Wahljahr in Brasilien In Trumps Fußstapfen: Bolsonaro warnt vor Betrug und heizt die Massen an. Sein Ziel ist offensichtlich

Auch im Grimassenschneiden steht Jair Bolsonaro Donald Trump in nichts nach
Selbst im Grimassenschneiden steht Jair Bolsonaro Donald Trump in Nichts nach
© Eraldo Peres / DPA
Kurz vor den Wahlen in Brasilien steht Präsident Jair Bolsonaro schlecht da. Doch Aufgeben ist keine Option. Stattdessen setzt er auf die Taktik eines alten Bekannten, warnt vor Wahlbetrug und peitscht seine Anhänger auf. Kann die Trump-Strategie in dem polarisierten Land aufgehen?

In weniger als drei Monaten stehen in Brasilien Präsidentschaftswahlen an. Am 2. Oktober entscheiden rund 148 Millionen wahlberechtigte Brasilianerinnen und Brasilianer, wer das gespaltene Land künftig regieren soll. Dabei deutet alles auf ein Duell zwischen dem amtierenden rechtsradikalen Präsidenten Jair Bolsonaro und seinem linken Herausforderer und Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva – kurz Lula – hin.

Doch noch bevor der offizielle Wahlkampf in die heiße Phase geht, scheint Präsident Bolsonaro eine vertraut klingende Strategie zu fahren. Genau wie Donald Trump vor den US-Wahlen 2020 fällt auch er in den Umfragen weit hinter seinem Konkurrenten zurück. Seine Anhänger hetzt der Rechtspopulist der Partido Liberal (PL) mit Falschbehauptungen und gezielten "Wir gegen Sie"-Attacken auf – und nimmt dabei auch zunehmend Gewalt in Kauf. Wie der frühere US-Präsident nutzt er zudem jede Gelegenheit, um vor Wahlbetrug zu warnen und Zweifel am System zu streuen. 

Jair Bolsonaro greift das Wahlsystem an

Diese Attacken sind für den brasilianischen Präsidenten nichts Neues. Schon seit Jahren zweifelt er die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Wahlsystems an. Was jedoch für Aufregung sorgte, war das Publikum, an das sich Bolsonaro Anfang der Woche wandte. Am Montag bestellte er Dutzende ausländische Diplomaten in den Präsidentenpalast in der Hauptstadt Brasília, um ihnen seine Sorge vor Betrug durch manipulierte Wahlmaschinen darzulegen. "Wir können keine Wahlen inmitten von Misstrauen abhalten", tönte Bolsonaro in seinem Vortrag – ohne jegliche Beweise für Auffälligkeiten anzuführen. 

Viele der anwesenden Diplomaten zeigten sich erschüttert. Besonders der Vorschlag des Präsidenten, das Militär stärker mit einzubeziehen, um sichere Wahlen zu gewährleisten, ließ die Alarmglocken schrillen, wie zwei Diplomaten der "New York Times" anonym berichteten. Ihm werde ständig vorgeworfen, einen "Putsch" anstiften zu wollen, hatte Bolsonaro in seiner Präsentation ausgeführt. Er werfe aber lediglich Fragen auf, "weil wir Zeit haben, das Problem mit Beteiligung der Streitkräfte zu lösen". Beide Diplomaten äußerten die Sorge, dass Bolsonaro damit den Grundstein legen könnte, um im Falle einer möglichen Niederlage den Ausgang der Wahl anzuzweifeln und anzufechten.

Erst letzte Woche hatte sein Verteidigungsminister Paulo Sergio Nogueira vorgeschlagen, eine "parallele Wahl" mit Stimmzetteln aus Papier abzuhalten. Dabei werden die Wahlen in Brasilien seit 1996 mit Wahlmaschinen abgehalten, ein System, das als sicher und verlässlich gilt – dem Präsidenten aber offensichtlich ein Dorn im Auge ist. "Wir wollen Mängel korrigieren, wir wollen Transparenz, echte Demokratie", gab er jedoch vor.

Deutliche Worte kamen von seinem Konkurrenten. "Es ist schade, dass Brasilien nicht einen Präsidenten hat, der 50 Botschafter einlädt, um über Dinge zu sprechen, die das Land interessieren", schrieb Lula bei Twitter. "Beschäftigung, Entwicklung oder der Kampf gegen Hunger zum Beispiel. Stattdessen erzählt er Lügen über unsere Demokratie."

