion von den Nachrichten geliefert. Hartnäckig bis zur Wirklichkeitsverleugnung klammert sich Washington an den Mythos, um Afghanistan zu retten, müsse man die Taliban nur militärisch besiegen - selbst wenn die Untersuchungskommissionen der eigenen Regierung dieses Vorgehen als gescheitert bilanzieren. Ende Januar stellte die "Afghanistan Study Group" ihre Ergebnisse vor. "Wir können dort alle Schlachten gewinnen, doch den Krieg verlieren", summierte Senator John Kerry deren Erkenntnis: "Wir sind dabei, ihn zu verlieren."

Die Sicherheitslage hat sich verschlechtert

Immer noch glauben viele Militärs, durchaus nicht nur Amerikaner, an den Erfolg des Krieges. Aber sie schaffen es dabei nicht einmal, ihr Gedächtnis sechs Jahre zurückzubemühen: Die Taliban sind nicht immer noch da, sondern wieder erstarkt nach ihrem buchstäblichen Verschwinden Ende 2001. Die Sicherheitslage hat sich im Verlauf des US-Kampfeinsatzes im Süden und Osten Afghanistans (die Nato ist in diesen Landesteilen erst seit 2006 aktiv) nicht verbessert, sondern verschlechtert. Mitte 2002 konnten sich Ausländer unbehelligt in Afghanistan bewegen, war ein stern-Team wochenlang in den Paschtunen-Provinzen Urusgan, Helmand, Kandahar unterwegs, undenkbar heute. Von hier aus hatte die Taliban-Bewegung die Sowjets zurückgedrängt und ab 1994 weite Teile Afghanistans erobert.

"Kämpfen gehört zum Job"

Interview mit Oberstleutnant Kjell Inge Bækken, 48, Kommandeur der norwegischen Einheiten in Masar-i-Scharif.

Vom Sommer an sollen deutsche Soldaten Ihre Leute ablösen. Sind sie der Aufgabe gewachsen?

Die vorgesehenen Fallschirmjäger und Panzergrenadiere sind als schnelle Eingreiftruppe (Quick Reaction Force - QRF) gut geeignet. Aber sie brauchen ein glasklares Mandat: Sie müssen wissen, was sie dürfen und was nicht.

Im Moment dürfen deutsche Soldaten in Afghanistan nur schießen, wenn sie angegriffen werden. Wird das reichen?

Nein. Als Schnelle Eingreiftruppe brauchen sie mehr Möglichkeiten. Sie müssen schon auf feindliche Absichten reagieren können.

Im November lieferten sich Norweger schwere Gefechte mit den Taliban. Blüht so was auch den Deutschen?

Ja, ich rechne damit, dass die Aufständischen mit Beginn des Frühjahrs wieder aktiver werden.

Was heißt das für die QRF-Soldaten?

Sie müssen sich bewusst sein, dass sie der Einsatz das Leben kosten kann, und sie müssen bereit sein zu töten, wenn es die Situation verlangt.

Deutsche Politiker sprechen lieber vom Wiederaufbau als von Kämpfen.

Kämpfen gehört zum Job. Und dafür brauchen die Soldaten die Unterstützung der Bevölkerung zu Hause. Wenn sie die nicht haben, ist das ein ernstes Problem - für die deutschen Soldaten, aber auch für ihre Kameraden aus anderen Ländern.

Warum auch für die anderen?

Weil sie sich darauf verlassen können müssen: Wenn es brenzlig wird, dann kommen die Deutschen und hauen uns raus.

Interview: Steffen Gassel

Im Sommer 2002 fuhren die Reporter durch ein verwirrtes Land, voller Misstrauen, voller Hoffnung - und ruhig. Nach dem Fall der Taliban wurden alte Fehden unter den Clans wieder aufgenommen, sahen sich die Akhundsada und Popolsai (Karzais Stamm) in neuer Stärke gegenüber den Itzhaksais und anderen. Es gab Spannungen, aber keinen gemeinsamen Feind.

