Lech Kaczynski "Mir liegt an guten deutsch-polnischen Beziehungen"

Polen hat den national-konservativen Lech Kaczynski zum neuen Staatspräsidenten gewählt. Im Interview mit stern.de spricht er über Deutschland, die EU, den Sozialstaat und die Todesstrafe.

Herr Kaczynski, werden Sie - wie von vielen befürchtet - als neuer Präsident Polens einen wesentlich härteren Kurs gegenüber Deutschland einschlagen?

Ich hoffe sehr, dass die Beziehungen unserer beiden Staaten sich positiv entwickeln werden. Als polnischer Politiker bin ich keineswegs prinzpiell anti-deutsch eingestellt.

Oft ist aber zu hören, dass Sie Deutschland nicht mögen.

Wer das behauptet, hat vollkommen Unrecht. Mir liegt viel an guten deutsch-polnischen Beziehungen.

Dennoch standen Sie Deutschland in der Vergangenheit oft sehr kritisch gegenüber.

Es gibt Dinge, die wir von Deutschland, einem Verbündeten sowohl in der EU als auch in der Nato, erwarten dürfen. Zum Beispiel, dass Deutschland nicht einfach gemeinsam mit Russland beschließt, eine Gaspipeline zu bauen, ohne uns zu konsultieren. Ich denke, ich werde über dieses Thema mit Frau Kanzlerin Angela Merkel sprechen, sobald ich im Amt bin.

Zur Person

Im Alter von zwölf Jahren war Lech Kaczynski ein Filmstar - zusammen mit seinem Zwillingsbruder Jaroslaw. Dank eines Films über die bösen Streiche zweier Lausbuben, der die Kaczynski-Brüder damals berühmt machte. Statt auf die Leinwand zog es den heute 56-jährigen Lech in die Politik. Nachdem Jaroslaw mit dem Wahlsieg der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit seinen bisher größten Erfolg erzielte, zielte Lech Kaczynski auf das Präsidentenamt. Beide sind entschiedene Verfechter von Recht und Ordnung, liebäugeln mit der Wiedereinführung der Todesstrafe und sind ausgesprochene Patrioten. Lech Kaczynski will als Präsident vor allem nationale Werte stärken. Als Bürgermeister von Warschau ließ er eine Parade von Homosexuellen in Warschau verbieten, außerdem Sex-Shops und Bordelle schließen.

Hat Ihnen Deutschlands designierte Kanzlerin sofort zum Wahlsieg gratuliert?

Das weiß ich jetzt gar nicht, die ersten Gratulationen kamen - ich sage dies mit großer Befriedigung - vom Präsidenten Litauens.

Im vergangenen Jahr haben Sie als Warschauer Oberbürgermeister von Deutschland Reparationen in Milliardenhöhe für Schäden gefordert, die Ihr Land während des Zweiten Weltkriegs erlitt. Werden Sie diese Forderungen als Präsident wiederholen?

Meine Forderungen waren rein defensiver Natur. Ich habe schon mehrfach betont, dass ich darauf nicht zurückkommen werde, wenn die deutschen Vertriebenen-Verbände keine weiteren Ansprüche mehr stellen und die Lage in Westpolen nicht durch deutsche Interessen destabilisiert wird.

Sie haben sich wiederholt für die Wiedereinführung der Todesstrafe in Polen ausgesprochen.

Ich war, ich bin und ich werde stets ein Befürworter der Todesstrafe sein. Ich bin indes skeptisch, ob es für die Todesstrafe im heutigen Europa einen Platz gibt.

Ihre erste Auslandsreise wird Sie nach Washington führen, dann besuchen Sie den Vatikan. Wann kommen Sie nach Berlin?

Voraussichtlich in den ersten Monaten des nächsten Jahres, so wie es die normalen diplomatischen Gepflogenheiten vorschreiben. Ich hoffe auf ein schnelles Treffen mit der Frau Kanzlerin ebenso wie mit Präsident Jacques Chriac und den Staatsoberhäuptern unserer Nachbarländer. Meine Regel lautet: Jeder Nachbar Polens ist für uns wichtig, egal ob es sich um Litauen handelt, die Slowakei ist oder die größeren Staaten.

Sie haben ein anti-europäisches Image. Worauf führen Sie das zurück?

Wenn ich auf die letzten 16 Jahre zurückblicke, in denen mein Bruder und ich in Polen Politik gemacht haben, dann war der größte Teil aller Aussagen, die über uns gemacht wurden, schlichtweg falsch.

Wie wollen Sie die Menschen in Europa überzeugen, dass Sie kein Euroskeptiker sind?

Der Begriff Euroskeptiker ist sehr vieldeutig: Für die einen ist ein Euroskeptiker jemand, der den europäischen Einheitsstaat ablehnt; in diesem Sinne bin ich ein Euroskeptiker. Für die anderen bedeutet "Euroskeptiker" eine Gegnerschaft zur EU; in diesem Sinne bin ich kein Skeptiker, sondern im Gegenteil ein Europa-Begeisterter, ein EU-Befürworter, der die EU für etwas historisch Einmaliges hält - ein Netzwerk, in dem die Konkurrenz durch die Zusammenarbeit ersetzt wurde. Klar, gibt es im Rahmen einer Zusammenarbeit auch Konflikte, so ist die Welt nun mal.

In der EU spielt Polen eine immer größere Rolle. Welches Modell befürworten Sie - das französisch-deutsche oder das britische?

Politisch bin ich eher für das Modell des britischen Premiers Tony Blair, aber wirtschaftlich gesehen bevorzuge ich das kompliziertere soziale Modell, das in jedem Staat anders ausfällt. Ich muss sagen, dass die Globalisierung vielleicht manche Lösungen aufdrängen wird, doch für mich sind diese Lösungen eine Notwendigkeit. Europa muss wirksam auf dem Weltmarkt konkurieren können, da sollten wir solidarisch sein. Dieses Europa hat große wirtschaftliche Erfolge und einen guten Lebensstandard in der Periode erzielt, in der sich die Konzeption des Wohlfahrtstaats entwickelte. Es war die Zeit des Wachstums und des Komforts in Europa. Vielleicht wurde hier und da etwas übertrieben, vielleicht wurde der Standard zu hoch. Aber die Welt ist nicht perfekt, in diesem Punkt bin ich - wie in jeder meiner Überzeugungen - ein tiefgläubiger Katholik und denke: Man kann das Paradies nicht auf Erden bauen.

Interview: Tilman Müller, Juka Mojkowska