Die Nato will bei einem historischen Gipfel in Lissabon die Eiszeit mit Russland beenden. Die 28 "Chefs" der Alliierten werden dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in Lissabon anbieten, bei der künftigen Raketenabwehr mit der Allianz zusammenzuarbeiten. Diplomaten und Militärs sprechen schon von einem Verteidigungssystem von "Vancouver bis Wladiwostok".
Die Beziehungen zu Moskau waren lange wegen des russischen Georgien-Feldzuges 2008 gestört. Die Führung in Moskau sieht sich zudem durch die Osterweiterung der Allianz bis an die russische Grenze bedroht.
Das zweitägige Treffen in der portugiesischen Hauptstadt beginnt am Freitag. Der Flugverkehr im Luftraum über Lissabon ist bis Sonntag aus Sicherheitsgründen eingeschränkt. An den Grenzen und Flughäfen kontrollierten Polizisten Pässe - auch von Bürgern der Schengen-Staaten. Rund 10 000 Beamte der Stadtpolizei sowie der Nationalgarde sind im Einsatz.
Bei dem Gipfel werden rund 50 Staats- und Regierungschefs erwartet, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama. Rund 20 Staaten, die nicht in der Nato vertreten sind, sind in Afghanistan engagiert und ebenfalls in Lissabon dabei.
Die Gipfelrunde will einen allmählichen Abzug der rund 130 000 internationalen Soldaten der Nato-geführten Afghanistan-Schutztruppe Isaf einläuten. Vom kommenden Jahr an sollen die afghanischen Sicherheitskräfte schrittweise die Verantwortung übernehmen - Ende 2014 soll der Prozess enden. Der Gipfel ist nach Ansicht von Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen einer der wichtigsten in der Geschichte der 61 Jahre alten Militärallianz.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) will im übernächsten Jahr damit beginnen, deutsche Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. "Vorbehaltlich der Entwicklung der Sicherheitslage ist es unser Ziel, unser eigenes Kontingent im Jahr 2012 zum ersten Mal zu reduzieren", schrieb der Vizekanzler in der Donnerstagsausgabe der Zeitung "Die Welt".
Obama kommt nach der Wahlschlappe seiner Demokratischen Partei politisch geschwächt nach Lissabon. In Washington ist die Ratifizierung des Start-Vertrags zur atomaren Abrüstung in Gefahr.
Der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, zeigte sich dennoch kämpferisch und sagte, dass sich das Weiße Haus durch die konservative Blockade-Haltung nicht abschrecken lasse und glaube, die nötigen Stimmen zusammenzubekommen.
Zur Ratifizierung ist im 100-köpfigen Senat eine Zweidrittelmehrheit von 67 Stimmen nötig. Im Anfang November neu gewählten Senat verfügen die Demokraten zusammen mit zwei Unabhängigen nur noch über 53 Stimmen.
Der Start-Vertrag steht zwar nicht auf der Tagesordnung des Gipfels, ist aber für die Beziehungen zu Russland sehr wichtig. Obama und Medwedew hatten das Abkommen im April unterzeichnet. Es sieht vor, die Zahl der nuklearen Sprengköpfe innerhalb der nächsten sieben Jahre von je 2200 auf 1550 zu reduzieren.
Polen spricht sich dafür aus, dass die Nato mit Russland zusammenarbeitet. Das schrieb Präsident Bronislaw Komorowski in der Zeitung "Gazeta Wyborcza". Diese Politik könne allerdings nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten Osteuropas betrieben werden, warnte er.
Zum Nato-Russland-Treffen am Samstag bemerkte der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogosin in seinem Twitter-Blog, alle Dokumente seien unterschriftsreif. Beide Seiten hätten Schweigen über die Inhalte vereinbart. "Wenn dieses Verfahren von keiner Seite verletzt wird, dann gibt es beim Gipfel fruchtbare Ergebnisse."
Zum möglichen gemeinsamen Raketenabwehrsystem äußerte er sich aber erneut skeptisch. "29 Finger können nicht gleichzeitig auf 29 Knöpfe drücken. Und wir werden sicher niemandem erlauben, mit seinen Fingern unsere Knöpfe anzurühren."
Wichtige Einzelheiten des Nato-Raketenschirms wie die endgültigen Kosten und die Kommandostruktur sind noch nicht klar. Das System soll die Bevölkerung der Bündnispartner vor Raketenangriffen schützen - vor allem aus dem Iran. Der Gipfel will Teheran in der neuen Nato-Strategie aber nicht namentlich anprangern, um die Türkei nicht zu verärgern. Die neue Strategie, eine Art Grundgesetz des Bündnisses, soll am Freitagabend verabschiedet werden. Die bisher letzte Strategie stammt aus dem Jahr 1999.