Griechenland im Chaos Auf Krawalle folgt ein Generalstreik

Keine Atempause in Griechenland: Ein schon seit einiger Zeit geplanter Generalstreik wird das Land an diesem Mittwoch lähmen. Nach Tagen und Nächten voller Gewalt eine explosive Lage. Am Dienstag nahmen Zehntausende Abschied vom getöteten 15-jährigen Schüler Alexis Grigoropoulos. Es folgten weitere Ausschreitungen.

Griechenland kommt in diesen Tagen nicht zur Ruhe. Wegen umfangreicher Streiks, an denen sich auch die Fluglotsen beteiligen, ist der griechische Luftraum seit Mitternacht Ortszeit (23 Uhr MEZ) für 24 Stunden geschlossen. Zu dem Streik hatten bereits vor zwei Wochen die zwei größten Gewerkschaften des Landes aufgerufen. Auch Schulen, Banken, Ministerien und andere Einrichtungen sollen bestreikt werden. Die Gewerkschaften protestieren damit eigentlich gegen die Lohnpolitik der konservativen Regierung. Nach dem Tod eines 15-Jährigen durch eine Polizeikugel in Athen planen die Streikenden aber auch Solidaritätsaktionen. Wegen drohender Ausschreitungen werde es aber nur eine zentrale Kundgebung und keine Demonstration durch die Straßen Athens geben, teilten die Gewerkschaften mit. Dies ist das einzige kleine Zugeständnis an die Regierung, die wegen der explosiven Lage im Land darum gebeten hatte, auf den Generalstreik zu verzichten.

Am Dienstag hatten Zehntausende Griechen bei Trauermärschen des 15-jährigen Schülers gedacht, der bei den schweren Krawallen in Athen durch eine Polizeikugel getötet worden war. Bei den Feierlichkeiten flammten die Zusammenstöße von Autonomen und Polizei zeitweilig wieder auf. Nach nächtelangen Krawallen mit brennenden Geschäften und schweren Verwüstungen droht die Regierung den Randalierern mit aller Härte der Staatsgewalt.

Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kam es am Abend sporadisch zu weiteren Ausschreitungen in Athen. Rund 50 Randalierer zündeten Mülltonen im Stadtteil Nea Smyrni an. Ein Polizist, der sich in Gefahr fühlte, feuerte nach Angaben der Polizeidirektion einen Warnschuss in die Luft ab, Augenzeugen sprachen von mindestens sieben Schüssen. Verletzt wurde niemand.

Auch nahe der Polizeidirektion von Athen sowie vor dem Polytechnikum kam es zu Krawallen. Die Polizei setze Tränengas und Schlagstöcke ein, um die Randalierer auseinander zu treiben. Autonome zerstörten in Thessaloniki eine Bankfassade. Auch im westgriechischen Patras kam es wieder zu Ausschreitungen mit Steinwürfen. Im Vergleich zu den Vortagen konnte die Polizei diesmal die Randalierer besser in die Schranken weisen

Beispiellose Welle der Gewalt

Seit dem Tod des Jungen am vergangenen Samstag erlebt Athen eine beispiellose Welle der Gewalt, die nach ersten Schätzungen der Wirtschaft Schäden von mehr als einer Milliarde Euro anrichtete. Der konservative Regierungschef Kostas Karamanlis suchte Unterstützung bei der sozialistischen Opposition, die ihm und den Sicherheitskräften allerdings Versagen vorwarf.

Zur Beerdigung des Schülers auf einem kleinen Friedhof in der Athener Vorstadt Palaio Faliro kamen außer der Familie und Freunden auch Schülervertretungen aus zahlreichen Gymnasien Athens zusammen. Schüler aus Nordgriechenland und von der Insel Kreta schickten Blumen, berichtete das Fernsehen. Als der Sarg aus der Kirche kam, brandete Beifall auf.

"Es ist der letzte Beifall für einen Jungen, den die Polizeigewalt von uns genommen hat", sagte ein Schüler im Radio, und überall waren weiße Nelken. "Sie symbolisieren in unserem Glauben die Unschuld des Jungen." Aus der Menge kamen auch harte Worte. "Bullenschweine - Mörder", skandierten einige. "Das vergossene Blut fordert Rache." Die Polizei beobachtete von einem Hubschrauber aus in diskreter Entfernung die Trauerfeier.