Brasilien – ein gespaltenes Land

Ähnlich wie in den USA herrscht in Brasilien ein angespanntes politisches Klima. Das Land leidet infolge der Corona-Pandemie unter einer schweren Wirtschaftskrise und einer stark steigenden Inflation, die durch den Krieg in der Ukraine beeinflusst wird. Für große Teile der Bevölkerung hat sich die Lage dadurch drastisch verschlechtert. Viele Menschen haben das Vertrauen in die Politik verloren, sind frustriert über die grassierende Korruption und sehnen sich nach einem Neuanfang.

Genau den verspricht Ex-Präsident Lula mit seiner Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT). Der 76-Jährige – der zwischenzeitlich selbst wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis saß – kandidiert inzwischen zum sechsten Mal. Seine Ziele sind den Arbeitsmarkt zu reformieren, die Sozialhilfen auszuweiten und den Umweltschutz – speziell im Amazonasgebiet – wieder in den Fokus zu rücken. Damit kommt er bei den Menschen gut an. Laut einer Ende Juni veröffentlichten Umfrage des Instituts Datafolha würden 47 Prozent der Brasilianerinnen und Brasilianer für Lula stimmen, Bolsonaro käme auf 28 Prozent.

Dennoch kann der amtierende Präsident immer noch große Teile der Bevölkerung hinter sich scharen. Vor allem reiche, weiße Männer holt Bolsonaro mit seiner Verteidigung "traditioneller Werte" und seinem Fokus auf Wirtschaftsthemen ab – allen voran die Privatisierung von Staatsunternehmen. Dass ihm hingegen der Umweltschutz egal ist, zeigt die bittere Bilanz seiner Regierung, unter der im Amazonas so viel Wald gerodet wurde, wie nie zuvor und die Bedrohung von Indigenen und Umweltschützer:innen massiv zugenommen hat.

Stattdessen heizt er selbst mit aggressiven Attacken gegen Links die polarisierte Stimmung im Land an. Und kann dabei auch auf die Unterstützung von Donald Trump und dessen Verbündeten zählen – in Form von Auftritten bei Konferenzen der US-Republikaner und reichlich Sendezeit von Fox-News-Moderator Tucker Carlson.

#VOXStimme | Jana Ina Zarrella
#VOXStimme | Jana Ina Zarrella
© RTL
Jana Ina Zarrella richtet sich an Bolsonaro: "Werden Sie das Vorbild, für das ich Sie gehalten habe!"

Sorge vor zunehmender Gewalt im Wahlkampf

Je näher die Wahl rückt, desto mehr wächst daher auch die Sorge vor zunehmender Gewalt. Seit Bolsonaro im Amt ist, haben Drohungen, Angriffe und Morde von Politikern deutlich zugenommen, wie eine Studie von der Universität Unirio aus Rio de Janeiro zeigt. Demnach gab es in Brasilien im ersten Halbjahr 2022 214 Fälle von politischer Gewalt, in der ersten Jahreshälfte 2019 waren es noch 47. "Diese Gewalt bereitet Sorgen, auch weil sie vom Hassdiskurs angespornt wird, besonders von Präsident Bolsonaro", bilanziert Studienautor Felipe Borba im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Wohin Hetze und ein polarisiertes Klima im schlimmsten Fall führen kann, wurde vor knapp zwei Wochen in Foz do Iguaçu sichtbar. Auf einer Geburtstagsparty des Schatzmeisters der Arbeiterpartei eröffnete ein mutmaßlicher Bolsonaro-Anhänger das Feuer auf den linken Politiker, der noch zurückschoss, bevor er seinen Verletzungen erlag. Zwar konnte die Polizei kein politisches Motiv erkennen, für Politikwissenschaftler Borba sind die Aussichten dennoch "alles andere als gut". "Ich erwarte, dass die politische Gewalt vor der Wahl von jetzt an zunimmt", prognostiziert er.

Ob das polarisierte Klima Bolsonaro im Oktober in die Karten spielt, bleibt abzuwarten. Seinem amerikanischen Vorbild hat es am Ende nichts genützt. Doch eins ist klar, wer sich in Trumps Fußstapfen begibt, wird bei der Wahl kaum eine Niederlage akzeptieren. "Wir könnten einen noch schwerwiegenderen Vorfall als den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar erleben", warnte vor Kurzem nicht umsonst Brasiliens Wahlleiter Edson Fachin.

Quellen: "NY Times", "Guardian", "CNN", "Deutsche Welle", "Datafolha-Studie", mit DPA und AFP-Material