Kolumbien Betancourts Flug in die Freiheit

Von Tobias Käufer, Bogotá
Mit der gewaltlosen Befreiung der französisch-kolumbianischen Politikerin Ingrid Betancourt ist der Regierung in Bogotá ein politischer Husarenstreich gelungen. Die prominenteste Ex-Geisel der Farc kann ihr Glück kaum fassen, die Kolumbianer jubeln. Für die älteste Guerilla-Organisation Lateinamerikas ist es eine katastrophale Niederlage.

Ihre Retter trugen T-Shirts von Che Guevara und sahen aus wie echte Guerilleros. Erst im Hubschrauber offenbarten sie der französisch-kolumbianischen Politikerin Ingrid Betancourt und ihren Ex-Mitgefangenen, dass ihr jahrelanges Martyrium ein Ende hat. "Der Chef der Operation schrie: 'Wir sind die nationalen Streitkräfte. Ihr seid frei'", beschrieb Kolumbiens prominenteste Ex-Geisel mit tränenerstickter Stimme den Moment der Glückseligkeit. Wenig später sank die 46 Jahre alte Politikerin auf die Knie und betete mit ihren ehemaligen Mitgeiseln noch auf dem Militärflughafen Catam in Bogotá: "Ich danke Gott und Präsident Alvaro Uribe."

Mit der filmreifen Befreiungsaktion hatte eine Spezialeinheit der kolumbianischen Armee die über sechs Jahre andauernde Geiselhaft Betancourts beendet und das ganze Land auf einen Schlag elektrisiert. Mit Betancourt wurden auch drei US-amerikanische Computerspezialisten und elf weitere kolumbianische Geiseln befreit, die sich allesamt seit vielen Jahren in den Händen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) befanden.

In den Nachmittagstunden brachen im ganzen Land die Internetverbindungen zusammen, die Websites der großen Tageszeitungen und TV-Sender konnten den Ansturm der informationshungrigen User nicht bewältigen. Auf den Straßen ließen die Menschen ihrer Freude mit Hupkonzerten, Auto-Korsos und spontan gemalten Plakaten freien Lauf. "Die Leute feiern, als ob Kolumbien Fußball-Weltmeister geworden wäre", jubelte die Studentin Claudia Milena Riaz auf den Straßen Bogotás.

Derweil ereilten Kolumbiens Staatspräsident Alvaro Uribe Glückwünsche aus der ganzen Welt. US-Präsident George W. Bush gratulierte ebenso wie Papst Benedikt XVI., der erklären ließ, dies sei eine "gute Nachricht" und "ein positives Zeichen für die Freiheit aller Geiseln in Kolumbien". Immerhin gelten noch rund 3000 Menschen im Land als verschleppt.

Folgen eines Versprechens

Das Leiden Betancourt hatte am 23. Februar 2002 begonnen, als die damalige Präsidentschaftskandidatin der Grünen während einer Wahlkampfreise auf dem Weg von Florencia nach San Vicente del Caguán entführt wurde. Betancourt hatte sich trotz eindringlicher Warnungen der Sicherheitskräfte auf den Weg zu einem Bürgermeister gemacht, der ihrer Partei angehörte. Sie wollte ihr Versprechen unbedingt einhalten, obwohl das Ziel in einer von den Farc-Rebellen kontrollierten Region lag. Prompt geriet Betancourt in die Hände der ältesten Guerilla-Organisation Lateinamerikas, die sie bis zum Mittwoch gefangen hielt.

Zunächst straften viele Kolumbianer die Geiselnahme mit Desinteresse, auch weil Betancourt zum damaligen Zeitpunkt noch keine einflussreiche Politikerin in ihrem Land war. Doch aufgrund der publikumswirksamen Bemühungen ihrer Familie wurde die Franko-Kolumbianerin mit den Jahren zur Symbolfigur im bewaffneten Konflikt des Landes. Als sich auch noch Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Venezuelas Staatschef Hugo Chavez in die Bemühungen um die Freilassung Betancourts einschalteten, war die Politikerin mit französischem Pass endgültig zur globalen Geisel geworden. Betancourt war in Frankreich aufgewachsen, weil Vater Gabriel Kolumbien bei der Unesco repräsentiert hatte.

"Ich danke Euch Kolumbianern. Ich danke Euch Franzosen und allen, die mich weltweit begleitet haben", sagte Betancourt bei der improvisierten Pressekonferenz auf dem Flughafen in Bogota im Beisein einiger Familienangehöriger. Der Rest der Familie, darunter ihre Kinder Melanie and Lorenzo Delloye sowie Schwester Astrid, machten sich noch in der Nacht im Beisein des französischen Außenministers Bernard Kouchner auf den Weg nach Bogotá, um die jahrelang vermisste Mutter und Schwester wieder in die Arme zu schließen.

"Kein einziger Schuss gefallen"

Für die älteste Guerilla-Organisation Lateinamerikas bedeutet die Befreiungsaktion eine "katastophale Niederlage", wie Oppositionspolitikerin und Ex-Außenministerin Maria Emma Mejia erklärte. Die Tatsache, dass die kolumbianische Regierung bis in höchste Guerilla-Kreise V-Männer einschleusen konnte, um die Befreiungsaktion zu organisieren, zeigt, wie geschwächt die Rebellen derzeit sind.

Verteidigungsminister Juan Manuel Santos hatte zuvor erklärt, wie dies gelang: Mit einem gefälschten Befehl des obersten Farc-Kommandanten Alfonso Cano hätten die V-Männer die Betancourt-Bewacher zunächst davon überzeugt, ihre prominente Geisel sowie die anderen Gefangenen zu einer Gruppe zusammenzulegen. Dann habe ein weiterer gefälschter Befehl die Order gegeben, die Verschleppten in eine andere Region zu verlegen. In dem von den Rebellen dazu eigens angemieteten Hubschrauber saßen dann aber keine Guerilleros, sondern das als Farc-Rebellen verkleidete Sondereinsatzkommando. "Es ist kein einziger Schuss gefallen", verkündete Santos triumphierend.

Die Farc, deren Rückhalt in der Bevölkerung angesichts der zahlreichen Entführungen und ihrer Verstrickung in den Drogenhandel ohnehin nur noch gering ist, verliert mit Betancourt ihr letztes Ass im Ärmel im Poker mit der kolumbianischen Regierung. Militärisch geschwächt und der Chance beraubt, mit einer Freilassung Betancourts neue Glaubwürdigkeit zu gewinnen, steht die Guerrilla nun wenige Wochen nach dem Tod ihres legendären Anführers und Mitbegründers Manuel Marulanda vor dem politischen Aus.