Dublin ist eine bunte Stadt. Melancholisch und fröhlich und seit einiger Zeit, wieder einmal, geteilt in zwei Lager wie die ganze Nation: In "Yes" und "No". An fast jedem Laternenpfahl der Hauptstadt hängen Poster, die die Zerrissenheit der Nation illustrieren. Drei Millionen Iren sind heute aufgerufen, über die Legalisierung der Homo-Ehe abzustimmen. Sie wären damit die erste Nation überhaupt, die qua Volksentscheid die gleichgeschlechtliche Ehe einführt.
Die Atmosphäre in Irland erinnert in diesen Tagen an die in Schottland vor Jahresfrist, Ja oder Nein. Für die Schotten ging es um die Unabhängigkeit, für die Iren um die Frage, ob ihr Land im 21. Jahrhundert angekommen ist. Die Volksabstimmung auf der Insel ist ein gewaltiger Schritt. Sie wird auch darüber Aufschluss geben, ob sich das Land langsam eben doch von der katholischen Kirche zu emanzipieren beginnt. Man muss wissen: Noch bis 1993 war Homosexualität in Irland "illegal". Und immer noch reicht die Wucht der Kirche tief. Es ist ein Land, in dem selbst schwangere Vergewaltigungsopfer nicht automatisch abtreiben dürfen.
Gewissenskonflikte und krude Argumentation
Entsprechend emotional und in Teilen unappetitlich verlief die öffentliche Diskussion der vergangenen Wochen und Monate. Eine merkwürdige Allianz aus katholischen und protestantischen Fundamentalisten machte mobil, verschickte knapp 100.000 Flugblätter, warnte vor Gewissenskonflikten und mit kruder Argumentation und Quervergleichen vor den Folgen eines möglichen Ja-Votums: "Wenn es durchkommt, hieße das, dass ein muslimischer Drucker Karikaturen über Mohammed drucken müsste?"
Zuletzt eskalierte die Debatte sogar, als die krebskranke "Irish Times"-Journalistin Una Mullally einen an sie adressierten Brief veröffentlichte, in dem es hieß "Es tut mir leid, dass Sie Krebs haben. Aber vielleicht ist das der Wille Gottes". Mullally hatte sich in ihren Artikeln deutlich als Ja-Befürworterin positioniert. Sie ist damit in guter Gesellschaft: Alle großen politischen Parteien befürworten die Legalisierung, lediglich fünf der 226 irischen Parlamentsabgeordneten sprachen sich öffentlich dagegen aus. Premierminister Enda Kenny von der regierenden Fine-Gael-Partei forderte seine Landsleute immer wieder dazu auf, mit Ja zu stimmen: "Sagen Sie Ja zur Inklusion, Ja zur Liebe, Ja zur Gleichheit."
Nur ein erster Schritt in die richtige Richtung
Seine Regierung hatte vor vier Jahren in Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner Labour die Volksabstimmung auf den Weg gebracht, allerdings erst nach zähen Verhandlungen. Am Donnerstag rief Kenny seinen Landsleute zu "Seien Sie nicht zögerlich, und überlassen Sie die Entscheidung nicht anderen." Damit zielte er natürlich auf die Kirche. Und so wie es scheint, verfängt die Botschaft aus der Politik: Nach jüngsten Meinungsumfragen liegt das "Yes"-Lager mit fast 60 Prozent klar vorn. Das Endergebnis aus den 43 Wahlbezirken wird am Samstag erwartet. Und egal, wie es ausgeht: Die Debatte über Kirche und Staat in Irland ist gerade erst eröffnet und nur ein erster Schritt in die richtige Richtung.