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Demokraten-Parteitag Tränen der Vernunft

Wie erwartet wurde Hillary Clinton in Philadelphia zur Präsidentschaftskandidatin der Demokraten gewählt. Unerwartet dagegen kam Bills Liebesrede, das Feuerwerk der Gefühle und mehr noch: das große Schmusen von Clinton-Fans und Gegnern.
Von Norbert Höfler, Philadelphia

Die Mittagssonne sticht vom Himmel aber Rachel Moss will nicht aufgeben. Die 19-Jährige steht vor dem Convention Center in Philadelphia und schreit sich die Seele aus dem Leib. "Bernie, Bernie, Bernie. Niemals Hillary!" Sie will in letzter Sekunde die Revolution retten. Sie will, dass alle Amerikaner eine Krankenversicherung bekommen, dass sich Studenten nicht mehr bis zum Hals für ihre Ausbildung verschulden müssen, dass faire Mindestlöhne gezahlt werden. Das alles hatte Bernie Sanders versprochen. Rachel will diesen Traum vom sozialen Amerika nicht aufgeben. "Das habt ihr in Deutschland doch auch", sagt sie. Und fragt dann fast schüchtern: "Das ist kein Kommunismus - oder?"

"The Sandman" vs. "Goldman Girl" - der Showdown

So steht sie da und bittet und bettelt und schreit. Erblickt sie offizielle Parteidelegierte, die am Abend für Hillary oder Bernie stimmen werden, hält sie ihnen ein knallgelbes Plakat entgegen. Ihre ganze Familie hat daran gearbeitet und getextet. Ein Auszug draus: "Der größte politische Showdown des Jahrhunderts!"

Bernie Sanders, genannt "Lefty", genannt "The Bern", genannt "The Sandman" gegen Hillary Clinton, genannt "Kriegstreiberin", gennant "Goldman Girl", genannt "Monsanto Mama", genannt "Die Frackerin". Der Kampf ist vorbei. Am Dienstagabend wählten die US-Demokraten zum ersten Mal eine Frau zu ihrer Präsidentschaftskandidatin. Sie haben damit Geschichte geschrieben.

Rachel steht erschöpft vor der Halle. Auf die Frage, wen sie denn nun bei der Präsidentenwahl am 8. November ihre Stimme gibt, sagt Rachel: "Ich wähle Hillary Clinton." Und ihre gelben Plakate? "Eines davon hänge ich in mein Zimmer. Der Rest liegt irgendwo in einem Papierkorb,“ sagt sie. Und fügt dann hinzu: "Wir müssen vernünftig sein." Was ist passiert? Gehirnwäsche? Die Sonne? Oder eine geheime Hillary-Droge?

Es ist der Erfolg des Projekts "Einheit für Hillary" - Politik und viel Gefühl: Drinnen in der Die Wells Fargo Arena in der sonst das NBA-Team der Philadelphia 76er spielt, sprechen Eltern von Adoptivkindern, dann schwarze Mütter, deren farbige Söhne von Polizisten erschossen wurden, es folgt Schauspielerin und Feministin Lena Dunham, ein Überlebender von 9/11, eine ehemalige Zwangsprostituierte, es spricht Madeleine Albright, die erste weibliche US-Außenministerin - und dann kommt Bill Clinton.

Bills Liebesbrief an Hillary 

Er erzählt davon, wie er sich in Hillary verliebt hat. Von ihrem ersten Haus. Von der Geburt ihrer Tochter Chelsea. Und warum Hillary die beste Mutter ist und die beste Präsidentin aller Zeiten sein wird. Die Schilder dazu lauten: "Change Maker!" und "America". Bill Clinton spricht sehr leise. Er zieht das Publikum in seinen Bann. Ihn würden sie glatt wieder wählen.
Schauspielerin Meryl Streep und Soul-Sängerin Alicia Keys folgen. Ihre gemeinsame Botschaft: Leute, haltet zusammen. Die Pappschilder dazu lauten: "History!" (Geschichte!).

Tatsächlich ist den Demokraten in den ersten beiden Tagen auf ihrer Versammlung ein kleines Wunder gelungen. Sie haben den verfeindeten "Bernie"- und "Hillary"-Lagern eine Brücke gebaut: politisch und emotional. Viele Sanderistas werden im November nun doch Hillary Clinton wählen. Nur wenige bleiben bei ihrem schroffen Nein. Sie sagen, Hillary sei käuflich, eine Marionette der Wall Street, unehrlich und nicht vertrauenswürdig. Einige wollen aus Wut über die Clintons sogar Trump wählen, einige die Grüne Partei von Jill Stein

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Hillary Clinton braucht sie alle dringend

Hillary Clinton braucht Rachel und Co. dringend. Sie ist auf die Einheit ihrer Partei angewiesen. Sonst könnte sie tatsächlich gegen den Angstprediger Donald Trump verlieren. In den jüngsten Umfragen steht es 48 zu 45 - für Trump.

Also musste die Bernie-Bombe auf der Versammlung bis zum Dienstagabend entschärft werden. Das gelang mit Geduld, Gefühl und einer geschickten Parteitagsregie. Die 20.000 Sitzplätze in der Wells-Fargo-Arena waren schon am Montag bis unters Hallendach voll besetzt. Es war der Tag für Bernie Sanders. Auf Großleinwänden wurde noch einmal ein Werbespot aus dem Vorwahlkampf gezeigt, der den 74-jährigen Senator aus Vermont berühmt gemacht hatte.

