Im Auswärtigen Amt ist weit mehr über die dunkleren Seiten der deutsch-libyschen Beziehungen bekannt, als bisher vermutet. Das Ministerium streitet zwar ab, dass es in den Skandal um die Privateinsätze deutscher Polizisten und Soldaten in der nordafrikanischen Diktatur verwickelt ist. Dem Amt ist nach Informationen von stern.de aber geläufig, dass die Libyer im Jahr 2004 bei den Entschädigungszahlungen für die Opfer des libyschen Terroranschlags auf die La-Belle-Diskothek in Berlin ein doppeltes Spiel spielten: Sie wollten sich die Zahlungen allen Ernstes von am Libyen-Geschäft interessierten Firmen refinanzieren lassen.
Der damals verantwortliche Staatssekretär Jürgen Chrobog bestätigte gegenüber stern.de: "Das wurde von den Libyern ins Spiel gebracht. Aber", so Chrobog weiter, "das kam für uns nicht in Betracht". Auch eine Ministeriumssprecherin beteuert, dass es nach Kenntnis des AA "eine solche Abmachung nicht" gab.
Einen etwas differenzierteren Eindruck gewann einer der Teilnehmer der Gespräche, die Anwälte der La-Belle-Opfer 2004 mit der libyschen Gaddafi-Stiftung führten. Die Diplomaten schienen eine solche Refinanzierung der Entschädigungszahlung zwar abzulehnen, die Möglichkeit aber als gegeben hinzunehmen. Das Thema sei aufgekommen, so der Verfahrensbeteiligte zu stern.de, als die Verhandlungen im Mai und Juni 2004 ins Stocken geraten waren. Als mögliche Erklärung habe kursiert, dass die Libyer in ihren parallelen Gesprächen mit deutschen Firmen nicht recht vorankämen. Sinngemäß habe ein Diplomat gesagt: "Die Libyer sollen mal nicht so hoch pokern. Die wollen sich das eh wieder holen."
"Initiative der Menschlichkeit"
Unklar ist, wie sich das Kanzleramt verhielt, das damals von dem heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier geleitet wurde. Dort habe seinerzeit der Geschäftsführer der Gaddafi-Stiftung, Saleh Abdussalam, ebenfalls Gespräche geführt, sagte ein Diplomat zu stern.de. Was dort besprochen worden sei, wisse er nicht. Das Kanzleramt hat sich auf Anfrage bisher nicht geäußert.
Nach zähen Verhandlungen mit den Anwälten der Opfer hatte die libysche Gaddafi-Stiftung sich im September 2004 bereit erklärt, 35 Millionen Dollar für die Opfer des libyschen Terroranschlags auf die La-Belle-Diskothek in Berlin zu bezahlen - als "Initiative der Menschlichkeit". Nur dank der Entschädigungszahlungen wurde eine Normalisierung der deutsch-libyschen Beziehungen möglich - und damit auch der Tripolis-Besuch des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder im Oktober 2004.
Der Vorschlag, deutsche Firmen sollten die Entschädigung für die Terroropfer refinanzieren, kam angeblich von dem damaligen libyschen Botschafter Said Abdulaati. Er wurde unlängst aus Deutschland abberufen und gilt als Vertrauter von Saif al-Islam al-Gaddafi, einem Sohn des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi. Der Gaddafi-Sohn führt auch die Gaddafi-Stiftung und deutete Koppelgeschäfte bereits Oktober 2003 in der französischen Zeitung "Le Figaro" an. Damals ging es um Zahlungen an die französischen Hinterbliebenen eines libyschen Terrorattentats. Einen von Libyen angeblich geforderten Fonds, finanziert durch französische Unternehmen, lehnte die Regierung in Paris aber ab. Französische Konzerne schlossen laut dem Magazin "Le Point" trotzdem solche Geheimverträge ab. Auch deutsche Firmen seien bereit gewesen, zwei bis drei Prozent ihrer Auftragssumme an die Stiftung zu zahlen - so "Le Point" bereits im Januar 2004 unter Berufung auf Geheimdienstinformationen.
Deutsche Firmen haben "keine Berührungspunkte"
Wäre es zu solchen Überweisungen gekommen, hätte es sich theoretisch um Fälle von Auslandsbestechung handeln können. "Es wäre ein Grenzbereich", sagte der Baseler Professor und OECD-Korruptionsexperte Mark Pieth zu stern.de. "Die Frage wäre, ob es illegale Vorteile für die Firmen gab."
Die deutschen Unternehmen, die nach Abschluss der La-Belle-Verhandlungen mit Aufträgen in Libyen reüssierten, haben Zahlungen an die Gaddafi-Stiftung aber stets dementiert. Die BASF-Tochter Wintershall ist nach eigenen Angaben der größte ausländische Erdölproduzent in Libyen, hat aber nach den Worten von Sprecher Michael Grabicki keine Zahlungen an die Gaddafi-Stiftung geleistet.
Die Essener MAN Ferrostaal lässt ebenfalls wissen, sie habe "keine Berührungspunkte zur Gaddafi-Stiftung". Ferrostaal hatte im Jahr 2004 besonders viele Aufträge in der Pipeline. Ihr Vorstandsvorsitzender Matthias Mitscherlich hoffte im Oktober 2004 auf vier neue Projekte im Wert von 655 Millionen Euro.
Jetzt stellt Ferrostaal etwa im Auftrag der staatlichen libyschen Forschungsbehörde NBSR ein Wasserentsalzungsprojekt in Tajura fertig. Im Aufsichtsrat von MAN Ferrostaal sitzt heute der Mann, der seinerzeit im AA federführend die Verhandlungen mit Libyen begleitete: der im Juni 2005 pensionierte Staatssekretär Jürgen Chrobog. Er habe aber im AA nie mit libyschen Wirtschaftsfragen zu tun gehabt, sagt Chrobog. Auch seine heutige Tätigkeit im Aufsichtsrat von Ferrostaal stand "nie im Zusammenhang mit Libyen", sagt der ehemalige Diplomat.