Am Montag war also der große Tag, an dem Suella Braverman ihren Schreibtisch im Innenministerium räumen musste. Nicht Mittwoch, wie viele politische Beobachter spekuliert hatten. Mittwoch nämlich ist der Tag, an dem die Briten erfahren werden, ob Sunaks Regierung Flüchtlinge nach Ruanda abschieben darf.
Als die Einwanderertochter Braverman vor einem Jahr nach ihrem größten Wunsch gefragt wurde, sagte sie, sie träume davon, "ein Flugzeug voller Migranten abheben zu sehen in Richtung Kigali". Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte der perversen Fantasie Bravermans letztes Jahr zeitweilig Einhalt geboten, die Abschiebung nach Ruanda für illegal, und das afrikanische Land zum "für Flüchtlinge nicht sicheren Drittland" erklärt. Die britische Regierung erhob Einspruch, am Mittwoch wird der Oberste Gerichtshof das vorerst letzte Wort in der Angelegenheit sprechen.
Braverman war der Liebling des Rechtsaußen-Flügels der Tories
Der Ruanda-Traum war nicht die einzige Grausamkeit, die Braverman in ihrer Amtszeit von sich gegeben hatte. Der Liebling des Rechtsaußen-Flügels der Tories gefiel sich ganz offensichtlich in der Rolle der Provokateurin, die immer wieder Schlagzeilen machte, zuletzt mit der Anmerkung, Obdachlosigkeit sei ein "bewusst gewählter Lebensstil". Ihre Erfolgsbilanz als Innenministerin hingegen fällt dürftig aus. Unter ihr, wie schon unter Vorgängerin Priti Patel, stieg die Zahl der unbearbeiteten Asyl-Anträge auf 175.000 – eine beachtliche Zahl, bedenkt man, dass es in diesem Jahr nur rund 75.000 Antragsteller überhaupt bis auf die Insel schafften. So inkompetent sei Braverman gewesen, erzählten Angestellte der Ministerin anonym, dass Premier Sunak bei Meetings mit den Mitarbeitern dieses wichtigen Ministeriums besser vorbereitet und gebrieft gewesen sei als die Innenministerin.
Cameron ist nur bei 24 Prozent der Briten beliebt
Rishi Sunaks Entscheidung, die ambitionierte Frau mit der Vorliebe fürs Groteske durch den vergleichsweise nüchternen ehemaligen Außenminister James Cleverly zu ersetzen, ist ebenso offensichtlich wie vor einem Jahr seine Ernennung Bravermans zur Innenministerin. Damals brauchte der ernannte, nicht formal gewählte Technokrat Sunak, dem niemand seine Pro-Brexit-Haltung wirklich abnahm, die ungehemmte Braverman zur Befriedung des Flügels der Brexit-Fanatiker. Auch wenn einige Hardcore-Vertreter dieser Fraktion es heute immer noch nicht wahrhaben wollen, ist der Traum vom Brexit inzwischen endgültig der Realität eines ökonomisch isolierten Großbritannien gewichen, das in kleinen, diplomatischen Schritten versucht, sich der EU und anderen wichtigen Wirtschaftspartnern wieder anzunähern. Die Absetzung Bravermans ist ein weiteres Signal in diese Richtung: Wir sind wieder ein Land, mit dem sich vernünftig reden lässt, will Sunak damit sagen.
Mit der Rehabilitierung David Camerons schließt sich nun der Kreis. Das zumindest wäre die wohlmeinende Auslegung von Sunaks überraschender Entscheidung, den Ex-Premier als neuen Außenminister in sein Kabinett zu holen. Alles verziehen: Camerons leichtfertige Entscheidung, 2016 ein Referendum zum Ausstieg der Briten aus der EU auszurufen, um jenen ungehemmten Rechtsaußen-Flügel seiner Partei zu besänftigen, zu dem Braverman gehört. Seine folgenschwere Nonchalance angesichts der gigantischen Manipulationskampagne des Brexit-Flügels, die das Land überrollte, ohne auf Widerstand aus dem Pro-EU-Lager zu treffen. Sein Rücktritt am Tag nach dem Volksentscheid, ein Liedchen summend.
Allein: Die britischen Wähler haben ein gutes Gedächtnis. Lediglich 24 Prozent der Briten haben eine positive Meinung von David Cameron, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Savanta kürzlich. Nur Theresa May und Liz Truss liegen unter diesen Werten, mit jeweils 22 und 12 Prozent. Für viele bleibt Cameron, und nicht Boris Johnson, der eigentliche Architekt des Brexit. Dass dies aus reiner Nachlässigkeit geschah, wiegt vor allem für die EU-Befürworter unter ihnen besonders schwer.
Sunak gehen die Talente aus
Eine andere, weniger nachsichtige Erklärung für Sunaks Wahl von David Cameron wäre, dass dem Premier schlicht die Talente in den eigenen Reihen ausgehen. Jene Tories, die in der zutiefst zerstrittenen Partei noch auf seiner Seite sind – und es sind nicht viele – schiebt er schon seit geraumer Zeit von Posten zu Posten. Als Beispiel dafür dient der aktuelle Verteidigungsminister Grant Shapps. Das politische Leichtgewicht bekleidete innerhalb der letzten 14 Monate nicht weniger als drei Ministerposten und wirkte bislang in keinem davon sonderlich kompetent. Gute Kandidaten, wie der ehemalige Verteidigungsminister Ben Wallace, haben entweder ihr Mandat niedergelegt oder intrigieren gegen Sunak. Auch deshalb also der Blick gen David Cameron.
Bleibt die konstitutionelle Frage, wie ein ungewählter Politiker einen so wichtigen Kabinettsposten bekleiden kann. Schließlich gab Cameron 2016 mit dem Amt des Premierministers auch sein Mandat als Abgeordneter ab. Zur Lösung dieses Problems konnte Sunak in die Trickkiste seines Vorgängers Boris Johnson greifen: Um den ungewählten David Frost zu seinem Minister für Brexit-Belange zu machen, ließ jener selbsternannte Verfechter des Volkswillens Frost 2020 kurzerhand zum Lord im britischen Oberhaus ernennen. So tat es nun auch Sunak.
Suella Bravermann, die Cruella de Vil der Konservativen Partei, gibt sich derweil noch nicht geschlagen. Man werde von ihr hören, ließ sie verkünden.