El Kaida "Wir leben noch"

Unmittelbar vor dem dritten Jahrestag der Anschläge vom 11. September ist ein neues El-Kaida-Video aufgetaucht. Zu sehen ist Vizechef Eiman el Sawahiri, der die Lage der Amerikaner in Afghanistan als aussichtslos darstellt.

Dass sich das Terrornetzwerk El Kaida vor dem Jahrestag der Anschläge vom 11. September aus dem Untergrund zu Wort meldet, sollte niemanden überraschen. Denn schon im September vergangenen Jahres war pünktlich zum Jahrestag der Flugzeugattentate ein Video der Terroristenanführer aufgetaucht. Während der arabische Nachrichtensender El Dschasira damals noch einen Bergspaziergang von El-Kaida-Anführer Osama bin Laden und seinem ägyptischen Stellvertreter Eiman el Sawahiri zeigte, so trat der Vize diesmal alleine auf.

Zumindest die Auszüge des Videos, die der Sender ausstrahlte, enthalten keine direkten Anschlagsdrohungen. El Sawahiri bemüht sich lediglich, die Lage der Kämpfer in Afghanistan zu beschönigen und sagt den Amerikanern einen schmachvollen Abzug aus dem Irak und Afghanistan voraus. Er erklärt, der Osten und Süden Afghanistans würde vollständig von "Gotteskriegern" kontrolliert. Selbst in Kabul könnten sich die Amerikaner und ihre Verbündeten wegen der Selbstmordattentate nicht sicher fühlen.

"Jederzeit mit Märtyreranschlägen rechnen"

"In Kabul verstecken sich die Amerikaner und die Friedenstruppen vor den Granaten der Mudschahedin und müssen jederzeit mit Märtyreranschlägen rechnen", sagt der Bin-Laden-Vize. Das ist zwar stark übertrieben, aber ganz falsch sind die Behauptungen El Sawahiris aber nach Einschätzung unabhängiger Experten nicht, die auch die US-Darstellung in Zweifel ziehen, wonach die Koalitionstruppen angeblich das Land "im Großen und Ganzen" unter Kontrolle haben.

Erstaunlich ist diesmal die Wortwahl des Ägypters, der in Islamistenkreisen wegen seiner früheren Tätigkeit als Arzt auch "der Doktor genannt wird". Denn im üblichen El-Kaida-Jargon hätte er die Internationale Schutztruppe ISAF, der auch deutsche Soldaten angehören, eigentlich als "ungläubige Verbündete der Amerikaner" bezeichnen müssen und nicht als "Truppen zur Friedenssicherung".

Mit seinem blütenweißen Gewand und seiner ruhigen, beherrschten Stimme wirkt Eiman el Sawahiri in dem jüngsten Video fast wie ein strenger aber gütiger islamischer Scheich, der seine Schüler unterweisen will. Islamismus-Experten, die El Dschasira nach der Ausstrahlung des Videos befragte, meinten daher auch, Hauptziel dieser Botschaft sei es wohl, zu zeigen: "Wir leben noch und lassen uns nicht einschüchtern".

Präsenz auf dem Bildschirm

Unterstrichen wird diese Botschaft auch durch die außerordentlich gute Bildqualität des Videos, das sich schon dadurch von einigen früheren Video-Botschaften abhebt. Denn Eiman el Sawahiri, der gesund und gut genährt aussieht, ist auf dem Band so gut zu erkennen, dass wohl kaum Zweifel an der Echtheit der Aufnahme aufkommen dürften. Und gerade in Zeiten, in der die ausländischen Truppen in Afghanistan, die Aktivitäten der pakistanischen Regierung und der internationale Anti-Terror-Kampf den Aktionsradius von El Kaida einschränken und die Planung neuer Anschläge erschweren, ist es für das Netzwerk Bin Ladens wichtig, zumindest auf dem Bildschirm präsent zu sein.

US-Beamte spielten die Bedeutung des Videos herunter. El Kaida habe sich bislang jedes Mal zum Jahrestag der Anschläge gemeldet. "Wir hätten uns mehr Fragen gestellt, wenn dieses Mal nichts aufgetaucht wäre", zitierte die "New York Times" einen Geheimdienstbeamten. "Ich würde dem nicht zu viel beimessen."

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Anne-Beatrice Clasmann/DPA

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