Beitrittsverhandlungen Türkei stößt Tür nach Europa auf

Die Türkei ist nach dramatischem Tauziehen beim EU-Gipfeltreffen in der Zypernfrage auf die Europäer zugegangen und kann nun am 3. Oktober 2005 mit Verhandlungen über ihren Beitritt beginnen.

Nach 40 Jahre langem Warten hat die Türkei die Tür für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union ein entscheidendes Stück aufgestoßen. Die EU-Staats- und Regierungschefs verständigten sich am Freitag mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan auf den Beginn von Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober 2005. Die Türkei sagte im Gegenzug zu, das EU-Mitglied Zypern bis zur Aufnahme der Verhandlungen anzuerkennen. Österreich will die Bevölkerung über den EU-Beitritt des Landes abstimmen lassen.

Der amtierende EU-Ratspräsident Jan Peter Balkenende sagte: "Heute haben wir Geschichte geschrieben." Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach von einer "zufriedenstellenden Lösung" und verwies darauf, dass das Ziel der Verhandlungen der Beitritt der Türkei zur EU sei. Auf das Datum hatten sich die Staats- und Regierungschefs bereits am späten Donnerstagabend verständigt. Erdogan wies das Angebot für den Beginn der Verhandlungen allerdings in der Nacht zum Freitag zurück, weil die EU eine sofortige Anerkennung Zyperns gefordert hatte.

Veto-Androhung von Zypern

Der zyprische Staatspräsident Tassos Papadopoulos drohte andernfalls mit einem Veto des gesamten Türkei-Beschlusses. Ratspräsident Balkenende setzte die Verhandlungen am Freitagmorgen mit Einzelgesprächen fort. Die faktische Anerkennung Zyperns soll dadurch vollzogen werden, dass die Türkei die Erweiterung eines Zollabkommens mit der EU auf die zehn neuen EU-Mitglieder unterzeichnet. Da Zypern unter diesen Ländern ist, käme dies einer Anerkennung gleich.

Erdogan sagte allerdings auf einer Pressekonferenz, die Unterzeichnung des Protokolls bedeute keineswegs eine Anerkennung. Den Kompromiss um Zypern nannte er dennoch einen "wichtigen Fortschritt" im Interesse der Türkei.

Zypern ist seit 1974 geteilt, im Norden sind 40.000 türkische Soldaten stationiert. Bei einem Referendum im März votierte der griechische Südteil gegen einen UN-Plan zur Wiedervereinigung, während der türkische Norden dafür stimmte.

Ziel der Verhandlungen ist der Beitritt

Sollte die Türkei vom Reformkurs abrücken, können die Verhandlungen ausgesetzt werden. Dies soll auf Antrag der EU-Kommission oder einem Drittel der EU-Staaten vom Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden können. Die Verhandlungen sollen mit dem Ziel eines Beitritts geführt werden, ohne dass es dafür eine Garantie gibt.

Sollte sich herausstellen, dass die Türkei nicht beitreten könne, muss dem Beschluss zufolge garantiert sein, dass das Land in den EU-Strukturen verankert ist. Im Fall eines Beitritts der Türkei behält sich die EU die Möglichkeit von Ausnahmeregeln und permanenter Schutzklauseln vor. Hier geht es vor allem um die Freizügigkeit von Arbeitnehmern sowie die Milliarden schweren Agrarbeihilfen und Strukturfonds.

Schüssel und Chirac kündigen Referenden an

Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel kündigte ein Referendum vor einem EU-Beitritt der Türkei an. Schüssel gilt unter den EU-Staats- und Regierungschefs als größter Kritiker eines Beitritts der Türkei. Auch der französische Staatspräsident Jacques Chirac hat ein Referendum in dieser Frage angekündigt. Er forderte am Freitag, dass die Türkei in den Beitrittsverhandlungen den Massenmord an den Armeniern Anfang des 20. Jahrhunderts anerkennen müsse. Andernfalls würden die Franzosen beim Referendum gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei stimmen.

Der EU-Gipfel beschloss auch, die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien am 17. März 2005 aufzunehmen, vorausgesetzt das Land arbeitet vollständig mit dem Haager UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien zusammen. Dies muss vor Aufnahme der Gespräche bestätigt werden.

Zypern ist seit 1974 geteilt, der Süden der Insel ist griechischsprachig, der Norden türkisch. Die Türkei hatte der Republik Zypern im Süden bislang die völkerrechtliche Anerkennung versagt. Eine Wiedervereinigung der beiden Inselteile war im März am Einspruch des griechischen Südens gescheitert.

AP
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