Presseschau zum Atomabkommen "Seltsame Koalition verteufelt den Iran"

Tauwetter zwischen dem Westen und Iran: Nach jahrelangen Atomstreit könnte der Konflikt beigelegt werden. Israel sieht hingegen sein Überleben bedroht. Auch die internationale Presse ist gespalten.

Die Grundsatzeinigung in dem seit mehr als einem Jahrzehnt andauernden Atomstreit mit dem Iran hat weltweit ein geteiltes Echo ausgelöst. US-Präsident Barack Obama lobte die Vereinbarung als historischen Schritt. In Teheran brachen spontane Jubelfeiern aus. Mit Bestürzung reagierte dagegen Israel. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sieht das Überleben Israels gefährdet. Er appellierte an die Unterhändler des Westens: "Standhaft sein, den Druck auf Iran erhöhen - so lange, bis ein gutes Abkommen erreicht ist."

Die internationale Presse ist sich in ihrem Urteil über das Abkommen ebenfalls uneinig. Während die einen das Abkommen als Meilenstein der Geschichte feiern, verstehen die anderen die Sorgen Israels.

"Le Monde", Frankreich

"Eine seltsame Koalition bestehend aus der Führungsmacht der Sunniten in der arabischen Welt, Saudi-Arabien, Israel und der republikanischen Mehrheit im US-Kongress hat sich gebildet, um die Atom-Vereinbarung mit Iran zu verurteilen. Diese Koalition hat Iran verteufelt und ihn zum strategisch ärgsten Feind der Region hochstilisiert, noch weit vor den Dschihadisten des Islamiaschen Staats. (Präsident Barack) Obama wird sie mit großem Einsatz  beruhigen müssen. Für den US-Präsidenten ist es wichtig, auch den zweiten Teil der politisch-diplomatischen Verhandlungen mit dem Iran zum Erfolg zu führen.

New York Times, USA

"Beide Seiten sind bedeutende Kompromisse eingegangen. Die Vereinigten Staaten mussten akzeptieren, dass der Iran seine nukleare Infrastruktur in einer geschrumpften Form beibehält. Für den Iran bedeutet die Einigung harte Produktionsbeschränkungen und, wie Mr. Obama es ausgedrückt hat, das strengste Inspektionsregime der Geschichte.

Es ist noch zu früh, zu sagen, ob die Kompromisse die nächste und letzte Verhandlungsrunde überstehen werden, oder für Kritik an Washington und Teheran."

"Der Standard", Österreich

"Der Wert des Abkommens für die Eindämmung des iranischen Atomprogramms für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre sowie als Nichtverbreitungsmodell für nukleare Schwellenstaaten ist nicht zu leugnen. Die Frage für die Iran-Gegner bleibt, was nach Ablauf des Abkommens sein wird. (...) Die Hoffnung, dass der Iran eine Entwicklung nimmt, die ihn zu einem "ganz normalen" Land im Nahen Osten werden lässt, ist für die US-Regierung offenbar intakt.

In der Tat stimmen alle (unabhängigen) Iran-Experten im Großen und Ganzen darin überein, dass die Islamische Republik trotz ihrer ideologischen Aufstellung auch ganz pragmatische Züge hat - und dass der Trend besonders in den vergangenen Jahren eher in Richtung Nationalstaat mit pragmatischen Interessen als zur Versteinerung des vielzitierten "Gottesstaats" geht."

"Neue Zürcher Zeitung", Schweiz

"Iran hätte schon längst eine Einigung mit dem Westen haben können, hätte es nicht stur auf einem eigenen Anreicherungsprogramm beharrt. Dieses ergibt in kommerzieller Hinsicht keinen Sinn. Iran kann den Uranbrennstoff für seine Reaktoren viel günstiger in Russland beziehen. Auch die Dimensionen der Anlagen lassen eher auf militärische als auf kommerzielle Zwecke schliessen. Einen grundlegenden Kurswechsel hat Iran daher wohl nicht vollzogen. Darüber muss sich der Westen im Klaren sein, wenn er mit dem Teheraner Regime einen politischen Handel abschliessen will."

"Stuttgarter Zeitung", Deutschland

"Militärisch lassen sich manche Probleme eben nicht lösen - siehe Afghanistan, siehe Irak. Obama bevorzugt eine Außenpolitik, die vor allem auf das Wort setzt statt auf Gewalt. Ein Atomvertrag mit dem Iran wäre ein positives Resultat dieses Ansatzes. Doch die Gegner werden alles tun, um dem Präsidenten diesen Erfolg nicht zu gönnen. Es soll wohl niemand sagen können, Obama habe seinen Friedensnobelpreis doch verdient."

"Frankfurter Rundschau", Deutschland

Zum ersten Mal nach 25 Jahren haben die USA im Nahen Osten einer vertraglichen Regelung mit einem regionalen Partner zugestimmt, statt diesen mit Kommissstiefeln, Panzern, Raketen und Drohnen zu zermalmen. Obama war zum Verhandeln gezwungen, um der Mehrheit der Senatoren und Repräsentanten etwas vorweisen zu können. Aus diesem disparaten Milieu wird der Nachfolger Obamas kommen, falls nicht ein sensationeller Wandel geschieht. Bis dahin hat der aktuelle Herr im Weißen Haus noch gut zwei Jahre Zeit, das festzuzurren, was zum Nutzen einer etwas stabileren Ordnung jetzt vereinbart wird. Es sind andere, auf ihre Art gefährlichere Konflikte, die zu bewältigen nun begonnen werden muss: IS, Palästina, Syrien, Kurdistan, Al-Kaida. Dass die Weiterverbreitung von Atomwaffen wohl abgewendet werden kann, ist nur ein Anfang.

"De Telegraaf", Niederlande

"Der Iran droht seit 36 Jahren, Israel von der Landkarte zu tilgen, und ließ erst in dieser Woche erneut wissen, dass die Vernichtung des Judenstaates nicht verhandelbar sei. Israels Ministerpräsident  Benjamin Netanjahu ist daher zu Recht sehr besorgt wegen des konzipierten Atomdeals zwischen dem Iran und sechs Großmächten. (...) Es darf nicht vergessen werden, dass es hier de facto um einen terroristischen Staat geht. Die iranischen Revolutionären Garden gelten als Verantwortliche für eine lange Reihe von Anschlägen überall in der Welt. Die vom Iran ausgehende Gefahr ist ungeachtet aller lobenden Worte über den historischen Charakter der Vereinbarungen noch längst nicht überwunden."

"Duma", Bulgarien

"Die Menschen in Teheran gingen auf die Straße und feierten mit lauten Partys. Sie hatten einen Anlass zu feiern. Aber nicht etwa, weil sie US-Präsident Barack Obama im Fernsehen sahen, was im Iran außerordentlich selten vorkommt, sondern weil die sechs verhandelnden Mächte und der Iran ein wichtiges Abkommen über Teherans Atomprogramm erzielt haben. Für die Iraner bedeutet es das Ende der harten Sanktionen. Dies wird, es versteht sich, nicht sofort geschehen. Am Donnerstag wurde nur die Rahmenvereinbarung beschlossen - es werden allerdings Hoffnungen gehegt, dass das endgültige Abkommen bis 30. Juni fertig sein wird. Mit anderen Worten: Es stehen noch lange und mit Sicherheit nicht leichte Verhandlungen bevor. Wichtig ist aber, dass der große Schritt gemacht wurde."

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ivi/DPA/AFP