Hinter der Geschichte Mit Mohammed und Markus Söder: Fliegen in Zeiten des Krieges

Hinter der Geschichte: Mit Mohammed und Markus Söder: Fliegen in Zeiten des Krieges
© privat / stern
Wer seit dem 7. Oktober nach Israel reist, muss mit noch zeitintensiveren Kontrollen rechnen. Und manchmal auch mit dem ein oder anderen Politiker. Notizen von Flug LY354 nach Tel Aviv.

Making-of heißt unser neues Format. Wir wollen Ihnen einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, aus unserem journalistischen Alltag erzählen und von unseren Recherchen. Wir beginnen mit einer kleinen Serie, in der wir auf unsere Momente des Jahres 2023 zurückblicken. 

Die New Yorker haben John F. Kennedy, JFK, ihren Heimat-Airport. Mein Tor zur Welt heißt Franz Josef Strauß, was man in internationaler Flughafensprache leider nicht mit FJS abkürzt, sondern mit MUC für München. Hier beginnen meine Auslandsreisen für den stern, nach Helsinki, Riad oder Palma de Mallorca. Und eigentlich dachte ich, ich sei dort mit jedem Gate per Du. Bis ich neulich nach Tel Aviv flog. 

Terminal 1. Die Abflugtafel lotst mich zu Bereich F, einem mir bis dato völlig unbekannten Areal. Taxis dürfen hier nicht halten, schon vor dem Gebäude gibt es eine Zugangskontrolle, in der Halle patrouillieren Bundespolizisten mit Maschinenpistole im Anschlag auf einem erhöhten Umlauf. Gefängnis oder Gate? Im Onlineportal „Vielfliegertreff“ schimpfen sie diesen Teil des Airports kennerhaft einfach „Abflug F“. 

Hier findet der Check-in für alle sicherheitsrelevanten Linienflüge in München statt, was in Deutschland leider heißt: alle Starts nach Israel, auch schon zu Friedenszeiten. Nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober ist die israelische Airline El Al die letzte Verbindungsmöglichkeit von Deutschland nach Tel Aviv. Die Lufthansa hatte ihre Flüge kurz nach dem Überfall für den Rest des Jahres eingestellt. Von über 100 Linien, die Israel einst ansteuerten, sind Zweihandvoll geblieben, darunter Anbieter, die ich tunlichst gern vermeiden will, weil sie ein bisschen nach einer Absturz-Eilmeldung in der Tagesschau klingen.

Mein Kofferbändchen ist gelb, das der meisten Israelis grün – kein gutes Zeichen

El Al erscheint mir da doch als vertrauenswürdigerer Anbieter. Die Maschinen sind mit sensorgesteuertem Raketenabwehrsystem ausgestattet. Und auch in Abflug F nehmen sie es ernst mit der Sicherheit. Gegen das Verhör eines El-Al-Mitarbeiters wirkt die Einreisebefragung an US-Flughäfen wie nichtiger Smalltalk. 

Dinge, die gewusst werden sollen, bevor ich nach Tel Aviv fliege: Wer hat den Flug bezahlt? (Der stern.) Wieso schickt Ihre Organisation ausgerechnet Sie? (Mein Chef kann das besser beantworten.) Haben Sie eine Freundin? (Nein.) 

Der Herr blättert sich misstrauisch durch meinen Reisepass. Ich erkläre, dass ich in Bali Urlaub gemacht und in der Türkei über ein Erdbeben berichtet habe. Der Wächter über Flug LY354 scheint überzeugt, klebt dann aber doch ein gelbes Bändchen um meine Koffer. Die Israelis neben mir bekommen ein grünes. Ich werte das als kein gutes Zeichen.

Und tatsächlich: Nach beanstandungsloser Gepäckkontrolle durch die Bundespolizei führt mich El Al in einen kargen Raum. Mein Handgepäck wird minutiös zweitgecheckt, das Spiegel-Heft zerknittert, die Lutschpastillenpackung inspiziert, beides scheint keinen weiteren Verdacht zu wecken, denn: Ich darf einsteigen und mitfliegen. 

Im Terminal wird noch kontrolliert, Markus Söder schickt derweil schon Selfies aus dem Flugzeug

Auf dem Weg zum Platz entdecke ich einen bayerischen Mitbürger, der das Kontrollchaos clever umgangen hat. Markus Söder, tief in seinen Business-Class-Sitz versunken, legt das Kinn auf die Brust und lugt in sein Handy. Als ich noch in Halle F festhing, hatte er schon ein Selfie aus der Flugkabine auf Instagram gepostet. Ministerpräsident müsste man sein. In Sachen Flugzeit sind wir dann aber doch gleich, der Söder und ich. Dreieindreiviertel Stunden von München nach Tel Aviv.  

Auf dem Weg nach Tel Aviv: Das Kabineninnere einer Maschine der israelischen Fluggesellschaft El Al
Bitte anschnallen, Tische hochklappen und Zeit mitbringen: Mit der israelischen Airline El Al zu fliegen ist zwar sicher, kann aber Nerven kosten.
© Fabian Huber

Schon meine erste Reise dorthin im Oktober ist ein Kreuz gewesen: Israel hatte seine Bodenoffensive in Gaza noch nicht gestartet, ich flog über Thessaloniki, weil alle Verbindungen ausgebucht waren, vermutlich von Reservisten und Journalistinnen. Vor der Landung drehten wir Extrarunden über dem Mittelmeer, weil am Boden der Raketenalarm dröhnte und irgendwo auf dem Rollfeld des Tel Aviver Airports gerade Kanzler Olaf Scholz evakuiert wurde. 

Der interessantere Gesprächspartner auf dem Flug sitzt weiter hinten

Diesmal kreisen lediglich die Reporterfragen. Und zwar um Söder. Irgendwo über der Zentraltürkei bemüht er sich in die ersten Reihen der Economy-Class, um mit dem Pressetross zu sprechen, der ihn auf seinem Staatsbesuch begleitet. Ich sitze in Reihe 40 und fliege nicht Söder-bedingt nach Israel. Ich will in den Norden des Landes fahren, an die Grenze zum Libanon, wo es täglich zu Kämpfen zwischen dem israelischen Militär und der Terrorgruppe Hisbollah kommt. Ich will mit verschiedenen Israelis darüber sprechen, wie sie dieses Jahr verändert hat und welche Hoffnungen sie für 2024 haben.

Für Mohammed zum Beispiel, eine Sitzreihe schräg vor mir, einen arabischen Israeli, seit 20 Jahren in Deutschland, Zahnarzt in Ulm, geht es gerade flugs in die Heimat, um der Familie dort seinen neugeborenen Sohn vorzustellen. Er wäre ja lieber mit Ryanair oder Lufthansa geflogen, erzählt er. Bei El Al habe er schlechte Erfahrungen gemacht – als Mann mit dunklen Augen, schwarzem Vollbart, als Mohammed. Kategorie: gelbes Bändchen.

Wir setzen sanft in Tel Aviv auf. Kein Alarm. Leider aber auch kein Koffer. Vor lauter Kontrolle hat es mein Gepäck nicht mehr in den Bauch der Boeing geschafft. Am Lost-and-Found-Schalter treffe ich Mohammed wieder. Mein Koffer wird, vollkommen durchwühlt, erst zwei Tage später ins Hotel gebracht werden.