Wer Herschel Walker sieht, denkt zunächst nicht, dass da ein Politiker vor ihm steht. Der 62-Jährige lässt sich als ehemaliger Football-Profi wohl als quadratisch bezeichnen. Kaum ein Gramm Fett ist an dem Mann, der zwölf Jahre in der National Football League spielte. Noch vor wenigen Jahren gab Walker an, täglich bis zu 1000 Liegestütz und 2000 Sit-ups zu machen. Nun möchte der Ex-Sportler für die Republikaner zum US-Senator werden. In Georgia, dem Staat, der bei den letzten Wahlen in den USA zum Zünglein an der Waage für Joe Biden wurde und der auch jetzt ein entscheidender Schritt für die Mehrheit im US-Senat ist.
Wann genau es den ehemaligen Sportler Walker in die Politik gezogen hat, ist nicht bekannt, doch ein Mann dürfte großen Einfluss auf ihn gehabt haben: der ehemalige US-Präsident Donald Trump, mit dem er bereits seit Football-Zeiten befreundet ist und mit Trumps Kindern regelmäßig zur Disney World nach Florida reiste. Zur Präsidentschaftswahl 2016 unterstützte Walker Trump, auch vier Jahre später stand er an der Seite des Ex-Präsidenten, der nun wiederum Walkers Senatskandidatur unterstützt.
Seine Unterstützung ist keine Siegesgarantie: So haben Donald Trumps Kandidaten abgeschnitten

Donald Trump unterstützt Herschel Walkers Kandidatur
Dass die Trump’sche Unterstützung nicht von ungefähr kommt, dürfte auch an Walkers Einstellung liegen. Denn der 62-Jährige hat keinerlei Probleme damit, Trumps Märchen von einer verschobenen US-Wahl weiterzuverbreiten. Bereits kurz nach der Wahl erklärte Walker im Dezember 2020 in einem Interview bei "Fox News", dass er "garantieren könne, dass Joe Biden keine 50 Millionen Stimmen bekommen habe". Biden gewann die Wahl jedoch mit über 81 Millionen Stimmen (Anm. d. Red. Trump bekam etwas mehr als 74 Millionen) – mehr als je ein Präsidentschaftskandidat zuvor. Auch Trumps Lüge vom Wahlbetrug verbreitete Walker und erklärte am 4. Januar 2021, zwei Tage vor dem Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol, auf Twitter, dass Amerika "eine Reinigung braucht, die nur Donald Trump bewältigen kann". Es sei an der Zeit, wieder zu "Recht und Ordnung zurückzukehren und all die schlechten Schauspieler strafrechtlich zu verfolgen."
Während des Sturms von Trump-Anhängern auf das Kapitol verbreitete Walker Falschinformationen über Twitter und bezeichnete den Angriff als ein "Trojanisches Pferd". In einem Tweet behauptete er, dass der Sturm auf das Kapitol von Menschen verursacht wurde, die verhindern wollten, dass über Wahlbetrug geredet werde. In einem anderen Tweet legte Walker nahe, dass die Menschen nicht wie die Unterstützer Trumps aussehen würden. Dazu teilte er das Bild des mittlerweile als "QAnon-Schamanen" bekannten und verurteilten Jake Angeli, sowie von einer Hand, auf der vermeintlich das kommunistische Hammer-und-Sichel-Symbol als Tattoo zu sehen ist. Die Anschuldigungen gingen gar so weit, dass sich die betroffene Person selbst im Internet meldete, mitteilte er sei kein Kommunist und das Symbol ein Logo aus dem beliebten Computerspiel "Dishonored" ist – was die Entwickler auch selbst bestätigten.
