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Entführungen in Israel Auge um Auge, Kind um Kind

Israel hat nach der mutmaßlichen Entführung dreier Siedler-Jungen eine massive Militäroperation gestartet. Auf Twitter tobt ein Stellvertreterkrieg der Hashtags.
Von Sophie Albers Ben Chamo

Sechs Tage nach der mutmaßlichen Entführung dreier israelischer Teenager ist die jüngste israelisch-palästinensische Auseinandersetzung vom alten Muster bestimmt: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Diesmal auch in den sozialen Netzwerken.

Während israelische Soldaten rücksichtslos Häuser und Straßen im Westjordanland durchkämmen, die Armee Vergeltungsangriffe auf Gaza fliegt und rund 200 Palästinenser verhaftet wurden, beschießt die Hamas die Stadt Ashkelon mit Raketen, werden Soldaten an Checkpoints angegriffen, und unter Palästinensern grassiert ein zynisches neues Siegeszeichen: Statt zwei benutzen sie drei Finger - wir haben drei von euch.

"Shuvu Achim" heißt die massive Militäroperation, mit der die israelische Armee nach den Jungen sucht, "Kommt zurück, Brüder". Einen Beweis, dass sie tatsächlich gekidnappt wurden, gibt es bisher nicht. Kein Bekennerschreiben und zum Glück keine Leichen. Im Augenblick sind es Reflexe und politische Interessen, die das ganze Land in eine schwere Krise stürzen.

Wieder eine Entführung?

Gilad Schaer, 16, Naftali Frenkel, 16, und Eyal Yifrah, 19, wurden am 12. Juni nahe der Siedlung Gush Etzion im Norden Hebrons, das im besetzten Gebiet liegt, zum letzten Mal gesehen. Sie wollten von der Religionsschule nach Hause trampen. Angeblich ging am späten Abend bei der Polizei ein Anruf ein, in dem sich einer der Jungen flüsternd meldete. Er wurde allerdings erst später ernst genommen.

Israels Premier Benjamin Netanjahu hat von Anfang an die Hamas für die Entführung verantwortlich gemacht. Und das, ohne irgendwelche Beweise zu liefern. Es geht einzig das Gerücht um, dass seit dem Verschwinden der Jungen zwei Hamas-Aktivisten abgetaucht seien. Für Netanjahu ist es eine weitere Entführung, mit der inhaftierte Palästinenser freigepresst werden sollen. So wie 2011, als der junge Soldat Gilad Shalit nach fünf Jahren in Gefangenschaft gegen mehr als 1000 Palästinenser ausgetauscht wurde. Netanjahus Gefolgschaft hetzt begeistert mit.

Die als Terrororganisation eingestufte Hamas ist eine radikalislamische Partei, die seit 2007 in Gaza regiert, die für Selbstmordattentate, Raketenangriffe und das Ziel, Israel zu zerstören, verantwortlich ist, und die den versöhnlicheren Kurs der Fatah im Westjordanland unter Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas immer militant abgelehnt hat. Bis vor kurzem, als Abbas' Bemühungen, die palästinensische Zukunft mit einer Einheitsregierung zu sichern, zu fruchten schienen.

Diese Zukunftsvision scheint nun zerschlagen, denn egal wie Abbas sich zu der mutmaßlichen Entführung verhält, er wird verlieren. Er hat sie bereits - ohne Schuldige auszumachen - verurteilt und die Rückkehr der Jungen gefordert. Stellt er sich aber hinter die Hamas, wird er westliche Unterstützung verlieren, was vor allem auch finanzielle Hilfe bedeutet. Tut er es nicht, reißt er seinem zarten politischen Pflänzchen eines geeinten Palästina die Wurzeln aus. Aber das Feld steht nun eh in Brand. Das ist vor allem auf Twitter gut zu verfolgen, wo der digitale Stellvertreterkrieg genauso in der Sackgasse endet wie die reale Auseinandersetzung.

Hamas - Falken, 1:1

In Anlehnung an die populäre Social-Media-Kampage #BringBackOurGirls für die in Nigeria von Islamisten entführten fast 300 Mädchen hat die israelische Armee den Hashtag BringBackOurBoys gewählt. Unter diesem Namen werden solidarisch Meinungen und Fotos gepostet und Demos organisiert. Doch die Wortwahl rächt sich. Die palästinensische Seite reklamiert den Slogan für sich, denn die israelische Armee "kidnappe jeden Tag palästinensische Kinder". Ob Instagram, Facebook oder Twitter, jedem israelischen #BringBackOurBoys folgt das palästinensische Äquivalent. "Ausweich-Hashtags" wie EyalGiladNaftali und das ebenfalls von der Armee gelieferte #LifeUnderTerror wurden auch schon von der Gegenseite benutzt. Die Kampage versinkt im Chaos.

Eben diese Kakophonie, die mehr zerstört als sie aufbaut, kommt allen zu Gute, die aus machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen gegen einen Frieden im Nahen Osten sind. Es gewinnen die, die sich in ihrer Macht eingerichtet haben und sie mit allen Mitteln zu erhalten suchen. Um der verschwundenen Jungen Willen und aller israelischen und palästinensischen Kinder, wäre diese Erkenntnis der erste Schritt, den beide Seiten seit Jahrzehnten nicht bereit sind zu gehen.

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