GIPFELTREFFEN EU vor ihrer größten Erweiterung

Der EU-Erweiterungsgipfel in Kopenhagen hat viel vor. Polen darf auf höhere Agrarzuschüsse der Europäischen Union hoffen, während Beitritts-Kandidat Türkei noch den Demokratie-Test bestehen muss.

Der heute begonnene EU-Erweiterungsgipfel in Kopenhagen soll bis Freitag die Bedingungen zur Vergrößerung der EU aushandeln. Polen darf auf höhere Agrarzuschüsse der Europäischen Union hoffen, während Beitritts-Kandidat Türkei noch den Demokratie-Test bestehen muss.

Bundeskanzler Gerhard Schröder jedenfalls sieht weiterhin »deutliche Defizite« bei den Menschen- und Minderheitenrechten, bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. »Für einen EU- Beitritt muss sich die Türkei einem tief greifenden gesellschaftlichen Wandel unterziehen«, sagte Schröder in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. In der aktuellen Diskussion geht es deshalb nach den Worten des Kanzlers »nicht um einen Termin für den Beitritt der Türkei, sondern um die Frage, wann Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen werden können«.

Polen hofft auf den Landwirtschafts-Topf


Polen hingegen rechnet mit höheren Leistungen aus dem Landwirtschafts-Topf der EU. Der polnische Regierungssprecher Michal Tober erklärte am Mittwoch in Warschau, Brüssel habe angeboten, die Zahlungen an die polnischen Bauern auf 50 Prozent der Leistungen für ihre Kollegen in den EU-Mitgliedsstaaten zu erhöhen. Die EU-Ratspräsidentschaft hatte zunächst 40 Prozent angeboten. Polen werde »bis zum Ende« für weitere Zugeständnisse kämpfen: neben höheren Direktbeihilfen für die Bauern auch höhere Milchquoten und Zuschüsse für die Sicherung seiner Ostgrenze.

Unterdessen warnte Erweiterungskommissar Günter Verheugen vor Verzögerungen bei der Aufnahme der Beitrittskandidaten. »Wenn es jetzt keinen Abschluss gibt, dann wird es von Monat zu Monat schwieriger«, sagte Verheugen unter Hinweis auf die schwierige Lage der Haushalte der EU-Mitglieder, speziell Deutschlands. Deutschland und andere Nettozahler in der EU hatten sich bislang stets gegen Forderungen der Kandidaten nach Zahlungen über den bisherigen Finanzplan hinaus, etwa bei Agrarbeihilfen, gewehrt.

Angesichts der nationalen Haushalte könnten höhere Kosten für die Erweiterung von den EU-Mitgliedern nicht als Kleinigkeit betrachtet werden, warnte Verheugen im Deutschlandfunk. Zugleich äußerte er Verständnis für die Forderungen der Kandidaten. Sie müssten von Anfang an hohe Beiträge an die Union bezahlen. Den Differenzen zum Trotz rechnet Verheugen mit einem Erfolg des Gipfeltreffens: Die Reibereien könnten das große Projekt der Erweiterung nicht verdunkeln, sagte er. »Ich bin zuversichtlich, dass wir ohne bis Sonntag in Kopenhagen bleiben zu müssen, eine Lösung finden werden.«

Kopenhagen steht seit langem fest als der Gipfel, an dem für zehn von 13 an einem EU-Beitritt interessierten Ländern grünes Licht gegeben werden soll. Für Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern heißt es dann: Die Verhandlungen sind beendet, jetzt werden die Verträge geschrieben und am 1. Mai 2004 erfolgt die Aufnahme.

Bislang größte EU-Erweiterung


Es ist die bislang größte Erweiterung der jetzt noch 15 Mitglieder umfassenden EU, vor allem aber bedeutet es erstmals die vollständige Integration von Staaten aus dem ehemals sowjetisch beherrschten Bereich Europas. Fünf der zehn werden im selben Jahr auch der NATO beitreten, drei sind bereits Mitglieder der Allianz.

Weil niemand mehr ernsthaft bezweifelt, dass es - und sei es trotz Reibereien bis zum Schluss - in Kopenhagen einen Handschlag mit den zehn Staaten geben wird, rückt immer stärker ein Kandidat in den Vordergrund, der nicht dabei sein wird: Die Türkei. Mit Bulgarien und Rumänien wird schon über einen Beitritt 2007 verhandelt. Die Türkei ist daher der einzige Beitrittskandidat, mit dem noch gar nicht verhandelt wird, und sie macht immer stärker Druck.

Vor allem die Bundesregierung tut sich als Fürsprecher der Türkei hervor, die endlich einen Termin für den Verhandlungsbeginn erfahren möchte. Selbst Griechenland, Nachbar und Erzrivale, verfolgt inzwischen eine Umarmungsstrategie gegenüber Ankara. Schützenhilfe bekommt die Türkei von den USA, die ebenfalls auf einen zügigen EU-Beitritt drängen. Andere verhalten sich reserviert oder gar ablehnend.

Als ein möglicher Kompromiss gilt »das Datum für ein Datum«: Es wird Ankara versprochen, bis zu einem klar festgelegten Termin ein Datum für Beitrittsverhandlungen mitgeteilt zu bekommen. Das dürfte zudem mit Bedingungen zur Umsetzung politischer und wirtschaftlicher Reformen verbunden werden, um die Türkei-Skeptiker zu beruhigen.

Das Türkei-Thema wird nach Erwartung von Brüsseler Diplomaten eines der beherrschenden auf dem Kopenhagener Gipfel werden. Noch völlig offen ist, wie intensiv die Staats- und Regierungschefs noch über die Finanzierung der EU-Erweiterung sprechen müssen. Der letzte Kompromissvorschlag der dänischen Präsidentschaft ist Berlin zu teuer. Möglicherweise finden aber schon die Außenminister der EU eine Einigung, wenn sie Anfang der Woche letzte Hand an den Fahrplan für die Kopenhagener Konferenz legen.

DPA