"Sie ist ein Glückskind", meint Dolmetscher Hamed und schaut auf die schüchterne zwölfjährige Nasja. Das Mädchen, das Jahrgangsbeste ist, sitzt mit gesenktem Kopf an der Schulbank. Für die Viertklässlerin gehört das Lernen zum Alltag. Das ist in Afghanistan auch zweieinhalb Jahre nach dem Fall des Talbian-Regimes noch lange keine Selbstverständlichkeit, besonders für Mädchen. Bis vor wenigen Jahren durften sie nicht zur Schule gehen. Das Ergebnis: Neun von zehn afghanischen Frauen können nicht lesen und schreiben.
Die Eröffnung der Mädchenschule in dem kleinen Ort Katachel in der Nähe der nordafghanischen Provinzhauptstadt Kundus ist auch heute noch ein Ereignis, das für Aufsehen sorgt - nicht nur weil die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und der Gouverneur der Provinz gekommen sind. Fast 250 Mädchen sollen künftig in den bescheiden eingerichteten Räumen unterrichtet werden. Viele, die weiter weg wohnen, werden mit dem schuleigenen Bus abgeholt.
Die Burka ist hier nicht zu finden
Während auf den staubigen, geschäftigen Straßen von Kundus fast nur völlig verschleierte Frauen zu sehen sind, sieht das Bild in der Dorfschule ganz anders aus: Schülerinnen und Lehrerinnen tragen locker über das Haar geworfene Kopftücher. Nur wenige verhüllen angesichts des Besuchs ihr Gesicht. Die Burka, die die Frauen von Kopf bis Fuß verdeckt, ist hier nicht zu finden.
Die Ausbildung von jungen Frauen ist aus Sicht von Wieczorek-Zeul ein wichtiger Aspekt beim Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes: "Frauen waren in den langen Jahren die Opfer, jetzt sollen sie die Akteurinnen sein in einem Land, das Krieg und Drogen überwindet." Bislang sind es in der Regel noch Exil-Afghaninnen, die heute bereits führende Positionen im Land einnehmen. Dennoch: In der derzeitigen Regierung werden nur 2 von 30 Ministerien von Frauen geführt. Nach den Wahlen, die für September angesetzt sind, sollen immerhin ein Viertel der Abgeordneten weiblich sein.
Während des Taliban –Regimes zu Hause gelernt
Bessere Aussichten also für Nasja, die einmal Journalistin werden will. Nasja und ihre zwei Schwestern werden jeden Tag mit dem Auto in die Schule gefahren. Für den Dolmetscher, der sein Medizinstudium wegen der Taliban nicht beenden konnte, ist das der Inbegriff von Glück: Sie darf lernen. Dass das nicht immer so war, erzählt ihre Lehrerin Mina Saidi, die ihren Beruf schon seit 19 Jahren ausübt. Während des Taliban-Regimes hatte sie heimlich im eigenen Haus gelehrt. "Wenn die Kinder nicht Lesen und Schreiben lernen, sind sie blind. Sie könnten nicht wissen, was um sie herum passiert." Über die aktuellen Probleme der Mädchen und Frauen möchte sich die Lehrerin wie auch ihre Kolleginnen aber lieber nicht äußern.
Dolmetscher Hamed ist da offener. Familien auf dem Lande seien nach wie vor traditionsverhaftet. "Hochzeiten werden von den Eltern arrangiert. Frau und Mann kennen sich (bis dahin) nicht." Die Burka verstecke die Frau vor dem Mann ohne Ausnahme bis zur Hochzeitsnacht. Nur wenige Afghanen könnten jedoch heiraten, denn die Hochzeit ist für den Bräutigam oft unerschwinglich. Eine Vermählung mit Ausgaben für das Fest samt dem saftigen Brautgeld kostet rund 5000 Dollar (4200 Euro). Zum Vergleich: Ein Ungelernter kann am Tag bis zu drei Dollar, ein Übersetzer monatlich etwa 200 Dollar verdienen. - Auch Hamed, Mitte 30, hat noch keine Frau.