Auch im eigenen Wahlkampf gegen den demokratischen Senator Raphael Warnock scheint Walker jedes Mittel recht, um zum Wahlsieg zu kommen. So berichteten "Washington Post" und "Atlanta Journal-Constitution" im Juni, dass Walker bereits in den vergangenen Jahren damit prahlte, dass er FBI-Agent gewesen sei und für die Polizei in Cobb County in Georgia gearbeitet habe. In einer TV-Debatte mit Warnock hielt er kürzlich eine Polizeimarke öffentlichkeitswirksam in die Kameras – Sprecher von beiden Organisationen verwiesen jedoch darauf, dass Walker nie in der Strafverfolgung gearbeitet habe. Zwar halte er den Titel "Honorary Deputy" in Cobb County und drei anderen Bezirken, jedoch habe dieser keinerlei Bedeutung oder Funktion, erklärte Staatsanwalt Tom Morgan der "Washington Post". Auch die Aussagen Walkers, dass er sein Studium als einer der Besten an der University of Georgia abgeschlossen habe, erwies sich als Lüge. Gleich mehrere US-Medien berichteten, dass Walker die Universität ohne Abschluss verließ, um sich seiner Football-Karriere zu widmen. Erst nach den Berichten wurden die Angaben auch auf der offiziellen Wahlkampf-Seite Walkers geändert.
Herschel Walker tappt immer wieder in Fettnäpfchen
Politisch positioniert sich der 62-Jährige wie viele andere Republikaner, sein Fokus liegt vor allem auf der Wirtschaft. So möchte er verstärkt fossile Energie ausschöpfen, um die USA unabhängig zu halten, er fordert den Ausbau der Keystone Pipeline, die Erdöl aus dem Westen Kanadas in die USA transportiert. Walker gibt sich dazu als Förderer von Sicherheits- und Streitkräften. Das Zeigen einer Polizeimarke, dazu die stetigen Verweise auf die (nicht vorhandene) Karriere bei der Polizei sollen das Gefühl von Sicherheit vermitteln. Gleichzeitig setzt sich Walker für höhere Ausgaben für Armee und Polizei ein – und warf seinem Kontrahenten Warnock vor, das Budget für die Polizei kürzen zu wollen, was sich erneut als Lüge erwies. Walker setzt in seiner Kampagne auf die Inflation, während die Demokraten die Abtreibungen als ihr Hauptthema platzieren. Er möchte Steuern senken, sein Mantra ist "Georgia first".
Doch auch bei politischen Themen sind die Fettnäpfchen nicht weit von Walker entfernt und unweigerlich werden Parallelen zu seinem Freund und Förderer Donald Trump bekannt. Im August 2020 erklärte Walker in einer Talkshow, dass er ein Spray gefunden habe, dass von Corona heile. Nur wenige Monate zuvor hatte der damalige US-Präsident Trump öffentlich darüber fabuliert, Menschen Desinfektionsmittel zu spritzen.
Und auch bei einem anderen Thema gerät Walker derzeit in Bedrängnis. Der 62-Jährige hat sich öffentlich gegen Abtreibungen positioniert, will sie im ganzen Land generell und unabhängig von den Umständen verbieten. Anfang Oktober bezichtigte ihn eine Ex-Freundin, ihr im Jahr 2009 eine Abtreibung gezahlt zu haben. Als Beleg präsentierte sie das Bild eines Schecks über 700 Dollar, den ihr Walker wenige Tage nach der Abtreibung schrieb. Am Mittwoch trat eine weitere Frau vor die Presse und erklärte, dass ihr Walker 1993 einen Schwangerschaftsabbruch gezahlt habe und sie persönlich zu einer Klinik in Dallas gefahren habe.
