Auch Tage nach dem Massaker sind viele Häuser in Tremseh immer noch mit Blut beschmiert. Doch die Bürger der zentralsyrischen Kleinstadt wagen inzwischen, ihre Türen zu öffnen. Sie schildern, wie sie die Angriffe vom vergangenen Donnerstag erlebt haben, bei denen mehr als 150 Menschen getötet worden sein sollen, und führen Besucher auch in die Häuser der Opfer. "Hier hat sich ein Mann versteckt", sagt ein Bewohner, als er in einem der Wohnhäuser einen Kleiderschrank öffnet. "Als die Soldaten ihn gefunden haben, haben sie ihn kaltblütig erschossen", berichtet er.
Auch die Familie Schada al-Junes al-Mostafa, die für ihre Unterstützung der Rebellen bekannt war, wurde attackiert. Im Inneren ihres Hauses liegen auch Tage nach dem Massaker noch verkohlte Leichen. "Hier wurde Menschen die Kehle durchgeschnitten", sagt ein Bewohner der Stadt, als er einen Journalisten der Nachrichtenagentur AFP durch das Haus begleitet. Draußen im Garten liegen noch Leichenteile - das Opfer wurde von einer Granate zerfetzt. Die Wände und der Fußboden der Toiletten außerhalb des Hauses sind voller Blut.
Verantwortlich für die Angriffe machen die Bewohner die regierungstreue #Link;http://www.stern.de/panorama/schabiha-miliz-91419278t.html;Schabiha-Miliz# und die Armee von Präsident #Link;http://www.stern.de/politik/baschar-al-assad-90282062t.html;Baschar al-Assad#. Das Militär habe gezielt Häuser beschossen und sie mit Panzern aufgerissen. Dann seien sie von mit Messern bewaffneten Milizionären systematisch durchsucht und in Brand gesteckt worden. Allem Anschein nach seien vor allem Häuser von Deserteuren und Aufständischen angegriffen worden, erklären die #Link;http://www.stern.de/politik/ausland/un-beobachter-90496510t.html;UN-Beobachter# nach ihrem ersten Besuch in Tremseh.
Syrische Führung bestreitet schwere Geschütze
Bei dem Angriff auf die mehrheitlich sunnitische Kleinstadt seien zahlreiche Waffentypen eingesetzt worden, sagt die Sprecherin der Beobachtermission, Sausan Ghosheh. Artillerie, Granaten, leichte Schusswaffen. Mehrere Bewohner berichten zudem, dass der Ort auch aus der Luft angegriffen worden sei. Die Führung in Damaskus bestreitet dagegen, schwere Geschütze eingesetzt zu haben. Es seien Truppentransporter und leichte Waffen im Einsatz gewesen, sagt Außenamtssprecher #Link;http://www.stern.de/panorama/dschihad-makdissi-91482778t.html;Dschihad Makdissi#.
Und auch darüber hinaus hat die Regierung eine andere Sicht der Dinge. Es habe keinen Angriff auf Zivilisten gegeben und auch kein Massaker, sondern vielmehr "Kämpfe" zwischen der Armee und "bewaffneten Gruppen", lautet die offizielle Darstellung aus Damaskus. Diese sind nach Ansicht der Führung allein für die Gewalt und das Elend in dem Land verantwortlich. Mit dem auch für Tremseh vorgebrachten Vorwand, "Terroristen" zu töten, begründet Damaskus seit mehr als einem Jahr das Vorgehen gegen Oppositionelle.
Das Haus des Englisch-Lehrers Mahmud Daroisch ist von Blutspuren gezeichnet. Aus dem Gebäude haben die Bewohner dutzende Leichen gezogen. Einige wiesen durchgeschnittene Kehlen auf, andere Schusswunden von Kalaschnikows. Auch am Krankenhaus der Stadt sind Spuren von Beschuss zu sehen. An Wänden und Türen von Geschäften haben die Angreifer eindeutige Botschaften hinterlassen: "Baschar ist Präsident - oder wir fackeln das Land ab!"
Zahl der Opfer könnte bei über 200 liegen
Wie viele Menschen in Tremseh getötet wurden, ist weiter unklar. Während die UN-Beobachter zur Opferzahl bisher noch keine genauen Angaben machen, spricht die Regierung von 39 Toten, darunter zwei Zivilisten. Doch Aktivisten zufolge wurden mehr als 150 Menschen getötet.
Auf einem Friedhof der Stadt haben die Bewohner bereits etwa 40 Gräber ausgehoben und in jedem davon drei Leichen bestattet. Auf einem anderen Friedhof sollen laut Augenzeugen noch einmal rund hundert Opfer beerdigt worden sein. Die Opferzahl könnte also auch weit über 200 liegen.