Mit großem Interesse verfolgen die Marokkaner die Unruhen in Tunesien und Ägypten. Aber sie machen keine Anstalten, es den Bewohnern dieser Länder gleichzutun und sich gegen die Regierung zu erheben. Marokko ist derzeit eines der stabilsten Länder in Nordafrika. Es scheint gegen das Virus der Revolte, das von Tunesien aus auf andere Staaten der arabischen Welt übergegriffen hatte, beinahe immun zu sein.
Dabei weist Marokko eine Reihe von Ähnlichkeiten mit Tunesien oder Ägypten auf. Unter den jungen Leuten herrscht Frust, weil die Arbeitslosigkeit hoch und die Aussichten für eine berufliche Zukunft schlecht sind. Mehr als 20 Prozent der Universitätsabsolventen sind ohne Job. Kundgebungen arbeitsloser Jungakademiker sind in Marokko fast an der Tagesordnung.
In den vergangenen Tagen wurden in Marokko vier versuchte Selbstverbrennungen bekannt. Die Behörden schlossen jedoch jede Parallele zum Fall des tunesischen Arbeitslosen aus, der sich selbst in Flammen gesetzt und die landesweiten Protesten ausgelöst hatte. Die Selbstmordversuche in Marokko hätten mit der Politik nichts zu tun gehabt, sondern seien durch familiäre oder psychische Probleme motiviert gewesen, betonte die staatliche Nachrichtenagentur MAP.
In Marokko war es in der Vergangenheit immer wieder mal zu spontanen Unruhen gekommen. Die Auslöser waren häufig Preiserhöhungen bei den Grundnahrungsmitteln gewesen. Um jetzt das Ausbrechen von "Hungeraufständen" zu verhindern, traf die Regierung bereits Vorkehrungen. Sie stockte die Subventionen für Getreide, Öl und Zucker auf, um die Preise niedrig zu halten. Regierungssprecher Khalid Naciri bestritt jedoch, dass dies eine Reaktion auf die Unruhen in Tunesien und Ägypten sei: "Marokkos Politik richtet sich nicht danach, was in anderen Ländern geschieht."
Das Land unterscheidet sich jedoch in einem Punkt von anderen Staaten der arabischen Welt: Das Regime wird nicht grundsätzlich infrage gestellt. Die Marokkaner zweifeln die Legitimität ihres Königs Mohammed VI. nicht an. Dabei spielt eine Rolle, dass der Monarch als "Herrscher der Gläubigen" auch das religiöse Oberhaupt des Landes ist. Der König wird geschätzt als ein Bollwerk im Kampf gegen den radikalen Islamismus und als ein Gegengewicht zu den häufig korrupten lokalen Amtsträgern.
Die Marokkaner verfügen zudem über mehr politische Freiheiten als die Bewohner anderer Staaten der arabischen Welt. Sie dürfen demonstrieren und frei zwischen einer Reihe von politischen Parteien wählen. Damit verfügt Marokko über eine Art von Sicherheitsventil, das verhindert, dass sich in der Bevölkerung Unzufriedenheit aufstaut und diese sich eines Tages in einer sozialen Explosion entlädt. Allerdings unterliegt die Macht der Parteien einer wichtigen Einschränkung: Bei allen bedeutsamen Entscheidungen hat der König das letzte Wort. Der Monarch ernennt auch die Minister in den Schlüsselressorts.