Die drei jungen Männer sind oberkörperfrei und unbewaffnet, als die Kugeln des israelischen Militärs sie auf offener Straße treffen. Einer von ihnen befestigte noch ein weißes Stückchen Stoff an ein Stockende, das Friedenszeichen in Kriegszeiten. Doch einige Dutzend Meter entfernt, einige Stockwerke über ihnen, im Aussichtspunkt eines Gebäudes im Shejaiya-Viertel von Gaza-Stadt, wittert ein Soldat eine Falle. Er eröffnet das Feuer.
Zwei der Männer sacken sofort zusammen, der dritte rettet sich in jenen Hauseingang, aus dem sie gerade gekommen waren. Der zuständige israelische Kommandeur befiehlt, das Feuer einzustellen. Seine Einheit nähert sich, sie hört Hilfeschreie auf Hebräisch. Plötzlich eilt der dritte Mann wieder nach draußen, dann wieder hinein. Die Soldaten verfolgen und töten ihn.
Kurze Zeit später wird ihnen bewusst: Sie haben gerade versehentlich ihre eigenen Landsmänner erschossen. Menschen, die sie doch retten sollten.
Jotam Haim, 28, Heavy-Metal-Schlagzeuger der Band Persephore.
Samer El-Talalka, 25. Er hätte nächsten Sommer heiraten sollen und begann schon, ein Haus zu bauen.
Und Alon Lulu Shamriz, 26, der im letzten Jahr noch Südamerika bereiste, so gern Basketball spielte und anfing, Computertechnik zu studieren.
Drei israelische Geiseln, die den Fängen der Hamas scheinbar irgendwie entkommen sind. Und die am Freitag doch den Tod fanden, weil zwei Soldaten die Einsatzregeln missachteten. So formuliert es das israelische Militär (IDF) selbst, nach ersten Untersuchungen.
"Ganz Israel trauert heute Abend", sagte Premierminister Benjamin Netanjahu in der Nacht nach den schrecklichen Nachrichten. Doch Israel trauert nicht nur. Israel ist zunehmend wütend. Vor allem jener Teil des Landes, der Verbindungen zu den noch 129 von der Hamas verschleppten Geiseln hat. Für ihre Familien ist der Tod der drei israelischen Männer ein Beweis dafür, dass Netanjahu versagt. Dass er nicht alles in seiner Macht Stehende tut, um ihre Liebsten aus Gaza zu holen. Dass das Töten von Terroristen wichtiger ist als das Leben von Israelis.
Die Geiseln hielten eine weiße Flagge
Am Samstag, dem Tag nach der Tragödie von Shejaiya, wartet die 24-jährige Ofir Weinberg am Museumsplatz von Tel Aviv auf Steffen Seibert. Der deutsche Botschafter soll hier drei deutschstämmige Geiselfamilien treffen. Weinbergs Blick schweift durch das Gedränge. Wie jeden Tag haben sich Tausende versammelt, um den Entführten zu gedenken, den toten und den lebenden. Nur Seibert lässt noch auf sich warten.