Alles würde man von den Republikanern hier erwarten. Wirklich alles. Nur nicht Midge Potts. Sie ist eine Frau, aber früher war sie ein Mann, hieß Mitchell. Sie will Präsident Bush des Amtes entheben, die US-Truppen aus dem Irak abziehen und mit der christlichen Rechten hat sie es nicht. Und dennoch, dennoch tritt Potts hier, im tiefsten Missouri, im tiefsten Mittleren Westen der USA, in den Vorwahlen an. Als Republikanerin, als Herausforderin des mächtigen Kongressabgeordneten Roy Blunt, der im Washingtoner Machtgefüge eine zentrale Figur ist. "Ich bin angetreten, um zu gewinnen.", sagt sie am Samstag in einem Café-Restaurant im Zentrum der Stadt Springfield. Am Dienstag findet die Vorausausscheidung statt. Potts ist nervös. Realistisch betrachtet hat sie kaum eine Chance, dieses Datum als Kandidatin zu überstehen.
Amerika wieder entdecken, die Serie
Wie hat sich Amerika seit dem 11. September 2001 verändert? Welche Spuren hat der "Krieg gegen den Terror" in jenem Land hinterlassen, das wie kaum ein anderes für Demokratie und politische Freiheit steht? stern.de-Mitarbeiter Florian Güßgen berichtet drei Wochen lang regelmäßig von seiner persönlichen Wiederentdeckung Amerikas - aus Boston im liberalen Bundesstaat Massachusetts, aus Springfield im konservativen Missouri und aus Washington, D.C. und New York City. Unterstützt wird er dabei durch eine Fellowship des American Council on Germany mit Sitz in New York.
Ist der "Kampf der Kulturen" ein Mythos?
Der Ausgang der Parlamentswahlen im November ist für die USA von immenser Bedeutung. Rot? Oder blau? Werden die Republikaner, die Grand Old Party, die Oberhand behalten, möglicherweise in beiden Häusern, im Abgeordnetenhaus und im Senat, oder werden diesmal doch wieder einmal die Demokraten obsiegen? Werden die Wählen Präsident Bush einen Denkzettel verpassen, für seine Irak-Politik, für das Versagen seiner Regierung bei der Katrina-Katastrophe, werden sie ihm die erneute Parlamentsmehrheit verweigern und ihn für den Rest seiner Amtszeit zu einer "Lame Duck" machen - oder stützen die Amerikaner den Kurs der Republikaner und ihres Präsidenten? Der Ausgang dieser Wahlen wird zeigen, wie tief gespalten dieses Land wirklich ist, zwischen Republikanern und Demokraten, zwischen christlichen Fundamentalisten auf der einen und den gern als links verschrieenen Liberalen auf der anderen Seite. Sie kann den "Kampf der Kulturen", der hier überall propagiert wird, als Mythos entlarven oder ihn bestätigen.
Die Hetze der rechten Talk-Show-Moderatoren
Schon jetzt haben sich die unzähligen politischen Akteure für diese Wahl in Stellung gebracht. Die schwer verdaulichen, konservativen Radio-Hetzer sprechen von der "entscheidenden Schlacht", die es zu schlagen gelte. Schon jetzt lassen sie keine Gelegenheit aus, gegen die Demokraten zu Felde zu ziehen. Diese hätten keinen Arsch in der Hose, wenn es um den Irak gehe, heißt es, sie würden den "Islamofaschisten" Ahmadinedschad gewähren und Israel im Regen stehen lassen, Amerika der unerträglichen Uno unterjochen und natürlich der stärksten Lobby des Landes, der Schwulen-Lobby, nach dem Munde reden. Auf der Laura-Ingraham-Show hieß es in dieser Woche, die Demokraten hätten so wenig Ideen, dass sie sich ihre Politik von den liberalen Meinungsseite der "New York Times" diktieren ließen. In den schillerndsten Farben zeichnen sie allesamt einen Linksruck der Demokraten.
"Testgebiet" für George W. Bush
Hier, im Südwesten Missouris, im siebten Wahlbezirk des Landes für das Abgeordnetenhaus, ist diese Hetze kaum notwendig. Die Republikaner halten diesen Wahlbezirk so fest in den Händen wie die bayerische CSU den Wahlbezirk Miesbach. Springfield, das halburbane Zentrum einer durch und durch landwirtschaftlich geprägten Gegend, ist eine Reißbrettstadt, mit unendlich langen, breiten, autofreundlichen Straßen. Mit unzähligen Einkaufszentren, mit unzähligen Fast-Food-Restaurants, aber vor allem mit unzähligen Kirchen jeder erdenklichen Größe, vor allem irgendwie protestantischen Glaubens. Im Zentrum Springfields hat eine der Mega-Kirchen, die "Assembly of God", ihr burgähnliches Zentrum, in dem Vorort Nixa bietet die Mega-Kirche "James River Assembly" jeden Sonntag Vormittag zwei Gottestdienste an. "Die Republikaner hier sind noch einmal etwas besonderes", sagt Richard Messenger, der Chefredakteur der Meinungsseite der Tageszeitung "News-Leader", der einzigen Lokalzeitung vor Ort, die zu der Zeitungskette "Gannett" gehört. "Hier spielen die Kirchen eine besondere Rolle." Präsident Bush eröffnete hier, auf sicherem Boden seinen letzten Wahlkampf mit einer Rede gleich nach seiner Nominierung als Kandidat. "Für die Republikaner ist das ein Testgebiet, wie ihre Botschaften bei der eigenen Klientel ankommen", sagt Richard Napieralski, ein Demokrat, der sich bei den Vorwahlen seiner Partei um eine Kandidatur für einen Sitz im Landesparlament bewirbt.
