Am Ende läuft alles darauf hinaus, dass David Cameron, britischer Premierminister, der ärmste Tropf Europas sein wird. Angestachelt vom Populismus, getrieben von seinen eigenen Leuten, verheddert in einem Knäuel aus kurzfristiger Taktik, großspuriger Ankündigung und schierer Unvernunft steht er nun in einer Ecke, aus der er nicht mehr herauskommt. In seiner lang erwarteten Rede machte er nun den erwarteten Spagat an dessen Ende der "Brexit" stehen könnte, der Austritt Großbritanniens aus der EU. Den aber eigentlich niemand will oder wollen kann - am wenigsten der konservative Regierungschef in London. Stellt sich die Frage: Was soll das?
Das Verhältnis der Briten zum Festland-Europa war noch nie sonderlich herzlich. Kaum jemand verkörperte das anti-europäische Großbritannien besser als die "eiserne Lady" Margaret Thatcher, die 1984 mit ihrer legendären Worten "Ich will mein Geld zurück" dafür sorgte, dass das ehemalige Weltreich weniger Geld in den Brüsseler Haushalt überweist. Später versuchte ihr Parteifreund und Amtsnachfolger John Major zwar, die Torys auf einen europafreundlicheren Kurs einzustimmen, doch die Konservativen verweigerten ihm die Gefolgschaft. David Cameron ist ein Produkt dieser Partei, deren progressivster Flügel gerade einmal ein halbherziges 'Ja, aber' zur EU über die Lippen kommt.
Von den Rechten unter Druck gesetzt
2010 wurde der jetzige Premier zwar nicht deshalb gewählt, weil er alles auf die antieuropäische Karte gesetzt hatte, aber dass er damals den Beitritt zur Eurozone kategorisch ausgeschlossen hatte, dürfte ihm eine Menge Wähler gesichert haben. Seitdem hat der Kontinent auf der Insel nicht unbedingt mehr Fans gewonnen. Eher im Gegenteil: Vor allem die UK Independent Party gräbt mit ihrem noch rigoroseren Anti-EU-Gezeter den Konservativen die Stimmen ab. Die ohnehin wenig zimperliche Boulevard-Presse schießt weiterhin beherzt gegen alles, was aus Brüssel kommt und vielen Tory-Hardliner ist Camerons in anderen Bereichen eher liberaler Kurs ein Dorn im Auge. Kurzum: Seine Ankündigung, die Briten in einem Referendum über den Verbleib in der Europäischen Union entscheiden zu lassen, ist vor allem dem innenpolitischen Druck geschuldet, der auf dem Regierungschef lastet.
Aber er weiß natürlich auch, dass die EU ohne Großbritannien immer noch viel, Großbritannien ohne die EU aber nichts wäre. Zwar fürchten etwa die Finanzleute aus der Londoner City eine mögliche Bankenregulierung made in Brüssel, aber sie wissen auch: Ohne den gemeinsamen Binnenmarkt stünde ihre erfolgreiche Geldmaschinerie deutlich schlechter da. Und die Milliardenbeträge, die regelmäßig aus den EU-Töpfen nach London überwiesen werden, möchte keine der dortigen Regierungen missen. Auch deswegen hat Cameron in seiner Rede natürlich betont, dass er Großbritannien weiter in der EU sieht. Aber den Verbleib auch gleichzeitig an Forderungen geknüpft, die bei seinen Kollegen im befreundeten Ausland als Erpressung empfunden werden müssen.
Mehr Egoismus, weniger Harmonisierung
Denn nichts weniger als die Neuverhandlung der bestehenden EU-Verträge will er. Weil, wie er sagte, "die Desillusionierung der Öffentlichkeit über die EU ein Allzeithoch erreicht hat". Geht es nach ihm, soll kurz gesagt, Brüssel entmachtet und die Mitgliedsstaaten gestärkt werden. Weniger Harmonisierung und politische Union, mehr Egoismus und Zollunion, lautet seine Vorstellung einer künftigen EU. Das aber ist genau das Gegenteil von dem, was die meisten anderen Länderchefs wollen. Innenpolitisch mag ihm dieser Kurs helfen, als EU-Staatsvertreter dürfte es ihm noch mehr Vertrauen kosten. Außenminister Guido Westerwelle reagierte als einer der ersten auf die Rede und sprach aus, was wohl die meisten Regierenden denken: "Eine Politik des Rosinenpickens wird aber nicht funktionieren."
Cameron aber hat das Referendum über einen EU-Ausstieg ohnehin mit Bedingungen verbunden, die ihm vielleicht einen Ausstieg aus dem Dilemma ermöglichen. Und deutlich machen, wie halbherzig er agiert. Die Abstimmung soll im Fall seiner Wiederwahl erfolgen. Der nächste Urnengang ist für 2015 geplant, das Referendum könnte dann bis 2017 abgehalten werden. Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Und noch ist nicht sicher, ob die Torys überhaupt im Amt bestätigt werden. Und selbst wenn, weiß jetzt noch niemand, in welche Richtung sich die Europäische Union entwickelt haben wird. Deshalb gibt es bereits erste Stimmen, die eine sofortige Abstimmung fordern. Aber dafür fehlt David Cameron offenbar der Mut. Denn sollten die Briten, wie erwartet, mit "Raus aus der EU" stimmen, stünde er womöglich als großer Isolierer des einst mächtigsten Landes der Welt da. Obwohl er das auch nicht will. Oder vielleicht doch? So oder so: ein armer Tropf ist David Cameron jetzt schon.