In den USA gleicht das bisherige Wahljahr einer politischen Achterbahn. Hatten im Frühling angesichts von Inflation und steigenden Spritpreisen noch die Republikaner ihr Momentum, konnten die Demokraten infolge des umstrittenen Abtreibungsurteils ihre Wählerschaft über den Sommer kräftig mobilisieren. Nun, eine gute Woche vor den wichtigen Zwischenwahlen, scheint sich der Wind erneut zugunsten der Konservativen zu drehen.
Generell gelten die Midterms als erste Zwischenbilanz für den amtierenden Präsidenten und werden von den Wählerinnen und Wählern traditionell dazu genutzt, um die Regierungspartei abzustrafen. So ging der Kongress 2006 unter George W. Bush an die Demokraten, während der Amtszeit von Barack Obama zweimal (2010 und 2014) an die Republikaner und mit Donald Trump im Weißen Haus 2018 erneut an die demokratische Partei.
Vieles deutet daraufhin, dass die Demokraten ihre knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus, das vollständig neu gewählt wird, auch diesmal verlieren werden. Im Senat – wo 35 Sitze neu vergeben werden – könnte es dagegen für die Konservativen eng werden. Wie weit sich das politische Gewicht verschiebt, wird sich auch in den Gouverneurswahlen zeigen. Ein Überblick.
Kurz vor Midterms: Demokraten und Republikaner buhlen um Stimmen
Lange Zeit sah es so aus, als würden die Republikaner in gewohnter "it's the economy, stupid"-Manier eine Welle lostreten – ganz im Sinne der Midterms-Tradition. Seit Anfang des Jahres verbreiten sie die Botschaft, dass Präsident Joe Biden und seine Demokraten Schuld an der schwierigen Wirtschaftslage seien und die Alltagssorgen der Bürgerinnen und Bürger ignorieren würden. Eine Strategie, die in Zeiten stark gestiegener Verbraucherpreise und einer Inflationsrate von zuletzt 8,2 Prozent aufzugehen scheint. Denn wirtschaftliche Fragen und insbesondere die Inflation sind für die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner das drängendste Thema – und dazu eines, bei dem der konservativen Partei durchaus mehr Kompetenz zugetraut wird.
Unterdessen versuchen die Demokraten fieberhaft den Spieß umzudrehen und die Aufmerksamkeit auf ihre eigenen Errungenschaften zu lenken: Den Rückgang der Spritpreise, die Aufhebung der meisten Corona-Beschränkungen und nicht zuletzt das milliardenschwere Klimaschutz- und Sozialpaket. Die Entscheidung des Supreme Court am 24. Juni, das seit fast 50 Jahren geltende Grundrecht auf Abtreibung abzuschaffen, kam dabei wie gerufen. Das Urteil löste ein politisches Erdbeben aus und verschaffte den Demokraten ein unverhofftes Wahlkampfthema mit enormem Mobilisierungspotential – zumindest über den Sommer.
Doch mit Beginn der kalten Jahreszeit, einer noch immer rekordverdächtig hohen Inflation und steigenden Lebenshaltungskosten scheint sich das Blatt wieder zugunsten der Republikaner zu wenden. Abseits von ihrem Steckenpferd Wirtschaft lenken die Konservativen die Debatte kurz vor der Wahl verstärkt auf den Kampf gegen das Verbrechen – mit Erfolg. Selbst in der Demokraten-Hochburg New York zeigt sich in den letzten Wochen, dass Kandidaten, die Kriminalität in den Fokus rücken, in Umfragen aufholen.
"Ich wünschte, die Wahl wäre vor einem Monat gewesen", bringt es der demokratische Stratege Navin Nayak in der "New York Times" auf den Punkt. Denn Meinungsforscher sind sich einig, welche Partei es schafft ihre Themen prominent in den Köpfen der Wählerinnen und Wähler zu verankern, wird am Ende die meisten Stimmen holen.
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Knappes Rennen in beiden Kammern erwartet
Damit läuft die Zeit gegen die Demokraten, die mit dem aktuellen Patt im Senat und nur einer hauchdünnen 222:213-Mehrheit im Repräsentantenhaus keinen Spielraum für Fehler haben. Tatsächlich müssten die Republikaner – dank Umverteilung von Wahlbezirken – nur fünf Sitze holen, um das Abgeordnetenhaus wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Damit die Demokraten an der Macht bleiben, müssten sie eine Reihe entscheidender Swing-State-Bezirke erobern und davon rund 80 Prozent gewinnen, meinen politische Analysten. Ein unwahrscheinliches Szenario.
