Röntgenaufnahmen sollen zeigen, ob Geflüchtete bei der Angabe ihres Alters gelogen haben. Solche Tests schweben der britischen Innenministerin Suella Braverman vor. Sie führt mit diesem Plan fort, was ihre Vorgängerin Priti Patel angestoßen hat. Braverman kündigte laut "Independent" an, dass die "robusten" neuen Alterskontrollen bald eingeführt werden. Sie sollen Streitigkeiten über das Alter von Geflüchteten beilegen, die auf kleinen Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien kommen. Ein Expertengremium prüft demnach Optionen wie Röntgenstrahlen, Computertomografie und MRT-Bildgebung.
In puncto Röntgenärzte stößt der Plan auf Ablehnung. Ross McGhee, Präsident der Radiologen-Gesellschaft, sagte laut "Independent", das Personal solle sich weigern, die Tests durchzuführen. Sie könnten Risiken bergen und sollten nur bei medizinischer Notwendigkeit eingesetzt werden. Obwohl die Risiken gering seien, könne sich die Strahlung auf zellulärer Ebene auf den Körper auswirken. Und eine zu hohe Dosis stelle ein Krebsrisiko dar.
Gesundheitliche Bedenken sind das eine. Das andere ist der Zustand des Gesundheitswesens in Großbritannien. Es ist am Limit. Die vorgeschlagenen Alterstests würden zusätzlichen Druck auf ein System ausüben, das bereits an der Belastungsgrenze sei, zitiert der "Independent" McGhee. Und das in einer Woche, in der Premierminister Rishi Sunak versprochen habe, Wartezeiten im staatlichen Gesundheitssystem NHS zu reduzieren.
Das Gesundheitssystem in Großbritannien ist am Limit – lange Wartelisten
In seiner ersten großen Ansprache im neuen Jahr hatte der Premier von fünf Fundamenten gesprochen, auf denen er eine bessere Zukunft für "unsere Kinder und Enkelkinder" bauen wolle. Eines davon ist eine Verbesserung des Gesundheitswesens. Menschen sollen schneller diejenige Hilfe bekommen, die sie brauchen. Aktuell müssen sie warten. Manche lange. Zu lange.
Laut "Independent" warten mehr als 184.000 Patienten in England drei Monate oder länger auf wichtige Tests. Das habe im vergangenen Monat zu Warnungen geführt, dass die diagnostischen Bildgebungsdienste "kurz vor dem Scheitern" stünden. Radiologen-Präsident McGhee sagt: "Wir sind nicht in der Lage, genügend Mitarbeiter einzustellen und zu halten, um die Wartelisten, die wir bereits haben, abarbeiten zu können." Im Gesundheitswesen fehlt das Personal. Und die Lage spitzt sich weiter zu.
Menschen werden in Notaufnahmen nicht rechtzeitig versorgt
Das neue Jahr begann mit der schockierenden Nachricht, dass in Großbritannien nach Schätzungen von Verbänden 300 bis 500 Menschen pro Woche sterben, weil sie bei Notfällen nicht rechtzeitig oder nicht angemessen versorgt werden. Der Vizepräsident des Royal College of Emergency Medicine, Ian Higginson, wies die Vermutung zurück, dass es sich um vorübergehende Schwierigkeiten handle: "Wenn man vor Ort ist, weiß man, dass es sich um ein langfristiges Problem handelt, nicht nur um ein kurzfristiges".
Demnach dauerte es in der vergangenen Woche bei einem von fünf Patienten, die in England von einem Krankenwagen abgeholt wurden, länger als eine Stunde, bis sie in die Notaufnahme gebracht wurden. Zehntausende Patienten mussten mehr als zwölf Stunden warten, bis sie in der Notaufnahme versorgt wurden. Die britische Regierung macht die Folgen der Corona-Pandemie und die Grippewelle für die aktuelle Situation verantwortlich.
Das Personal hat genug. Es streikt.
Der kostenlose NHS leidet seit mehr als zehn Jahren unter harten Sparmaßnahmen. Das Personal hat genug davon. Es streikt. Unter anderem zogen in den vergangenen Wochen Beschäftigte des Pflegepersonals und der Rettungsdienste in den Arbeitskampf.
Das Gesundheitswesen ist bei Weitem nicht die einzige Branche, die Veränderungen fordert. Seit Monaten gehören Streiks zum Alltag in Großbritannien. Auch Bahnangestellte, Briefträger und Grenzpolizisten haben in den vergangenen Wochen ihre Arbeit niedergelegt. Meistens geht es ihnen um kräftige Lohnerhöhungen. Großbritannien hat mit einer Inflation von gut zehn Prozent zu kämpfen.
Premier Sunak wiederum kämpft gegen die Gewerkschaften an. Seine Lösung, um die seit Jahrzehnten größte Streikbewegung in Großbritannien zu beenden: die Einschränkung des Streikrechts. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, habe Sunak Wirtschaftsminister Grant Shapps beauftragt, so bald wie möglich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. "Die Regierung muss das Streikrecht schützen, aber auch Leben und Existenzgrundlagen", wird Shapps zitiert. Man hoffe zwar auf einvernehmliche Lösungen, werde aber sogenannte "minimum safety levels" einführen. Diese sollen gewährleisten, dass es in wichtigen Bereichen wie dem Gesundheitsdienst eine Art Grundversorgung gebe.
Die Ausgestaltung ist noch offen. Wie die "Financial Times" berichtet, könnte aber selbst der Kündigungsschutz gelockert werden. Das wollen sich die Gewerkschaften nicht gefallen lassen. Paul Nowak, Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes TUC, wird mit den Worten zitiert, es sei "falsch, undurchführbar und mit ziemlicher Sicherheit illegal", Menschen zur Arbeit zu zwingen, wenn sie für einen Arbeitskampf gestimmt haben. Die Gewerkschaften würden "bei jedem Schritt dagegen kämpfen" – sowohl im Parlament als auch vor Gericht.
Regierung lädt Gewerkschaften zu Gesprächen ein
Sunak und seine Regierung bekommen die Unzufriedenheit und den Druck der Ärzte, Pfleger und Sanitäter aber auch der Bevölkerung zu spüren. Die "Süddeutsche Zeitung" zitiert eine Yougov-Umfrage laut der die Mehrheit der Befragten nicht nur ein Verständnis für die Anliegen von Pflegern und Krankenschwestern habe, sie sehe die Hauptschuld für die Streiks ganz klar bei der Regierung.
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Von Smartphones noch keine Spur: Queen Elizabeth II. führt am 19. Dezember 1961 vom Buckingham Palace aus über das neu verlegte Tiefseekabel das erste transatlantische Telefongespräch mit dem kanadischen Premierminister John Diefenbaker.
Die sieht sich jetzt gezwungen zu reagieren. Für Montag hat Sunak Vertreter der Gewerkschaften zu Gesprächen eingeladen. "Wir möchten eine ehrliche Erwachsenenunterhaltung darüber führen, was das Land sich leisten kann, was verantwortbar ist für das Land", sagte der Premierminister am Freitag vor Journalisten. Am Samstag legte er nach und forderte "mutige und radikale" Schritte im Gesundheitswesen. Dass sich einiges ändern muss – da dürften sich alle Seiten einig sein.
Quellen: "Independent", "Süddeutsche Zeitung", BBC, "Huffington Post", "Financial Times", mit Material der AFP