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Frauen von Boko Haram "Ich fühlte mich wie eine Königin" – Warum manche Frauen lieber bei der Terror-Miliz als in Freiheit leben

Den Regierungstruppen gelang es die Rebellen zurückzudrängen.
Den Regierungstruppen gelang es die Rebellen zurückzudrängen.
© Jerome Delay / Picture Alliance
Aisha Yerima wurde vor fünf Jahren von der islamistischen Terrormiliz Boko Haram versklavt. 2016 wurde sie von Regierungssoldaten befreit. Doch sie flüchtete aus dieser Freiheit und ging zurück in den Wald zu den Kämpfern der Miliz. Wieso? Der "New Yorker" hat ihre Geschichte rekonstruiert.

Aisha war kein junges Mädchen, als sie von den Kämpfern der Boko Haram gefangen genommen wurde. Sie war 21, hatte eine gute Schule besucht und bereits eine Ehe hinter sich. Das Kind lebte bei ihrem Ex-Mann. Im April 2013 stürmte die Miliz die Garnison von Banki, die wenigen nigerianischen Soldaten hatten keine Chance gegen den Ansturm der islamistischen Kämpfer. Nach den Gefechten sammelten diese die Frauen und Kinder als Beute ein.

Tief im Wald wurden die Gefangenen in ein Camp der Aufständischen gebracht. Ihnen wurden Datteln angeboten. Viele Mädchen wollten sie nicht essen, weil sie glaubten, dass die Datteln mit einer Art von Liebeszauber versehen waren. So abergläubisch war Aisha nicht, doch sie wunderte sich über die Sanftmut der Kämpfer. "Da fing ich an zu erkennen, dass sie nicht so schlimm waren, wie die Leute immer sagten", sagte sie zu Adaobi Tricia Nwaubani, die sie über mehrere Jahre begleitete und nun ihre Geschichte im "New Yorker" erzählt.

Mächtiger Mann umwarb sie 

Nun begann Aishas Zeit als Sklavin. Auch das war weniger schlimm als gedacht. Sie machte Besorgungen und Hausarbeiten für die Ehefrauen der Kämpfer und besuchte die Koranschule.

Doch jeden Tag kamen Soldaten, um sich eine Frau auszusuchen. Die kluge Aisha hatte auch einen Verehrer, Mamman Nur - einen führenden Kommandeur der Rebellen. Doch er tat ihr keine Gewalt an, er umwarb die junge Frau, machte ihr Komplimente und sang für sie. "Er war sehr romantisch. Er überhäufte mich mit Geschenken. Schmuck, all die Dinge, die Frauen mögen."

Nach vier Monaten heiratet Aisha Nur. "Ich war die letzte seiner vier Frauen und seine Lieblingsfrau." Aisha war zufrieden. "Jedes Mal, wenn ich mit ihm zusammen sein wollte, legte er alles andere beiseite, um meine Bedürfnisse zu befriedigen." Die Geburt eines Sohnes steigerte ihren Status im Haushalt des mächtigen Mannes. Auf ihren Wunsch ließ sich der Kommandant von seiner zweiten Frau scheiden, die mit dem Aufstieg von Aisha nicht einverstanden war. Nun besaß Aisha selbst Sklaven, selbst die Kämpfer fürchteten sie. "Die Männer sprachen immer mit gesenktem Kopf zu mir. Ich fühlte mich wie eine Königin in einem Palast.”

Sie sei nie geschlagen oder vergewaltigt worden. Nach den Erzählungen von Aisha wurde außerehelicher oder gar gewaltsamer Sex im Gebiete der Rebellen streng bestraft. Die Täter seien im Boden vergraben worden, bis nur noch der Kopf herausschaute, dann habe man ihnen die Kehle aufgeschlitzt. Man muss dazu sagen: Es gibt andere Frauen, die ganz anderes schildern, die klar von Vergewaltigung und Misshandlung sprechen.

Freieres Leben bei den Rebellen

Nach der "Befreiung" zeigte sich, dass die Frauen die sich der Gruppe angeschlossen hatten, mehr Freiheiten hatten, als sie normalerweise bei den Frauen in der Gegend üblich ist, erklärte Fatima Akilu, eine Psychologin, die ehemalige Mitglieder betreut, dem "New Yorker". "Eine Rekrutierungsstrategie bestand darin, den Frauen zu sagen, dass sie, wenn sie der Gruppe beitreten, jede Rolle einnehmen können. Selbst wenn du ein Kämpfer sein willst, werden wir dich zu einem Kämpfer ausbilden.” Auch Aisha wollte in der Nähe der Kämpfe sein. Sie sagt in einer Mischung aus Stolz und Entsetzen: "Mein Mann hat viele Soldaten getötet". Doch im März 2016 wurde das Camp der Frauen von Soldaten umstellt. Aisha wurde befreit. Sie konnte ihre teure Kleidung und Geld aus dem Haus retten, dann wurde das Camp niedergebrannt.

So wie Aisha es erzählt, war das Leben in Freiheit schwer für sie und die anderen Frauen. Die anderen Bewohner verziehen ihnen und ihren Kindern die Verbindung zu den mörderischen Rebellen nicht – sie waren Ausgestoßene, die in einer Art von Umerziehungslager lebten. Dort schwand die einstige Macht von Aisha mit der Zeit. Ihr Mann gründete eine eigene Rebellengruppe, wäre sie bei ihm geblieben, "wäre ich jetzt die Frau eines bedeutenden Mannes", bedauert sie gegenüber dem "New Yorker".

Der Obhut der Mutter entwischt

Nach dem De-Radikaliserungsprogramm wurde Aisha in die Obhut ihrer Familie übergeben, die sie offen aufnahm. Sie hatte ein kleines Geschäft und es gab auch fünf Männer, die die attraktive Frau heiraten wollten. Doch dann begann die Boko-Haram-Gruppe wieder aufzurüsten, sie formierte sich in den Wäldern. Eines Nachmittags passte ihre Mutter nicht auf und Aisha verschwand aus dem Haus. Sie nahm den zweijährigen Sohn von Nur mit - ihren Siebenjährigen aus ersten Ehe ließ sie zurück.

Aisha ist kein Einzelfall, schreibt der "New Yorker". Monatlich treffen sich Ehefrauen von Boko Haram in einem Büro. Dort erhalten sie ein Lebensmittelpaket. Jeden Monat sollen es weniger sein, immer mehr kehren zu ihren Männern in den Wald zurück.
Quelle:  "The New Yorker" - The Women Rescued from Boko Haram Who Are Returning to Their Captors"

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