Doch die USA interessierten sich nur für eines: Taliban, Terroristen und Osama bin Laden jagen. Alles andere war zweitrangig. Abhängig von lokalen Machthabern und Übersetzern, ließen sie sich immer wieder in Stammesfehden hineinziehen, sie bombardierten als Al-Qaeda-Nester denunzierte Dörfer und trafen oft nur Kontrahenten ihrer Einflüsterer. Sie verstanden nicht, was die Taliban Ende der 90er Jahre so stark gemacht hatte: dass sie eine Ordnung etabliert hatten. Keine demokratische, sondern eine frauenverachtende und überdies mörderische Ordnung. Aber immerhin eine Ordnung. Die dafür sorgte, dass nicht mehr Geld, Land, Töchter wahllos geraubt werden konnten wie im Bürgerkrieg zuvor, dass Händler durchs Land fahren konnten, ohne ständig auf Wegelagerer zu stoßen.

Doch für die ehemaligen Taliban gab es keinen Platz unter der von Washington handverlesenen neuen Führung Afghanistans des Präsidenten Karzai. Langsam wuchs neuer Widerstand gegen die US-Besatzer, die sich überdies mit ihrer Brutalität immer neue Feinde schufen. Im Süden und Osten Afghanistans, wo die mit 42 Prozent größte Bevölkerungsgruppe der Paschtunen lebt, ließ diese Spirale von Widerstand und Vergeltung eine neue Taliban- Bewegung mächtig werden.

Taliban etablieren Gerichtsbarkeit

Nach schweren Kämpfen vor allem im Jahr 2006 wurde es etwas ruhiger. Aber das heißt nicht, dass die Taliban schwächer werden, sie vermeiden nur offene Feldschlachten. Sie verlegen sich auf Anschläge wie gegen das Serena-Hotel in Kabul vor Wochen und auf stille Infiltration, rücken immer näher an Kabul heran. Sie kontrollieren nicht die Städte, sondern die Dörfer, nicht den Tag, aber die Nacht. In die Provinz Wardak südlich von Kabul trauen sich Regierungstruppen nur noch in schwer bewaffneten Konvois, während die Taliban dort auf dem Lande ihre eigene Gerichtsbarkeit etabliert haben, Streitigkeiten um Land, Wasser, Diebstahl regeln. Schon fliehen aus Dschalalabad die Wohlhabenden, die keine "Dschihad-Steuer" an die Taliban entrichten wollen; in Kabul planen Afghanen, die für ausländische Truppen oder Organisationen arbeiten, ihre Emigration.

Dass auch die Lage im Norden und Westen zunehmend unfriedlich wird, liegt am zweiten großen Problem des Landes: Die afghanische Regierung ist außerstande, den Menschen das zu geben, was sie am dringendsten fordern - Rechtssicherheit. Karzai, in den Augen vieler eine Marionette der USA, stützt seine Macht auf korrupte Gouverneure, alte und neue Milizenführer, die ins Opiumgeschäft nicht minder verstrickt sind als die Taliban. Die Drogenpolizei widmet sich vielfach weniger der Bekämpfung des Drogenhandels als der Aufteilung seiner Profite. Das Rechtssystem ist ein Hohn, die Polizei berüchtigt.

Selbst wenn er wollte, hätte Karzai gar nicht mehr die Macht, sich seine Verbündeten auszusuchen. Stattdessen beginnt er, in Sachen Fanatismus den Taliban Konkurrenz zu machen: Deren berüchtigtes Ministerium zur "Förderung der Tugend und zur Bekämpfung des Lasters" wurde unter Karzai wieder installiert. Dass der afghanische Journalist Sayed Pervez Kambaksh in einem Geheimverfahren ohne Verteidiger wegen angeblicher Blasphemie zum Tode verurteilt wurde, dazu schweigt Karzai. "Hindukusch-Populismus", nennt es der deutsche Afghanistan-Experte Thomas Ruttig, "das ist schon Teil des Wahlkampfs für 2009."

In dieser Situation bewegen sich alle ausländischen Truppen auf einem schmalen Grat: Sie müssen als militärische Macht auftreten, um die lokalen Kommandeure in Schach zu halten. Dass die Einsatzregion der deutschen Truppen im Norden relativ ruhig bleibt, war nicht selbstverständlich. Die deutschen Einheiten haben taktiert, und es ging gut. Sie haben ehemalige Warlords entwaffnet, massiv zur Absetzung eines korrupten Polizeichefs in Kundus beigetragen und eine halbwegs funktionierende Ordnung geschaffen. So das Ergebnis einer am Mittwoch vorgestellten Untersuchung zur Akzeptanz der ausländischen Truppen im Norden.

