Das Erste, was man von Elon Musks neuer Stadt sieht, ist Elon Musk selbst.
Eine drei Meter hohe goldene Büste des reichsten Mannes der Welt begrüßt Besucher am Rande eines schier endlosen Highways. Hier, in einer windigen Bucht am Golf von Mexiko im südlichsten Zipfel von Texas, liegt Starbase – eine 500-Einwohner-Gemeinde, die im Schatten von Musks riesigem SpaceX-Raketenstartplatz lebt. Und auch sonst ist ihr Idol omnipräsent.
Schwarz-weiße Fertighäuser, silberne Wohnwagenanhänger und Palmen säumen die Straßen. Teslas und Cybertrucks bevölkern die Einfahrten. Einer der Hauptboulevards heißt "Memes Street", ein anderer "Mars-a-Lago". Im Astropub wird Starbase Bier ausgeschenkt, am Gebäude gegenüber prangt ein lebensgroßes Wandgemälde der Cryptomünze Dogecoin.
Seit Neuestem darf sich die kleine Siedlung, in der einst die letzte Schlacht des Bürgerkriegs stattfand, offiziell Stadt nennen. Das haben 283 Wahlberechtigte – die meisten von ihnen SpaceX-Mitarbeiter – in einer viel beachteten Abstimmung vergangene Woche entschieden. "Starbase, Texas ist jetzt eine echte Stadt!", jubelte Musk auf X. Es ist ein willkommener Sieg für den Mann, dessen eigener Stern auf nationaler Bühne verblassen zu scheint.
Elon Musk will in Starbase seine Lebensmission verwirklichen
Im knapp 2000 Meilen entfernten Washington scheint Musk seinen Zenit überschritten zu haben. Lange galt er als rechte Hand von Donald Trump, gar als eine Art Schattenpräsident. Als De-facto-Chef der "Abteilung für Regierungseffizienz" ("Doge") trieb Musk wie kein anderer die unerbittliche Zerstörung des vermeintlichen Deep State voran. Mit Massenentlassungen – und mit der Kettensäge in der Hand. Doch seine radikalen Sparmaßnahmen kommen bei einem Großteil der Amerikaner nicht gut an. Seine Einmischung in die Ministerien stößt bei anderen Kabinettsmitgliedern auf Kritik. Und Musks Unternehmen – allen voran Tesla – verzeichnen schwere Einbußen.
Nun will der Mann, der es sich in Washington zur Aufgabe gemacht hat, Vorschriften und Regulierungen abzuschaffen, im ländlichen Texas selbst die Regeln neu diktieren. Denn Starbase ist nicht irgendeiner der insgesamt vier SpaceX-Standorte. Musk hat Starbase als Basis seiner neuesten Starship-Produktion auserkoren. Jene Raketen, mit denen er hofft, seine Lebensmission zu verwirklichen: die Besiedlung des Mars.
Doch nicht jeder freut sich über die raketenvernarrten neuen Nachbarn. In Brownsville, der nächstgelegenen 200.000-Einwohner-Stadt, ist die Stimmung angespannt. Seit sich SpaceX in Cameron County ein Jahrzehnt hier angesiedelt hat, sind die Mieten um fast 15 Prozent gestiegen. Lokale Umweltgruppen haben das Unternehmen wegen Verschmutzung einer nahegelegenen Bucht verklagt. Anwohner beschweren sich, dass ihre Häuser bei den Raketenstarts beben. Und, der vielleicht größte Streitpunkt: Der Zugang zum beliebten Strand Boca Chica ist vor und nach den Raketenstarts nun tagelang gesperrt.
"Ein Pakt mit dem Teufel" – so sehen es manche
Die Stimmung war nicht immer so. Als Elon Musk 2014 ausgerechnet Cameron County, einen der ärmsten Landstriche der Nation, als neuen Standort seines SpaceX-Hauptquartiers auswählte, war die Freude groß in Südtexas. Musk galt als Genie. SpaceX wurde als bahnbrechendes Startup-Unternehmen gesehen. Und der Bau des Raketenstartplatzes als wirtschaftlicher Coup für den rund 400.000-Einwohner-Bezirk gefeiert, der seit Langem mit hoher Armut und niedrigem Bildungsniveau zu kämpfen hatte.
Der erste Spatenstich im Boca Chica Village, einer nicht offiziell eingetragenen Gemeinde, fiel noch im selben Jahr. Musk erklärte damals, die Küste von Südtexas aufgrund des niedrigen Breitengrades, der Startmöglichkeiten über Wasser und der geringen Bevölkerungsdichte ausgewählt zu haben. "Wir haben viel Land, auf dem niemand ist, und wenn es explodiert, ist das cool", sagte er einst. Aber sein Unternehmen hatte auch einen guten Deal gemacht. Als Teil der Vereinbarung gewährte der Landkreis SpaceX einen zehnjährigen Grundsteuererlass, mit der Begründung, dass das Projekt für einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Region sorgen würde.
Bekah Hinojosa, eine Umweltaktivistin aus Brownsville, bezeichnet den Deal heute noch als "einen Pakt mit dem Teufel". "Während Elon Musk mit Geld um sich wirft, um sich Einfluss in unserer Gemeinde zu erkaufen, wird es für uns immer schwieriger, hier zu leben", sagt die 34-Jährige am Telefon. "Musk behauptet, dass SpaceX wirtschaftliche Vorteile bietet. Aber es sind unsere Mieten, die steigen, unsere Häuser, die bei den Starts beben, und unsere Natur, die verschmutzt wird."
