Bei den schwersten Unruhen seit den Präsidentenwahlen im Iran sind am Samstag mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen. Das berichtete der staatliche Fernsehsender Press TV am Sonntag. Der US-Fernsehsender CNN sprach unter Berufung auf "Krankenhauskreise" von 19 Toten. Unabhängige Berichte über die erneuten Proteste gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad gab es nicht, da ausländische Medien nicht berichten dürfen und alle Oppositionsmedien gesperrt sind.
Oppositionsanhänger protestieren seit nunmehr neun Tagen gegen die Wiederwahl Ahmadinedschads und werfen ihm Wahlbetrug vor. Am Samstag hatten sich mehrere tausend Menschen in Teheran versammelt, obwohl die Veranstalter um Oppositionsführer Mir-Hussein Mussawi eine von den Behörden verbotene Massenkundgebung abgesagt hatten. Dabei war es zu schweren Zusammenstößen von Oppositionsanhängern mit Gefolgsleuten von Ahmadinedschad und Sicherheitskräften gekommen.
Zum Ablauf der Auseinandersetzungen gab es unterschiedliche Darstellungen. Der staatliche Sender Press TV berichtete, "Unruhestifter" hätten zwei Krankenhäuser und eine Militärkaserne angezündet. Die Nachrichtenagentur Khabar meldete, die Sicherheitskräfte hätten im Gegensatz zu den Demonstranten keine scharfe Munition benutzt. Bei den Protesten hatte die Polizei Tränengas und Wasserwerfer eingesetzt und soll auch in die Luft geschossen haben, um die Protestierenden auseinanderzutreiben.
Die Oppositionsbewegung um Mussawi sprach von einem äußerst gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte. Die Ahmadinedschad nahestehenden "Bassidsch"-Milizen hätten eine Moschee angezündet, in der sich Oppositionsanhänger aufgehalten hätten, berichteten Demonstranten im Kurznachrichtendienst Twitter. Unklar sei, ob es dabei Tote und Verletzte gegeben habe. Die Demonstranten selbst hätten Brandsätze geworfen.
Unterdessen hat sich Mussawi ausdrücklich zum religiösen Staatssystem seines Landes bekannt. "Wir sind nicht gegen das islamische System und seine Gesetze, sondern gegen Lügen und Abweichungen, und wir wollen es nur reformieren", schrieb der unterlegene Präsidentschaftskandidat auf seiner Website in einer Botschaft an seine Anhänger.
Zugleich forderte Mussawi die Machthaber in Teheran nachdrücklich dazu auf, friedliche Kundgebungen zu erlauben. "Wenn den Menschen friedliche Mittel zur Verteidigung ihrer legitimen Rechte untersagt werden, dann ergreifen sie gefährlichere Maßnahmen", warnte er in einer Erklärung. Mussawi sprach in Anspielung auf die Farbe Grün der Opposition von einer "wunderbaren grünen Welle". Er werde niemals erlauben, dass Demonstranten ihr Leben für ihn riskierten. "Seid versichert, ich werde immer bei euch sein."
Obama verschärft den Ton
Unterstützung erhielt Mussawi von US-Präsident Barack Obama, der den Tonfall gegenüber der iranischen Regierung deutlich verschärft. "Wir rufen die iranische Regierung auf, alle gewalttätigen und unberechtigten Handlungen gegen die Menschen im eigenen Land zu stoppen", forderte Obama in einer vom Weißen Haus verbreiteten Erklärung. "Die iranische Regierung muss erkennen, dass die Welt auf sie blickt." Zuvor war es in Teheran bei Protesten von Oppositionsanhängern erneut zu schweren Zusammenstößen gekommen.
Obama betonte, es sei ein Irrtum zu glauben, man könne Ideen aus der Welt schaffen, indem man sie unterdrückt. Letztlich würden die Menschen im Iran die Handlungen ihrer eigenen Regierung bewerten. "Wenn die iranische Regierung den Respekt der internationalen Gemeinschaft sucht, dann muss sie die Würde ihres eigenen Volkes respektieren und auf Konsens statt auf Zwang setzen."
