Ein Foto versetzt Großbritannien in Aufruhr: Veröffentlicht hat es der "Guardian", es zeigt Premierminister Boris Johnson mit knapp 20 Leuten im Garten seines Regierungssitzes in der Downing Street. Die Aufnahme soll vom 15. Mai stammen – zu jener Zeit galten in Großbritannien aufgrund der Corona-Pandemie strenge Kontaktbeschränkungen.
Der Premierminister sowie einige seiner Vertrauten und Mitarbeiter haben sich daran offenbar nicht gehalten. Johnson ist an einem Tisch mit Ehefrau Carrie und zwei Mitarbeitern zu sehen. Über den Garten verteilt sieht man weitere Grüppchen, es gibt Wein und Käse. Ein Regierungssprecher sagte, es sei ein Arbeitstreffen gewesen. Dennoch hat die Veröffentlichung zu einem Sturm der Entrüstung in Großbritannien geführt.
Ärger über Boris Johnson und die politische Elite
Bei vielen macht sich der Eindruck breit, dass die Regeln für die ganze Bevölkerung galten – nur für die politische Elite, die sie selbst beschlossen hatte, anscheinend nicht. Auf Twitter lassen zahlreiche Briten ihrem Frust und ihrer Enttäuschung freien Lauf. Einige stellen ihre Erfahrungen aus jener Zeit der ersten Corona-Welle dem Verhalten des Premiers gegenüber.
"Meine Familie konnte einen sterbenden Verwandten nicht besuchen und keine Beerdigung feiern, weil wir im Lockdown waren. Meine Tochter hatte keine Party zu ihrem 13. Geburtstag, weil wir im Lockdown waren. Währenddessen: Boris Johnson", kommentierte der Journalist Otto English das Bild. "Millionen von uns haben ihr Bestes getan und sich an die Regeln gehalten. Boris Johnson glaubte offensichtlich nicht, dass sie für ihn gelten."

Pflegepersonal fühlt sich hintergangen
Besonders enttäuscht zeigt sich das Pflegepersonal, das in der Pandemie unter einer besonders großen Belastung steht. Exemplarisch der Bericht einer Pflegerin: "Ich wurde damals als Krankenschwester in Ausbildung gefragt, auf einer Corona-Intensivstation zu arbeiten. Ich habe Menschen sterben sehen, die jünger waren als ich. Ich habe den Vater eines Freundes sterben sehen." Insgesamt habe sie in der Zeit mehr Tode ansehen müssen als die meisten Krankenschwestern in zehn Jahren, schreibt sie – und fragt: "Wie war die Party, Boris Johnson?"
Ein anderer User berichtet von einem ersten Date, das er im Mai 2020 in einem Park hatte, mit zwei Metern Abstand. Wegen der Corona-Beschränkungen habe er die andere Person in den folgenden Monaten kaum noch sehen können: "Eine von vielen Beziehungen, die 2020 nicht überlebt haben." Währenddessen hätte Boris Johnson Gartenpartys in der Downing Street gefeiert und sein Gesundheitsminister John Hancock eine Affäre mit einer Mitarbeiterin gehabt, merkt er bitter an. Von Hancocks Seitensprung waren ebenfalls Bilder aufgetaucht, der Politiker musste zurücktreten.
Großbritannien zeigt, was Omikron bedeutet – so ist die Corona-Lage in Europa

Neu-Infektionen pro Tag: 88.000, Tendenz steigend
Impfquote: 75 Prozent
Das Vereinigte Königreich ist eines der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder Europas. Die hochansteckende Omikron-Variante ist dort inzwischen stark verbreitet. Frankreich schließt bereits seine Grenze zur britischen Insel und auch in Deutschland fordert der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek, Reisebeschränkungen für Großbritannien. "Ich würde mir wünschen, dass der Bund mal genau hinschaut, wann Großbritannien Virus-Variantengebiet wird und dass bei der Einreise mit dem Flugzeug ein PCR-Test verpflichtend vorgelegt werden muss", sagte der CSU-Politiker.
Johnson verstößt gegen Kontaktbeschränkungen
Im Mai 2020, durften sich in England eigentlich nur maximal zwei Personen treffen, draußen und im Abstand von zwei Metern. Auch Arbeitstreffen sollten nur "wenn unbedingt notwendig" stattfinden. Am 15. Mai, dem Tag, an dem das Bild aufgenommen wurde, wurden 10.700 Patient:innen in Großbritannien mit einer Covid-19-Erkrankung in Krankenhäusern behandelt. 384 Covid-19-Tote wurden an jenem Tag gemeldet.
Das Foto reiht sich ein in eine Reihe von Berichten über Partys, die während des Lockdowns in der Downing Street stattgefunden haben sollen. Johnson fehlt es deswegen an politischer Autorität, strengere Corona-Maßnahmen zu verteidigen. Die Vize-Chefin der Labour-Partei, Angela Rayner, nannte das Bild einen "Schlag ins Gesicht der britischen Öffentlichkeit". Viele Bürgerinnen und Bürger sehen es offenbar ähnlich.
Quellen: "Guardian" / DPA / Otto English auf Twitter / Gingerbread Han auf Twitter / Femi auf Twitter