Auf vielen zentralen Plätzen im Land gedachten zeitgleich zehntausende Schüler des 15-Jährigen. Aus einer Demonstration von rund 5000 Schülern in Athen lösten sich rund 200 Jugendliche und bewarfen die Polizei mit roter Farbe, Steinen und Latten vor dem Parlamentsgebäude, wie das Fernsehen zeigte. Die Polizei setzte massiv Tränengas ein, um die Randalierer auseinanderzutreiben. Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kam es am Nachmittag sporadisch zu weiteren Ausschreitungen in Athen. Rund 50 Randalierer zündeten Mülltonnen an. Sie hatten zuvor an der Trauerfeier teilgenommen.

Schneise der Verwüstung

Im Athener Stadtzentrum hatten in der Nacht zum Dienstag rund 5000 zumeist vermummte Autonome hunderte Läden, öffentliche Gebäude und Autos in Brand gesteckt und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Die Sicherheitskräfte reagierten zumeist hilflos. Eine offizielle Bilanz der Schäden gab es zunächst nicht. Bei den schweren Ausschreitungen wurde sogar der Eingang des Außenministeriums verwüstet. "Ich bin wie gelähmt. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll", klagte der Inhaber eines Schuhgeschäfts an der Akademiasstraße im Zentrum. Sein Laden war nur noch ein verkohltes schwarzes Loch in dem Gebäude.

Ministerpräsident Karamanlis rief die politischen Parteien zur Geschlossenheit auf. "Das ist unsere Pflicht", sagte er nach einem Treffen aller Spitzenpolitiker bei Staatschef Karolos Papoulias. Der Regierungschef kündigte eine lückenlose Aufklärung der Hintergründe des Todes des 15-Jährigen an. "Ich habe dem Präsidenten des Landes versichert: Wir werden keine Gnade für die Verantwortlichen zeigen", sagte Karamanlis.

Die oppositionellen Sozialisten warfen der Regierung Versagen vor. Sozialistenchef Giorgos Papandreou griff Karamanlis scharf an. "Das Land verfügt nicht über eine Regierung, die den Bürger schützen kann", sagte Papandreou nach dem Krisentreffen. "Unsere Gesellschaft durchlebt eine schwere Krise", sagte er. "Das Volk vertraut der Regierung nicht mehr."

"Seine Ermordung hat die Demokratie verletzt"

Staatspräsident Papoulias rief seine Landsleute auf, das Gesetz zu achten. "Der heutige Tag der Beerdigung des Alexis Grigoropoulos ist ein Tag der Trauer. Seine Ermordung hat unsere Demokratie tief verletzt", ließ Papoulias mitteilen. "Ich als ein Mitglied der Generation, die harte Zeiten unserer Geschichte erlebt hat, fordere dazu auf, friedlich die Trauerfeier zu begehen", erklärte der 79-jährige ehemalige Widerstandskämpfer.

Nach wie vor herrscht Unklarheit über den genauen Hergang der Ereignisse, die zu dem Tod des 15-Jährigen führten. Der Polizist, der den tödlichen Schuss abgefeuert haben soll, bekräftigte, er habe Warnschüsse abgefeuert, von denen einer als Querschläger den Jungen getroffen habe. Klarheit darüber soll die ballistische Untersuchung der Kugel schaffen. Mindestens drei Augenzeugen sagten im Fernsehen, der Polizist habe direkt auf den Jungen gezielt und geschossen.

"Er hat unsere Seelen erheitert"

Mitschüler sagten griechischen Medien, dass der 15-Jährige ein ruhiger und ausgeglichener Mensch gewesen sei. "Er war ein junger Mensch, der genau wusste, was er wollte. Er sagte immer und direkt seine Meinung", sagte eine Mitschülerin. "Er hat immer unsere Seele erheitert, wenn wir traurig waren", fügte ein enger Freund hinzu.

Grigoropoulos stammte aus einer wohlhabenden Familie. Seine Eltern besitzen einen der bekanntesten Juwelierläden von Athen. Sein Vater ist Architekt. Der Junge besuchte eine der teuersten Privatschulen Griechenlands. "Andreas-Alexandros passt damit nicht ins Bild der Chaoten, die aus Frust über die ungerechte Gesellschaft alles kurz und klein schlagen", sagte ein Psychologe im Fernsehen.

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