Für Donald Trump war es die erste gute Nachricht in der Affäre um die Lagerung von Geheimdokumenten in Mar-a-Lago: Richterin Aileen Cannon verkündete am Montag schriftlich, die im Anwesen des Ex-Präsidenten beschlagnahmten Unterlagen von einem Sonderbeauftragten überprüfen zu lassen – und ihre Sichtung durch die US-Behörden bis dahin zu stoppen. Für viele Rechtsexperten ist die Entscheidung der 2020 von Trump ernannten Angehörigen der konservativ-libertären Juristenvereinigung Federalist Society ein haarsträubendes Fehlurteil.
"Das war eine beispiellose Intervention einer Bundesbezirksrichterin inmitten einer laufenden strafrechtlichen und sicherheitspolitischen Untersuchung", kommentiert Stephen I. Vladeck, Rechtsprofessor an der University of Texas, Cannons Verfügung in der "New York Times". Und die CNN-Analystin und ehemalige Bundesstaatsanwältin Jennifer Rodgers urteilt: "Der Beschluss der Richterin erscheint vielen Rechtsexperten, darunter auch mir, als äußerst schwach in seiner rechtlichen Analyse."
Donald Trump hatte Special Master zu FBI-Ermittlungen verlangt
Cannon hatte am Montag einer Klage von Trumps Anwaltsteam stattgegeben und die Benennung eines neutralen Sonderbeauftragten angeordnet, der die mehr als 11.000 Regierungsaufzeichnungen, die das FBI am 8. August in Mar-a-Lago sichergestellt hat, sichten und "Forderungen nach seiner Rückgabe" untersuchen soll. Die Richterin gestattete dem sogenannten Special Master nicht nur das Filtern von Materialien, die möglicherweise dem Anwaltsgeheimnis unterliegen, sondern auch von Dokumenten, die unter das "executive privilege" fallen. Das Exekutivprivileg ist das Recht eines US-Präsidenten, bestimmte Informationen über die Aktivitäten seines Büros vor dem Kongress oder der Justiz geheim zu halten. Es wird normalerweise im Interesse der nationalen Sicherheit angewandt oder um private Regierungsgespräche vertraulich zu behandeln und kann nicht aus persönlichen Gründen angeführt werden.
Cannon untersagte den Bundesstaatsanwälten auch, die beschlagnahmten Materialien weiter zu Ermittlungszwecken zu untersuchen und zu verwenden, bevor der Special Master seine Arbeit abgeschlossen hat. Zugleich räumte die 41-jährige der Nationalen Geheimdienstbehörde eine Ausnahmeerlaubnis ein: Sie darf die Unterlagen weiter "für die Zwecke der nachrichtendienstlichen Klassifizierung und der Bewertung der nationalen Sicherheit prüfen und verwenden."
Von "merkwürdig" bis "unhaltbar": Rechtsexperten kritisieren Urteil der Richterin
Das Untersuchungs- und Verwendungsverbot und die vermeintliche Arbeitsteilung – die Trennung zwischen "Ermittlungszwecken" und einer "nationalen Sicherheitsbewertung" – stoßen bei Experten auf Unverständnis. "Es ist unmöglich, diese beiden Entscheidungen miteinander in Einklang zu bringen", konstatiert Jamie Gorelick, Vize-Generalstaatsanwalt unter Präsident Bill Clinton, in der "Washington Post".
David Alan Sklansky, Rechtsprofessor an der Stanford University, betont in der "New York Times", er sei froh, dass die Arbeit der Geheimdienstbehörde angesichts ihrer Bedeutung fortgesetzt werden dürfe. Dennoch sei es ein inhärenter Widerspruch, der Exekutive zu erlauben, die Akten zu diesem Zweck zu verwenden, während sie gleichzeitig daran gehindert wird, sie für eine aktive strafrechtliche Untersuchung zu nutzen. "Es ist eine merkwürdige Situation, in der ein Teil der Exekutive das Material nutzen kann und ein anderer nicht."
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Schärfere Worte findet Paul Rosenzweig, ehemaliger Staatsanwalt und Beamter der Heimatschutzbehörde, in der Zeitung. Es sei ungeheuerlich, das Justizministerium daran zu hindern, Zeugen zu Regierungsakten zu befragen, von denen viele als klassifiziert gekennzeichnet sind und die Bundesagenten bereits überprüft haben. "Dies scheint mir eine wirklich beispiellose Entscheidung einer Richterin zu sein", so Rosenzweig. "Die laufenden strafrechtlichen Ermittlungen zu unterbinden, ist einfach unhaltbar."