Mussawi sagte nach Angaben seiner Anhänger, er werde seinen Kampf fortsetzen. Er sei "bereit, dafür zum Märtyrer" zu werden. "Wenn sie mich verhaften, dann sollten alle streiken und die Arbeit niederlegen." Zugleich bekräftigte er seine Forderung, die Präsidentschaftswahl für ungültig zu erklären und die Abstimmung zu wiederholen.
In einem Brief an den mächtigen Wächterrat schrieb Mussawi, die Verfälschung des Wahlergebnisses sei Monate im Voraus geplant gewesen. Vor allem kritisierte er die Unterbrechung von Kommunikationsnetzen wie Internet und SMS am Wahltag und sprach von einem "empörenden Schritt". Mit seiner neuerlichen Kritik setzte er sich demonstrativ über Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei hinweg, der als höchste Autorität im Iran am Freitag das Wahlergebnis bestätigt und vor weiteren Demonstrationen gewarnt hatte.
Chamenei hatte am Freitag Wahlfälschung in großem Stil ausgeschlossen. Gleichzeitig hatte er die Opposition aufgefordert, Einwände auf dem Rechtsweg vorzubringen, und mit Konsequenzen gedroht, sollten die "illegalen" Demonstrationen weitergehen.
Der Nachrichtensender Khabar zitierte am Samstagvormittag nochmals Vize-Polizeichef Ahmad Reda Radan, die Polizei werde hart gegen jede illegale Demonstration vorgehen. Daraufhin sagten die Hauptveranstalter um Mussawi die für den Nachmittag geplante Massenkundgebung ab. Am vergangenen Montag hatten Hunderttausende im Zentrum Teherans demonstriert, obwohl Mussawi den Protestzug kurz vor Beginn abgesagt hatte. Dabei waren mindestens acht Demonstranten in Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften getötet worden.
Wächterrat will zehn Prozent der Stimmen neu auszählen lassen
Der Wächterrat erklärte sich dazu bereit, stichprobenartig zehn Prozent der Stimmen neu auszuzählen. Die beiden Zweit- und Drittplatzierten bei der Wahl, Mussawi und Mehdi Karrubi, kamen allerdings der Einladung des Wächterrats zur Sitzung am Samstag nicht nach. Damit wollten sie nach Einschätzung von Beobachtern ihre Forderung nach Wiederholung der gesamten Wahl bekräftigen.
Auch in Europa demonstrierten erneut tausende Exiliraner gegen die Wiederwahl Ahmadinedschads. Allein in Paris auf einer Kundgebung bei Paris haben Zehntausende ihre Solidarität mit der Opposition im Iran bekundet. Der Veranstalter, der Nationale Widerstandsrat des Irans, sprach von 90.000 Teilnehmern. In Hamburg demonstrierten am Samstag 4.000 Menschen gegen das amtliche Ergebnis der Präsidentenwahl im Iran.
Die iranische Regierung bleibt von den Protesten unbeeindruckt und behält in der innenpolitischen Krise ihren Konfrontationskurs zum Westen bei Außenminister Manucher Mottaki sagte am Sonntag während eines Treffens von Diplomaten, Frankreich sei eine große Nation, die derzeit von "Zwergen" regiert werde. Die Politik Deutschlands, Großbritannien und der USA in der Region sei falsch. "Hier im Raum sitzen viele Vertreter von Staaten, die einst (an den Irak) Giftgas geliefert hatten, unter dessen Folgen Iraner seit 20 Jahre leiden." Mottaki sagte, die Iraner hätten seit der islamischen Revolution 1979 viel geopfert. "Wir haben Hunderttausende von Märtyrern und Verletzte gehabt, dieses Volk kann seine revolutionären Erfolge nicht einfach aufgeben", fügte er hinzu.