Er drohte Frauen mit dem Tod
Nicht nur diese Episode des Privatlebens sorgt in den USA für viel Aufsehen. Nach dem Bekanntwerden der ersten Abtreibung stellte sich Christian Walker, öffentlich gegen seinen Vater. "Er hat vier Kinder von vier verschiedenen Frauen und war nirgends, um nur eines von ihnen aufwachsen zu sehen. Er war außer Haus um Sex mit anderen Frauen zu haben", warf der 23-Jährige seinem Vater auf Twitter vor. Erst im Juni musste Walker nach einem Bericht von "The Daily Beast" zugeben, dass er neben Christian noch drei weitere Kinder hat, über die er bis zu diesem Zeitpunkt geschwiegen hat. Sein Sohn Christian Walker legte Anfang Oktober nach, schrieb bei Twitter über die körperliche Gewalt seines Vaters, der sich gerne als Familienmensch ausgibt. "Du warst kein ‚Familienmensch‘ als du uns verlassen hast, um andere Frauen zu vögeln, uns mit dem Tod gedroht hast und dafür gesorgt hast, dass wir sechs Mal in sechs Monaten umgezogen sind, um vor deinen Gewalttätigkeiten wegzurennen", heißt es in dem Tweet. Er kümmere sich nicht um Menschen, die eine schlechte Vergangenheit hatten, dafür aber Verantwortung übernommen haben. Aber wie könne es sein Vater wagen zu lügen und sich zu verhalten, als sei er ein aufrechter Christ. "Du hast ein Leben damit verbracht, das Leben anderer Menschen zu zerstören."
Auch Christians Mutter Cindy Grossman hatte bereits in der Vergangenheit von häuslicher Gewalt erzählt. Nach der Scheidung berichtete Grossman, dass Herschel Walker sie während der Ehe mit Messern bedroht und ihr auch eine geladene Waffe an den Kopf gehalten hätte. Walker selbst machte seine dissoziative Identitätsstörung, bei der verschiedene Identitäten das Verhalten einer Person beeinflussen, für die Trennung verantwortlich. Auch Myka Dean, eine der Liebschaften des Footballstars, gab laut einem "AP"-Bericht an, dass Walker ihr damit gedroht habe, ihr "den Kopf wegzupusten" nachdem sie die Beziehung 2012 beendete. Es war jedoch nicht das erste Mal, dass Walker Mordgedanken hegte. Bei einem Besuch von Soldaten erzählte Walker bereits 2019, dass er eine Person ermorden wollte und schon zur Waffe gegriffen hatte. Ein Jesus-Sticker auf dem Auto der Person habe ihn jedoch besänftigt. Walker selbst zeigte sich reumütig, gab viele Fälle von häuslicher Gewalt zu.
Georgia könnte zum Zünglein an der Waage für die US-Politik werden. Mit einem Sieg könnte Walker die Patt-Situation im Senat beenden. Gegenwärtig halten sowohl Demokraten als auch Republikaner dort 50 Sitze, die entscheidende zusätzliche Stimme hat die demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris. Mit einem Triumph könnte Walker dieses Gebilde kippen und den Republikanern die erhoffte Mehrheit verschaffen.
Die Chancen für Walker stehen trotz der Skandale nicht schlecht. In den letzten Umfragen lagen der 62-Jährige und der amtierende Senator Raphael Warnock nahezu gleichauf. Warum das so ist, erklärte die "New York Times"-Journalistin Maya King kürzlich in einem Podcast. "Herschel Walker ist ein Halbgott in der Sport- und Kulturwelt Georgias", spielte sie auf die Erfolge des Politikers als Runningback an der Universität an. Walker hatte 1982 die Heisman Trophy gewonnen, die wichtigste Einzelauszeichnung im College-Football und ist bis dato der letzte Spieler aus Georgia, dem das gelungen ist. Walkers Ruhm sei es, der die republikanischen Wähler in Georgia antreibe. "Sie mögen es, dass einer der größten Namen in der Geschichte des Staates ihr Parteibanner trägt", so King. Und so könnte trotz aller Skandale Herschel Walker am 8. November in den US-Senat einziehen – Donald Trump wäre stolz auf ihn.
Quellen: CNN (1), CNN (2), Washington Post, New York Times, Alabama Political Reporter, Yahoo, Daily Beast