Auch dass Cannon in ihrem Beschluss das Exekutivprivileg als Argument anführt, halten viele Experten für fragwürdig. Schließlich ist Trump längst nicht mehr Präsident, sondern Privatmann und es geht um Dokumente, die der Bundesregierung gehören, nicht Trump. Die Richterin "scheint das Wesen des Exekutivprivilegs nicht zu kennen", zitiert die "New York Times" den Rechtswissenschaftler Peter Shane. Es gebe keine Grundlage für sie, die Befugnis eines Sonderbeauftragten auf die Prüfung von Materialien auszuweiten, die möglicherweise auch unter das Exekutivprivileg fallen. Dieses Privileg diene normalerweise dazu, interne Beratungen der Exekutive vor der Offenlegung gegenüber Außenstehenden zu schützen, schreibt die Zeitung. Das Justizministerium sei aber selbst Teil der Exekutive und ein Gericht habe noch nie entschieden, dass sich ein ehemaliger Präsident auf das Privileg berufen kann, um Unterlagen aus seiner Amtszeit von der Exekutive selbst fernzuhalten.
Selbst Trumps früherer Generalstaatsanwalt William Barr hat für Cannons Urteil nur Kopfschütteln übrig: Die Richterin sei der Frage ausgewichen, ob der mögliche Anspruch des Ex-Präsidenten auf das Exekutivprivileg jemals über der Aufhebung desselben durch den amtierenden Präsidenten stehen könnte, sagte Barr im US-Sender Fox News. "Das Gesetz sagt hier, denke ich, ziemlich klar, dass das Justizministerium in der Lage sein sollte, diese Dokumente zu überprüfen."
Rechtsprofessor: "Dieses Urteil ist lächerlich schlecht"
Cannon begründete ihre Berufung eines Sonderbeauftragten auch mit einem möglichen Schaden, der Trump andernfalls entstehen könnte. "Zusätzlich zu der Tatsache, dass ihm möglicherweise wichtige persönliche Dokumente vorenthalten werden, was allein schon einen realen Schaden darstellt", drohe dem 76-Jährigen "ein nicht quantifizierbarer potenzieller Schaden durch die unzulässige Weitergabe sensibler Informationen an die Öffentlichkeit", schrieb die Richterin und deutete in einer Fußnote an, dass das Justizministerium die Akten an Reporter weitergeben könnte.
Dabei hob Cannon vor allem Trumps Status als ehemaliger Präsident hervor. "Aufgrund der früheren Position des Klägers als Präsident der Vereinigten Staaten ist das Stigma, das mit der Beschlagnahmung verbunden ist, in einer ganz eigenen Liga", schrieb sie. "Eine künftige Anklage, die sich in irgendeinem Maße auf Eigentum stützt, das zurückgegeben werden sollte, würde zu einem Imageschaden von ganz anderer Größenordnung führen."

Ronald S. Sullivan Jr., Professor an der Harvard Law School, nennt die Argumentation der Richterin in der "New York Times" "bestenfalls dünn", sie gebe der Tatsache, dass Trump ein ehemaliger Präsident ist, ein "unangemessenes Gewicht". "Ich finde das zutiefst problematisch", erklärt er und betont, dass das Strafrechtssystem alle Menschen gleich behandeln solle. "Dieses Gericht nimmt besondere Rücksicht auf den ehemaligen Präsidenten, die gewöhnliche, alltägliche Bürger nicht erhalten."
Samuel W. Buell, Rechtsprofessor an der Duke University, stimmt Sullivan in der Zeitung zu. "Für jeden ehrlichen Anwalt, der Erfahrung mit Bundesstrafgerichten hat, ist dieses Urteil lächerlich schlecht, und die schriftliche Begründung ist noch fadenscheiniger", zitiert ihn die Zeitung. "Donald Trump bekommt etwas, was sonst niemand vor einem Bundesgericht bekommt, er bekommt es ohne guten Grund."
Der ehemalige Vize-Generalstaatsanwalt Neal Katyal bezeichnete Cannons juristische Analyse im US-Sender MSNBC sogar als "schrecklich" und "furchtbar" und ätzte: "Ehrlich gesagt hätte jeder meiner Jurastudenten im ersten Jahr eine bessere Stellungnahme verfasst." Und Andrew Weissman, ein langjähriger Veteran des Justizministeriums und Rechtsanalyst bei MSNBC, nannte das Urteil "gesetzlos" und "verrückt".
Trumps Ex-Generalstaatsanwalt Barr empfiehlt dem Justizministerium, so wie viele Rechtsexperten, gegen Cannons Entscheidung vorzugehen: "Ich finde, das Urteil war falsch, und ich denke, die Regierung sollte dagegen Berufung einlegen. Es ist in vielerlei Hinsicht sehr fehlerhaft. Ich glaube nicht, dass die Ernennung eines Special Masters Bestand haben wird."
Noch hat das Ministerium sich nicht entschieden, ob es Barrs Ratschlag folgt. Vielleicht teilt es auch dessen Optimismus nicht. Denn über eine Berufung würde das 11. Berufungsgericht in Atlanta, Georgia verhandeln – und sechs der elf dort tätigen Richter wurden von Trump ernannt.
Quellen: "New York Times", "Washington Post", Fox News, CNN, MSNBC, Collins Dictionary, Courtlistener.com