Finnland hat seinen Nato-Mitgliedsantrag gestellt. Unter dem Eindruck des russischen Überfalls auf die Ukraine gibt das skandinavische Land damit seine jahrzehntelange Neutralität auf.
Mehr als 1300 Kilometer Grenze teilt sich Finnland mit Russland, beide Länder haben eine gemeinsame Geschichte. 1917 erklärte sich Finnland als unabhängig vom großen Nachbarn – die Verbindungen blieben jedoch eng. Und trotzdem – oder gerade deswegen – herrscht Misstrauen. Von der Hauptstadt Helsinki sind es nur 300 Kilometer Luftlinie bis nach St. Petersburg, das komplette finnische Staatsgebiet liegt in der Reichweite russischer (Atom-)Raketen.
Helsinkis riesige Unterwelt
Im Kalten Krieg bereitete man sich auf den Ernstfall vor: auf eine militärische Eskalation des Konflikts zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion auf europäischem Boden. "Helsinki ist vermutlich die einzige Stadt der Welt, für die es einen unterirdischen Generalplan gibt", erklärt die Stadtverwaltung der finnischen Hauptstadt. Seit den 1980er-Jahren wird unter den Straßen, Plätzen und Gebäuden der 630.000-Einwohnerstadt gebuddelt, gesprengt und gebohrt – inzwischen gibt es mehr als 400 unterirdische Einrichtungen, die zum Teil dem Schutz der Bevölkerung im Kriegsfall dienen sollen.
Dabei handelt es sich nicht nur um schnöde Tiefbunker, in denen Betten aufgereiht sind, sondern mehr als 90 dieser unterirdischen Bauwerke dienen in Friedenszeiten ganz anderen Zwecken: So gibt es ein Schwimmbad (natürlich mit Saunaanlage), einen Konzertsaal, ein Museum, ganze Einkaufszentren und eine Kartbahn, die in den Granit unter Helsinki geschlagen wurden – viele der Einrichtungen sind vorbereitet für den Fall der Fälle. Eine unterirdische Sportanlage kann zum Beispiel binnen 72 Stunden in eine Bunkeranlage inklusive Dekontaminationsduschen umgerüstet werden, schreibt Ilkka Vähäaho von der Bodenbehörde Helsinkis in seinem Führer "Helsinki Urban Underground Spaces". Auch ein 40 Meter tiefes Wasserreservoir gibt es unter dem Stadtzentrum, Fassungsvermögen: 35 Millionen Liter.
"Helsinki underground" wird ausgebaut
Kriegsgefahren sind jedoch nicht der einzige Grund, warum Helsinki auch nach unten wächst. Die Erdwärme wird von dem Granitgestein gehalten, sodass der Energieverbrauch für die unterirdischen Bauwerke niedrig ist, viele der Einrichtungen dienen auch der normalen Versorgung der Bevölkerung: etwa Parkhäuser, U-Bahnen und Energieanlagen. Hinzu kommt der geringere Flächenverbrauch an der Oberfläche. Ein weiterer Vorteil der Untergrundstadt: Sie schützt die Menschen im Winter schlicht vor den eisigen Temperaturen. Damit es nicht allzu schummrig wird, wurden spezielle Beleuchtungskonzepte für "Helsinki underground" entwickelt.
Platz genug soll inzwischen für die gesamte Bevölkerung Helsinkis in dem Höhlen- und Tunnelsystem sein. Wie viele Menschen jedoch wirklich vor einem Nuklearangriff in sicheren Bereichen geschützt und versorgt werden können, ist nicht bekannt. Überhaupt ist vieles von dem Megaprojekt nicht öffentlich, das Betreten etlicher Bereiche ist für Unbefugte nicht erlaubt – andere können hingegen besichtigt werden.
Mittlerweise erstreckt sich die Stadt unter der Stadt über eine Fläche von rund zehn Millionen Quadratmetern – größer als der Tegernsee in Bayern. Und gebuddelt, gesprengt, gebohrt wird weiter, das Labyrinth soll wachsen. In Zukunft sollen unter anderem der "Garden Helsinki" für Veranstaltungen, ein weiteres Museum und sogar ein Tunnel ins 100 Kilometer entfernt Tallin in Estland unter der Ostsee hindurch entstehen.
In der Fotogalerie oben sehen Sie einige der unterirdischen Bauwerke von Helsinki.
Quellen: Helsinki Tourist Information, "Helsinki Urban Underground Spaces", "Urban Underground Space", Nachrichtenagentur DPA