Die Lage auf dem Tahrir-Platz in Kairo hat sich am frühen Donnerstagmorgen dramatisch zugespitzt. Vier Menschen sollen durch Schüsse ums Leben gekommen sein, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Arabija und berief sich auf Augenzeugen. Mehrere Menschen seien verletzt worden. Der britische TV-Sender BBC berichtete, bei den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern von Husni Mubarak seien am frühen Donnerstag mindestens zwei Menschen ums Leben gekommen.
Beobachter beklagten, dass die Armee nicht eingreife. Angeblich haben Anhänger von Präsident Husni Mubarak Gegner des Präsidenten beschossen.
Bei CNN hieß es, es seien auch Schüsse auch aus schweren Maschinengewehren abgefeuert worden. Überall gebe es Verwundete. Ein CNN-Reporter berichtete, Ärzte behandelten Verletzte direkt auf der Straße, nähten ihre Wunden. Mehrere Rettungswagen fuhren auf den Platz.
Schüsse von der Oktober Brücke
Mubarak-Anhänger hätten von der Oktober Brücke, einer nahen Hochstraße, auf die Regierungsgegner auf dem zentralen Tahrir-Platz geschossen, sagten Zeugen. Eine unabhängige Bestätigung gab es dafür zunächst nicht. Al Arabija berichtete, die Armee habe Warnschüsse abgegeben, um Mubarak-Anhänger davon abzuhalten, aus vorbeifahrenden Autos auf die Menge zu feuern. Vereinzelt waren Schüsse seit etwa 4 Uhr (Ortszeit, 3 Uhr MEZ) im Stadtzentrum zu hören, wie ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP berichtete.
Vielerorts hatten Demonstranten im Zentrum der Stadt bis zum Abend Schutzwälle aufgebaut. Zwischen den verfeindeten Lagern sorgten im "Niemandsland" auf dem Tahrir-Platz brennende Autos und Reifen für gespenstische Beleuchtung.
Bereits vorher waren auf Fernsehbildern Demonstranten zu erkennen, die sich mit Molotow-Cocktails, Steinen und anderen Gegenständen bewarfen. In einem Gebäude in der Nähe des Ägyptischen Museums auf dem zentralen Tahrir-Platz waren Flammen zu sehen, berichtete der CNN am frühen Donnerstag.
Knüppelschwingende Reiter auf Pferde und Kamelen
Die gewalttätigen Auseinandersetzungen hatten am Mittwoch begonnen, als eine Gruppe von mehreren tausend Mubarak-Anhängern auf den Tahrir-Platz geströmt war. Schlägertrupps und knüppelschwingende Reiter auf Kamelen und Pferden machten laut Augenzeugen gezielt Jagd auf die friedlich demonstrierende Menge. Auch Polizisten in Zivil sollen laut Augenzeugen unter den Angreifern gewesen sein. Die Kontrahenten bewarfen sich aus nächster Nähe mit voller Wucht mit Steinen. Das Militär, das sich zunächst zurückgehalten hatte, setzte schließlich Wasserwerfer ein, um das Treiben zu beenden.
Mindestens drei Menschen sollen bei den blutigen Zusammenstößen ums Leben gekommen sein. Mehr als 1500 Verletzte habe es gegeben, lautete am späten Abend eine Zwischenbilanz der Übergriffe Das Gesundheitsministerium nannte die Zahl von 639 Verletzten.
USA bemühen sich weiter um Einfluss
Inmitten der Krise versuchen die USA weiter Einfluss auf die Regierung in Kairo zu nehmen. Am Mittwoch (Ortszeit) telefonierte US-Außenministerin Hillary Clinton mit dem neuen ägyptischen Vizepräsidenten Omar Suleiman. Clinton habe von Suleiman eine Untersuchung der Übergriffe in Kairo verlangt.
Die Außenministerin habe dabei abermals die Gewalt verurteilt und die Verantwortung der ägyptischen Regierung betont, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Außenamtssprecher Philip Crowley der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge. Er wiederholte den Standpunkt der US-Regierung, wonach der politische Übergangsprozess sofort beginnen müsse. "Morgen ist nicht gut genug", sagte Crowley. Es müssten "sobald wir möglich" Wahlen stattfinden. "Wir wollen einen glaubwürdigen Prozess sehen, der zu freien, fairen und legitimen Wahlen führt", erklärte Crowley weiter.
Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) äußerte in einem Telefonat mit Suleiman die "Besorgnis" der Bundesregierung angesichts der "gewalttätigen Übergriffe". In einer Erklärung forderte er Kairo zum Dialog mit der Opposition auf. Im ZDF sagte Westerwelle: "Es ist aus unserer Sicht in keiner Weise hinnehmbar, dass Schlägertruppen friedliche Demonstranten niederknüppeln."
ElBaradei fordert Armee zum Schutz der Demonstranten auf
Angesichts der Exzesse forderte Oppositions-Vertreter Mohammed ElBaradei die Armee auf, weitere Angriffe der Mubarak-Anhänger auf die Demonstranten zu unterbinden. Die Armee müsse eingreifen, um das Leben ägyptischer Bürger zu schützen, sagte ElBaradei in einem Interview mit Al-Dschasira. "Es gibt eindeutige Beweise, dass die Polizei ihre Männer in Zivilkleidung auf die Demonstranten gehetzt hat", sagte der Friedensnobelpreisträger.
Auch nach Einschätzung eines deutschen Experten waren die Zusammenstöße "ganz klar inszeniert". Günter Meyer vom Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz sagte in einem ARD-"Brennpunkt" zudem, die Untätigkeit der Armee sei ein Zeichen ihrer Unsicherheit.