Im Bezirksrat von Cameron County ist man anderer Auffassung. Hier wird die Aufnahme von SpaceX in die Gemeinde als ein kalkuliertes Risiko gesehen. SpaceX ist der größte Arbeitgeber in der Region. Das Unternehmen beschäftigt mehr als tausend Einwohner im Rio Grande Valley. Und jüngste Berichte zeigen, dass sich in Brownsville die Zahl der Haushalte mit hohem Einkommen in den letzten Jahren verdoppelt hat. "Wir haben seit Jahrzehnten eine Abwanderung von Fachkräften zu verzeichnen", sagte der führende Bezirksrichter Eddie Treviño, ein Demokrat, vor Kurzem in einem Interview. "Und zum Glück sehen wir, dass diese Abwanderung von Fachkräften abnimmt und sich sogar ins Gegenteil verkehrt."

Eine Firma, die de facto über eine Stadt herrscht
Mit der Gründung von Starbase befindet sich Elon Musk in der ungewöhnlichen Lage, de facto eine Stadt zu beherrschen – einst war das gar nicht unüblich. Ende des 19. Jahrhunderts waren Firmenstädte ein wichtiger Bestandteil der amerikanischen Wirtschaftsmaschine. Die Arbeiter lebten, wo sie arbeiteten, kauften ein in Firmenläden und schliefen in Häusern, die ihrem Arbeitgeber gehörten. Mit der Verbreitung des Autos, dem Aufkommen von Gewerkschaften und der fortschreitenden Industrialisierung wurde dieses Modell im Laufe der Zeit obsolet. Heute gibt es in den USA nur noch wenige Beispiele – etwa den Sonderbezirk von Walt Disney World in Orlando, Florida, der mit eigenen Problemen zu kämpfen hat.
Musk hatte in den vergangenen Jahren große Ankündigungen über die Zukunft seiner Firmenstadt gemacht. "Starbase wird in den nächsten ein bis zwei Jahren um mehrere tausend Menschen wachsen", schrieb er 2021 auf X. Im gleichen Jahr verlagerte Musk selbst seinen Hauptwohnsitz nach Texas. Er besitzt ein 35 Millionen Dollar teures Anwesen in Austin, gut fünf Stunden Fahrt von Starbase entfernt.
Ähnlich wie bei Doge wird Musk nicht offiziell für Starbase verantwortlich sein. Doch er kann sich sicher sein, dass der frisch gewählte Bürgermeister – ein Mann namens Bobby Peden – die Stadt ganz in seinem Sinne verwalten wird. Der 36-Jährige arbeitet seit mehr als zwölf Jahren bei SpaceX und ist Vizepräsident für den Test- und Startbetrieb in Texas. Bisher hat sich Peden noch nicht persönlich zu seinen Prioritäten als neuer Bürgermeister geäußert. In einem Post auf X schrieb der neue offizielle StarbaseTX-Account: "Eine Stadt zu werden, wird uns dabei helfen, die bestmögliche Gemeinschaft für die Männer und Frauen aufzubauen, die die Zukunft der Menschheit im Weltraum gestalten."
Anscheinend müssen erst noch mehr brennende Raketentrümmer an unseren Stränden landen, bis unsere Politiker den Mut finden, sich Musk zu widersetzen
Umweltaktivistin Hinojosa hat daran erhebliche Zweifel. Sie ist der Ansicht, dass Elon Musk das Votum über die Stadt nur erzwungen habe, um einen noch größeren Handlungsspielraum für sein Unternehmen zu gewinnen. "Er will noch mehr Fläche, die Anzahl seiner Raketenstarts erhöhen und die Bürokratie für Umweltvorschriften abbauen", so Hinojosa.
Was die Raketen angeht, scheint sich Musks Lobbying bereits auszuzahlen. Wie die US-Luftaufsichtsbehörde FAA am Dienstag verkündete, darf SpaceX in Texas nun bis zu 25 Raketen jährlich starten lassen – bisher war die Zahl auf fünf Starts begrenzt. Die Behörde erklärte, man habe nach jahrelanger Prüfung "keine erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt" feststellen können.
"Es ist tragisch", sagt Hinojosa. "Wir warnen die Menschen seit Jahren vor Elon Musk. Aber anscheinend müssen erst noch mehr brennende Raketentrümmer an unseren Stränden landen, bis unsere Politiker den Mut finden, sich Musk zu widersetzen."

Doch auf Bezirksebene haben sich die Fronten gegenüber SpaceX zuletzt verhärtet. Ein Gesetzespaket, das Musks Unternehmen sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus in Texas eingebracht hatte, um Gemeinden mit "Weltraumhäfen" die Erlaubnis zu erteilen, den Zugang zu öffentlichen Stränden zu beschränken, wurde vor zwei Wochen abgelehnt. Der Schritt, der speziell auf den Strand Boca Chica abzielte, ging selbst dem über viele Jahre freundlich gesinnten Vorsitz in Cameron County zu weit.
Dass sich der Wind in Südtexas schnell drehen kann, musste Musk erst kürzlich am eigenen Leib erfahren. Anfang April wurde seine goldene Büste vor den Toren von Starbase gewaltsam demoliert und große Teile der linken Gesichtshälfte abgeschlagen. Nun verdeckt ein riesiges pinkes Pflaster die Wunde.
Kein gutes Omen für den neuen Sheriff der Stadt.