Rechercheure des "Sonderforschungsbereichs 700" der Freien Universität Berlin befragten mehr als 2000 Haushalte in zwei Nordprovinzen. Über 90 Prozent gaben an, dass sich die Sicherheitslage in den vergangenen zwei Jahren verbessert habe. "Wir waren positiv überrascht", so der Berliner Ethnologe und Koordinator Jan Köhler: "In den Ostprovinzen zum Beispiel hat sich die Stimmung im Vergleichszeitraum massiv verschlechtert."

Kein Sieg in Sicht

Kippt die Stimmung, werden die Soldaten als Besatzer wahrgenommen, beginnt der Widerstand, die Spirale der Kämpfe und der Vergeltung. Weshalb etwa das kanadische Kontingent in Kandahar Anfang 2006 mitten in einen Krieg geriet. 78 Kanadier starben bis Ende vergangener Woche in diesem Einsatz, kein Sieg ist in Sicht. Der Druck auf die Regierung in Ottawa wächst. Nun hat sie den anderen Nato-Staaten ein Ultimatum gestellt: Sollten nicht mindestens 1000 weitere Soldaten nach Kandahar entsandt werden, ziehe Kanada sein gesamtes Truppenkontingent im Februar 2009 ab. Auch bei den Niederländern, die mit knapp 1500 Soldaten im benachbarten Urusgan stationiert sind, gärt es.

Das ist der Druck, den US-Verteidigungsminister Gates in seinem Brief an Berlin durchreichte. Doch Washington will nicht nur mehr Soldaten. Der US-Regierung passt die ganze militärische Linie ihrer Verbündeten nicht: dass die Niederländer faktisch Stillhalteabkommen mit den Taliban geschlossen haben und ihr Ex- Befehlshaber, Generalmajor van Loon, im Oktober 2007 im stern-Interview offen zugab: "Es macht keinen Sinn zu kämpfen, wenn die Institutionen der afghanischen Regierung vor Ort gar nicht existieren." Oder dass britische Militärs und Geheimdienstler in der Opium-Provinz Helmand längst mit Taliban verhandeln (die gelegentlich als "Stammesälteste" verbrämt werden). Nicht aus Sympathie, sondern weil Krieg allein nur neue Feinde schafft. Weil die Taliban gar nicht im Kampf siegen müssen, sondern nur ausharren, bis die ausländischen Truppen abziehen, weil deren Regierungen dem Druck daheim nicht standhalten.

Und genau da liegt das Problem der deutschen Verbände. Die Bundesregierung hat die Bevölkerung über die Natur das Afghanistan- Engagements stets im Unklaren gelassen - aus Furcht vor dem Wähler, denn eine Mehrheit der Deutschen lehnt den Einsatz jetzt schon ab, und jeder Tote würde deren Front wachsen lassen. Doch die Macht der Bundeswehr beruht auf der Annahme der Afghanen, dass die Soldaten, ihre Waffen, Hubschrauber und Fennek- Panzerspähwagen sehr wohl eingesetzt werden könnten, dass die Deutschen auch kämpfen - wenn es sein muss. Als Verteidigungsminister Franz Josef Jung nach dem Selbstmordanschlag im Mai vergangenen Jahres alle Patrouillen am liebsten verbieten und die Soldaten ins Lager verbannen wollte, drohte das die Stellung der Deutschen zu schwächen. Bei einer Tagung gemeinsam mit kanadischen Kollegen vergangenen Dezember in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg formulierten manche Offiziere ihre Kritik erstaunlich offen, wenn auch nicht öffentlich: Der Zickzackkurs der Regierung sei der Sache nicht dienlich. Man könne der Öffentlichkeit nicht vorgaukeln, die Bundeswehr sei nur zum Brunnenbauen dort. Wenn das Mandat zum Einsatz einmal gegeben sei, müsse man eben auch mit Kämpfen und Toten rechnen.

Wozu es bald kommen könnte: Die 250 schwer bewaffneten deutschen Soldaten einer Schnellen Eingreiftruppe, die demnächst ein norwegisches Kontingent bei Masar-i-Scharif ablösen, sind bereits eingeplant für eine größere Operation gegen Aufständische - bei denen es sich allerdings nicht um Taliban, sondern um Gefolgsleute eines örtlichen Warlords handeln soll.

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