Hoffnungen setzen "die Blauen" stattdessen auf den Senat. Derzeit halten sie dort 48 der 100 Sitze, zwei Unabhängige stimmen nahezu immer mit ihnen – und bei Gleichstand hat Vizepräsidentin Kamala Harris das letzte Wort. Doch auch hier können es sich die Demokraten nicht leisten, auch nur einen einzigen Sitz zu verlieren. Zwar konnten die Konservativen in den wichtigen Swing States Nevada, Pennsylvania und Wisconsin zuletzt ihre Umfragewerte verbessern, die Gewinne wurden jedoch teils durch die Skandale anderer republikanischer Senatskandidaten zunichte gemacht. So wird in Georgia der Wahlkampf von Trump-Freund Herschel Walker durch Behauptungen überschattet, er habe die Schwangerschaftsabbrüche zweier Ex-Freundinnen finanziert – und das als strikter Abtreibungsgegner.
Politikstrategen zufolge könnte sich die Kontrolle über die Kammer am Ende in drei Bundesstaaten entscheiden: In Nevada und Georgia, wo die demokratischen Amtsinhaber – Catherine Cortez Masto und Raphael Warnock – jeweils eine Wiederwahl anstreben, und in Pennsylvania, wo der zurückgetretene Republikaner Pat Toomey einen freien Sitz hinterlässt. Die Partei, die zwei dieser drei Rennen für sich entscheidet, ist Hochrechnungen zufolge klar in der Favoritenrolle für die Senatsmehrheit.
Ob es am Ende zu der vorhergesagten "roten Welle" kommt, oder ob die Demokraten doch genug Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen können, wird sich auch in den Gouverneurswahlen zeigen. In 36 Staaten steht das mächtigste Amt in einem Bundesstaat zur Abstimmung. Für einige republikanische Kandidaten eine gute Gelegenheit, um sich für die Präsidentenwahl 2024 ins Spiel zu bringen. Für die Demokraten hingegen sind Gouverneure inzwischen oft das letzte Bollwerk bei Themen, wie Waffengesetze, Stimmrechte und Abtreibung, die nun in der Hand der Staaten liegen.
Eine Wahl über Joe Biden – und Donald Trump
Wie eine dunkle Wolke schwebt auch hier die hohe Unbeliebtheit von Joe Biden über den demokratischen Kandidaten. Umfragen zeigen zwar, dass sich der Präsident von seinem absoluten Tiefpunkt im Sommer leicht erholen konnte, doch seine Zustimmungswerte verharren im niedrigen 40-Prozent-Bereich. Laut der Statistikseite "Fivethirtyeight" befürworten nur knapp 42 Prozent seine Politik, 53 Prozent lehnen sie hingegen ab.
Kein Wunder also, dass sich Biden im Wahlkampf lange bedeckt hielt und selten die Werbetrommel für demokratische Kandidaten rührte. Stattdessen wurde er nicht müde, die Midterms als "wichtigste Zwischenwahlen unseres Lebens" zu betiteln. Dies sei keine bloße Abstimmung, betonte der Präsident erst am Freitag im wichtigen Swing State Pennsylvania. "Es ist eine Wahl zwischen zwei völlig unterschiedlichen Visionen von Amerika", warnte er und spielt damit unverhohlen auf Donald Trump an.
Zwar steht der Ex-Präsident selbst namentlich auf keinem Wahlzettel, doch bei den Republikanern ist er nach wie vor die dominierende Persönlichkeit in der Partei – wenn auch längst nicht unumstritten (lesen Sie hier mehr dazu). Dies schmälert jedoch kaum seinen Einfluss im Wahlkampf, bei dem er zahlreiche ihm treu ergebene MAGA-Kandidaten unterstützt. Viele, wie die rechte Gouverneurs-Anwärterin Kari Lake in Arizona, der Senatskandidat und Promi-Arzt Mehmet Oz in Pennsylvania sowie der populistische Erfolgsautor J.D. Vance in Ohio wiederholen bei nahezu jeder Gelegenheit Trumps vielfach widerlegte Wahlbetrugsvorwürfe.
Im Endspurt vor dem 8. November setzen Biden und seine Demokraten nun alles daran, ihre Midterms-Botschaft mit Warnungen vor einer Rückkehr Trumps und seinen Anhängern im Kongress zu versehen. Elise Stefanik, eine führende republikanische Abgeordnete, wirft den Demokraten hingegen Ablenkung vor. Die demokratische Partei versuche dies in eine Wahl über Trump zu verwandeln, sagt sie. Das sei falsch. "Es ist eine Abstimmung über Joe Biden."
Quellen: "NY Times", "The New Yorker", "Washington Post", "CNN", "Fivethirtyeight", mit DPA- und AFP-Material