Massenproteste in Ägypten eskalieren Kampf um Kairo

Ägypten in Aufruhr: Für Kairo, Alexandria und Suez gelten Ausgangssperren, doch die Massenproteste gehen weiter. Es gibt Tote und viele Verletzte. Und Präsident Mubarak bricht endlich sein Schweigen.

Panzerfahrzeuge auf den Straßen, Feuer, Rauch, Tote und Verletzte - in Ägypten sind die Proteste gegen den Präsidenten Hosni Mubarak am Freitag eskaliert. Mehr als hunderttausend unzufriedene Menschen gingen im ganzen Land trotz Demonstrationsverbots auf die Straßen. Bei Zusammenstößen mit der Staatsgewalt sollen mindestens 20 Menschen getötet worden sein, tausend wurden verletzt.

Nach Tagen des Schweigens meldete sich Mubarak in der Nacht endlich zu Wort. Während Plünderer und Demonstranten, die seinen Rücktritt forderten, durch die Straßen der Hauptstadt Kairo zogen, ging der Staatschef in einer Fernsehansprache auf die Forderungen der Kritiker seiner Regierung ein. Er versprach den Ägyptern mehr Demokratie und größere Bemühungen zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit. Mubarak kündigte zudem die Bildung einer neuen Regierung an. Bereits am Samstag wolle er ein neues Kabinett vorstellen.

Um die anhaltende Gewalt einzudämmen, ordneten die Behörden eine nächtliche Ausgangssperre für die großen Städte Kairo, Suez und Alexandria an. Sie gelte von 18 Uhr bis 7 Uhr (Ortszeit), berichtete das Staatsfernsehen. Gleichzeitig wurden Einheiten der Armee mobilisiert, um der Polizei zur Seite zu stehen, die in einigen Stadtvierteln von Kairo, Ismailia, Alexandria und Suez von Demonstranten überrannt worden war. Trotz des Ausgangsverbots waren am Abend in Kairo Schüsse zu hören.

Polizei kappt Internet und Handynetz

In der Hauptstadt war bereits von den heftigsten Protesten seit den Hungerrevolten im Jahr 1977 die Rede. Die Massen in Kairo, Alexandria und in anderen großen Städten forderten den vierten Tag in Folge Demokratie, bessere Lebensbedingungen und eine Ende der 30-jährigen Herrschaft Mubaraks. Die Polizei antwortete mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen. Die Demonstranten warfen daraufhin Steine und zündeten Polizeireviere und Einsatzfahrzeuge an.

Bereits vor Beginn der Kundgebungen hatte die Regierung das Internet und die meisten Mobiltelefon-Verbindungen gekappt. Friedensnobelpreisträger und Mubarak-Gegner Mohammed el Baradei wurde unter Hausarrest gestellt.

Jagd auf Demonstranten

Im Stadtzentrum von Kairo fuhren gepanzerte Polizeifahrzeuge auf, einige machten regelrecht Jagd auf Demonstranten, wie Augenzeugen berichteten. Menschen beobachteten die Szenen aus Fenstern, warfen den Demonstranten Wasserflaschen, Zwiebeln und kleine Behälter mit Essig zu. Essig und Zwiebelsaft helfen angeblich gegen ätzendes Tränengas.

Tausende strömten aus drei Richtungen zum abgeriegelten Tahrir-Platz - dem Ort der ersten großen Straßenschlachten. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein, Polizisten in Zivil und "angeheuerte Schläger" griffen die Demonstranten mit Stöcken an, wie Augenzeugen berichteten.

Panzer in Suez

In der östlichen Hafenstadt Suez wurde die Polizei nach Augenzeugenberichten von den Demonstranten fast überrannt. Dort hatte es in den vorangegangenen vier Tagen mit die härtesten Zusammenstöße gegeben, mit mindestens zwei Toten seit Dienstag. Die Sicherheitskräfte zögen sich aus der Stadt zurück, und die Demonstranten hätten sie fast übernommen, berichteten Zeugen. Am Abend hieß es wiederum, dass Panzer in die Stadt eigerückt seien.

Live

Der TV-Sender Al Jazeera überträgt per Livestream aus Ägypten.

In der Hafenstadt Alexandria soll der Sitz des dortigen Gouverneurs in Flammen stehen. Wie Reporter berichteten, stiegen aus dem brennenden Gebäude riesige Rauchsäulen in den Himmel. Zudem stürmten zahlreiche Demonstranten ein Polizeirevier im Stadtzentrum.

Ägyptische Fluggesellschaft stellt Betrieb ein

Die staatliche ägyptische Fluggesellschaft Egypt Air teilte am Freitagabend mit, dass sie ihren Flugbetrieb von 21 Uhr Ortszeit (20 MEZ) an für zwölf Stunden einstellen wird. Zur Begründung sagte ein Mitarbeiter der Firma am Internationalen Flughafen Kairo, wegen der nächtlichen Ausgangssperre seien viele Reisende am Flughafen nicht abgeholt worden. Sie warteten nun bis zum Morgen in einer Halle am Flughafen. Außerdem seien viele Menschen, die Flüge von Kairo ins Ausland gebucht hätten, aus dem selben Grund nicht zum Einchecken am Flughafen erschienen.

Keine Reisewarnung für Ägypten

Hurghada, Marsa Alam und Sharm-el-Sheik sind beliebte Urlaubsorte. Anders als bei Anschlägen sind im Moment Feriengäste von den Unruhen kaum betroffen, betonen die Reiseveranstalter. Allerdings werden Ausflüge nach Kairo aus Sicherheitsgründen vorübergehend gestrichen. Eine Reisewarnung, wenn mit einer akuten Gefahr für Leib und Leben gerechnet werden muss, hat das Auswärtige Amt für Ägypten nicht ausgesprochen. Damit besteht kein Anspruch auf eine kostenlose Umbuchung oder Stornierung einer Ägyptenreise. Lediglich die Sicherheitshinweise sind aktualisiert worden: Die "Demonstrationen richten sich nicht gegen Touristen. Reisenden wird jedoch dringend empfohlen, Menschenansammlungen und Demonstrationen weiträumig zu meiden und die örtliche Medienberichterstattung aufmerksam zu verfolgen", so die Empfehlungen auf der Website des Auswärtigen Amtes.

Friedensnobelpreisträger ElBaradei unter Hausarrest

An anderen Orten kam es zu Verbrüderungsszenen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Protestler in Kairo einen gepanzerten Mannschaftswagen bejubelten, bei dem es sich augenscheinlich um ein Armeefahrzeug handelte. Zuvor hatten Demonstranten wiederholt das Militär aufgefordert, sie vor dem gewaltsamen Vorgehen der Polizei zu schützen.

Während des Freitagsgebets hatte die Polizei vor einer Moschee im Kairoer Stadtteil Giza eine Gruppe von Demonstranten eingekesselt, zu der auch der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed el Baradei, gehörte. Medien zufolge soll er am Abend unter Hausarrest gestellt worden sein. Der Friedensnobelpreisträger war am Donnerstag nach Ägypten zurückgekehrt. Viele Oppositionelle sehen in ihm einen möglichen Nachfolger Mubaraks.

DPA · Reuters
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