Vom Soldaten zur Kandidatin
Midge Potts wird diese Ordnung hier nicht dauerhaft stören. Sie wäre wohl eine der letzten, von denen sich die Menschen hier gerne repräsentieren lassen würden. Sicher, sie bekennt sich zur republikanischen Partei, bezeichnet sich als fiskalische Konservative, als jemanden, der nicht auf den großen Staat setzt, nicht auf hohe Steuern, als jemanden, der die Macht Washingtons beschneiden will. Und Teile ihrer Vita passen auch in das Bild des hiesigen Konservatismus. Mitchell Potts stammt aus der Gegend, in der Nähe Springfields ging sie auf die Kickapoo High School. Auch Brad Pitt hat seinen Abschluss von dort. Mehr noch: Potts diente, er war bei der Navy, war nach dem ersten Irak-Krieg vor Ort im Einsatz, während der Operation "Desert Shield". Aber hier hört es auch schon auf mit dem klassischen republikanischen Eigenschaften. Irgendwo holte sich Mitchell während dieser Zeit eine Quecksilber-Vergiftung. An den Folgen leide sie bis heute, sagt Midge. Danach weist sein Lebenslauf alle Merkmale der esoterisch-linken Bewegung in den USA bezeichnen könnte. Ein paar Jahre mit Bewegung X im Kaff Y - "ganz toll", immer ein bisschen im kulturellen Umfeld der Musikgruppe "Grateful Dead." Auf die Schulter hat er sich ein Friedenszeichen tätowieren lassen, drüber eine Cannabis-Pflanze. Dann ein bisschen zurück zur Natur in Missouri, als langbärtiger, naturverbundener Waldmensch mit Frau und Tochter, dann Übertritt zum anderen Geschlecht und Irak-Kriegs-Gegnerin mit einer ruhmreichen Verhaftung in Washington im vergangenen Jahr. Die Kandidatur als Republikanerin ist eher Provokation als Politik-Lehrstück.
"Ich bin jetzt langsam wirklich nervös
Und dennoch. Überraschend berichtet Potts am Montag, am Tag vor dem Wahlen, von einem gelungenen Wahlkampf. Bei ihren Gesprächen mit Farmern, mit Wählern vor Ort sei sie, die Paradiesvogel, freundlich behandelt worden. Übergriffe oder Beschimpfungen habe es nicht gegeben. "Die Menschen hier sind viel offener als man denkt", sagt Potts. Und selbst bei dem Partei-Establishment sei man pfleglich mit ihr umgegangen. Wehren haben sich die Republikaner ohnehin nicht können. Laut dem Wahlgesetz in Missouri kann sich jeder bei den Vorwahlen für eine Kandidatur jeder Partei bewerben, solange er nur die Gebühr von 100 Dollar aufbringt. Das reicht. Nein, auch die christlichen Rechten, die normalerweise mit gezücktem Schwert gegen jedweden Ruch von Homosexualität zu Felde ziehen, hätten sie, die bekennende Bisexuelle, zufrieden gelassen. Nur über das Kamera-Team, das sie auf Schritt und Tritt verfolge, habe sich mancher gewundert. Ein Regisseur dreht einen Dokumentarfilm über ihr Leben, ihr Umfeld, ihre Kandidatur. "Das ist alles schon sehr, sehr seltsam", sagt ein republikanischer Amtsträger bei einer Grillparty der Partei am Samstagabend in einem Stadtpark. Potts Konkurrent Roy Blunt darf hier reden, Potts nicht. Gekommen ist sie trotzdem. Blunt, ein Bush-Mann durch und durch, schüttelt Potts die Hand. Er will sie seiner Frau vorstellen. Die Gatten sagt: "Ich weiß, wer sie sind." Das reicht Potts schon. "Ich bin jetzt langsam wirklich nervös", sagt sie.
<zwit>Nur XX Prozent Am Wahlabend ist Potts niedergeschlagen. Nein, sie hat die Sensation nicht geschafft. Gerade einmal auf XX Prozent hat sie es gebracht. Das ist wenig. Das reicht nicht einmal für den zweiten Platz. XX Kinder, ein anderer Konkurrent, hat XX Prozent gewonnen. Bei der Wahlparty der Republikaner ist man mit diesem Ergebnis zufrieden.