Und Paul Simon spielt "Bridge over troubled water"

Es singen Simon & Garfunkel "America", zu sehen sind Frauen und Männer, Junge und Alte, das Amerika der einfachen Leute. Manche in der Halle sind so gerührt, sie weinen. Sie dürfen noch ein Mal träumen, von der Revolution. Und dann steht da auf einmal der echte Paul Simon auf der Bühne und singt "Bridge Over Troubled Water". Die Taschenlampen der Handys leuchten hell im Hallendunklen. Viele tanzen. Das Signal der Parteitagsregie: Kommt rüber. Wir müssen zusammen halten.

Und immer wieder kurze Reden. Fast alle enden damit, warum es richtig ist, Hillary zu wählen. Eine junge Tochter illegaler Immigranten aus Mexiko erzählt von ihrer Angst, dass die Eltern abgeschoben werden. Sie schluchzt: "Ich fürchte, ich komme nach der Schule nach Hause und das Haus ist leer." Im Publikum weinen manche mit. Hillary verspricht ein modernes Einwanderungsrecht. Eine lesbische Priesterin lobt Hillary für ihre Unterstützung der Schwulen, Lesben und Transsexuellen in Amerika und auf der ganzen Welt. Hillary will die Gleichstellung.

Ein schwarzer Senator aus Maryland träumt den amerikanischen Traum und erzählt von seinem Vater, der auf Baumwollfeldern geschuftet hat. Hillary will gleiche Chancen für alle.
Popstar Demi Lovato spricht über ihre Depression und singt ihren Hit "Confident". Auch Lovato ist für Hillary. Denn sie verspricht, das Gesundheitswesen zu reformieren. Psychische Kranke sollen nicht mehr auf der Straße leben müssen oder, wie so oft, im Knast enden.

Nun werden in der Halle hunderte Pappschilder verteilt zum Jubeln und in die Höhe halten. Darauf steht: "Stronger together" (Gemeinsam sind wir stärker) oder "We will rise!" (Wir schaffen es!) Michelle Obama tritt auf. Ihre Rede wird zur Sensation. 2008, in den Vorwahlen, kämpfte sie mit ihrem Mann noch gegen die Clintons. Nun bekennt sie sich zu Hillary und sagt: "Wegen Hillary Clinton halten es meine Töchter für möglich und normal, dass eine Frau Präsidentin werden kann. Bei dieser Wahl stehe ich zu ihr." Passend dazu verteilt die Parteitagsregie Schilder mit dem Aufdruck "I'm with her - she is with US" (Ich stehe zu ihr - sie steht zu uns/zu Amerika). Der Widerstand der Bernie-Fans bröckelt.

Schließlich kommt Bernie Sanders selbst auf die Bühne. Neue Pappschilder werden verteilt. Nun heißt es darauf: "Bernie - a Future to believe in" (Bernie - Zukunft, an die wir glauben). Sanders räumt seine Niederlage ein und erklärt: "Hillary Clinton muss die nächste Präsidentin werden." Seine Anhänger rufen "Bernie, Bernie". Hillary-Fans antworten mit "Hillary, Hillary". Am Ende verschmelzen die Rufe.

Bernie Sanders rollen Tränen über die Wangen

Und die Seelenmassage geht weiter. Sanders trifft renitente Delegierte aus Kalifornien, Alaska und anderen Bundesstaaten. Manche sind nun sauer auf Sanders. Sie wollen bei der Abstimmung am Abend den Aufstand proben. Es gibt Buh-Rufe für ihn. Er lockt ("Unsere Revolution geht weiter!") und er droht denen, die im November nicht wählen wollen ("Wie wollt ihr euren Kindern erklären, dass ihr Trump geholfen habt.") Um 17.20 Uhr Uhr am Dienstag beginnt dann die Abstimmung. Ein so genannter "Roll Call": Nacheinander geben die Bundesstaaten ihre Voten ab. Von Alabama bis Wyoming. Um 18.39 Uhr erreicht Hillary Clinton die Mehrheit der Stimmen. Sie ist nominiert.
Bernie Sanders rollen Tränen über die Wangen. Seine Frau Jane tröstet ihn. Um 18.54 Uhr ruft er ins Saalmikrofon: "Ich bin bewegt, Hillary Clinton ist die Kandidatin der Demokraten für das Amt der Präsidentin der Vereinigten Staaten.“ Fast alle jubeln. Die Pappschilder zeigen ein großes "H" für Hillary.

Am Ende der ersten beiden Tage wird per Video der "Fight Song" gespielt, Hillarys neue Wahlkampfhymne. Und dann erscheint Hillary selbst. per Live-Schaltung aus New York. Es heißt, dort arbeite sie bis zur letzten Minute an ihrer Rede, die sie am Donnerstagabend halten wird.

Es wird möglicherweise ihr wichtigster Auftritt in diesem Wahlkampf. Wenn sie schon nicht die Herzen der Bernie-Anhänger gewinnt, so erreicht sie vielleicht doch deren Vernunft. So wie Rachel Moss, der jungen Frau mit dem knallgelben Plakat. Rachel meldet sich spät nachts noch einmal per SMS. Sie schreibt: "Wenn Hillary Präsidentin wird und sie dann versagt, wandere ich nach Deutschland aus. Ich studiere Linguistik. Ich lerne schon deutsch. Auf Wiedersehen."

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