In einem fast seufzendem Ton hat Kremlchef Dmitri Medwedew bei seiner nunmehr dritten Rede an die russische Nation seine Landsleute zur Reformbereitschaft aufgerufen. Er habe ja schon im Vorjahr gesagt, dass an der Modernisierung Russlands kein Weg vorbeiführe. "Sie ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, um einen besseren Lebensstandard zu erreichen", warb er am Dienstag.
Wer dem seit 2008 amtierenden Präsidenten im Kremlsaal zuhörte, fragte sich, ob er 2012 zur Wahl antritt. Oder Regierungschef Wladimir Putin, dessen traditionelle Fernsehsprechstunde für den 16. Dezember schon jetzt mit viel Wirbel angekündigt wird.
In dem 74minütigen Vortrag zitierte Medwedew aus Statistiken und zeigte sich vor allem besorgt wegen der niedrigen Geburtenzahlen und sozialen Probleme für viele Kinder. Mehr als 100 000 wachsen ohne Eltern auf oder werden Opfer von Gewalt. Medwedew ordnete an, Großfamilien nun stärker zu fördern. Als echte Programmrede verstand das aber kaum jemand, auch wenn Medwedew etwa mit Forderungen nach harten Strafen für korrupte Beamte stellenweise aufhorchen ließ.
Seine Warnung an die Nato und die EU, die begonnene Annäherung zwischen dem Westen und Russland nicht zu gefährden, gehörten nach Meinung vieler der 1000 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Religion eher zu den starken Momenten. Hier drohte Medwedew mit einem neuen Rüstungswettlauf, sollten die Nato und Russland nicht wie auf ihrem jüngsten Gipfel in Lissabon vereinbart, vertrauensvoll zusammenarbeiten.
"Sehr schwach" sei der Auftritt gewesen, klagte der Oppositionspolitiker und frühere Regierungschef Michail Kasjanow dem Radiosender Echo Moskwy. Er hatte schon im Vorfeld gefordert, der Präsident möge etwas tun gegen das Abwandern von Kapital, die rückläufigen Auslandsinvestitionen und den Weggang frustrierter junger Menschen. Doch dazu wie auch zur brandgefährlichen Lage im Konfliktgebiet Nordkaukasus äußerte sich Medwedew nicht.
In seiner Tour d'Horizon ging Medwedew am Rande auf demokratische Missstände ein, beklagte vor allem die wenig ausgeprägte Zivilgesellschaft und kritisierte vor allem die rückständige Industrie. "Trotz vieler Schwierigkeiten haben wir nicht wenig erreicht", resümierte er. Kommentatoren waren dagegen der Meinung, dass seine Kritik an der überbordenden Bürokratie, an der ausufernden Korruption und an der Verstrickung sogar staatlicher Stellen in kriminelle und mafiöse Strukturen schon viel deutlicher war.
Russische Präsidenten sind bei diesen Reden traditionell um Ausgleich zwischen verschiedenen Gruppen bemüht und vermeiden Polarisierung. Gleichwohl hatten sich viele liberal Gesinnte ein Programm erhofft, mit dem sich Medwedew für eine zweite Amtszeit empfehlen könnte. Derzeit gehen viele Politologen in Moskau eher davon aus, dass Putin 2012 wieder in Kreml einzieht.
Seit langem steht Medwedew in der Kritik, zu wenig Autorität zu haben, um echte politische Veränderungen zu bewirken. Schon im Vorfeld hatte etwa der Politologe Wladimir Ryschkow Medwedews Ideen als gut, aber zu abstrakt bezeichnet. "Es geht nur um kosmetische Maßnahmen, die das politische Monopol der herrschenden Bürokraten und die überwältigende Dominanz der Kremlpartei Geeintes Russland nicht gefährden", schrieb Ryschkow in einem Zeitungsbeitrag. Faire Wahlen und durchweg freie Medien seien weiter nicht in Sicht.
Zwar ließ Medwedew erneut aufhören, als er Behörden aufforderte, sich von Medien, Fabriken und anderem Besitz "außerhalb ihrer Aufgaben und Zuständigkeit" zu trennen. Allerdings bezog er diese Initiative einmal mehr nur auf Kommunen und Regionen, nicht auf die Nation. Auch bei seinen Zugeständnissen, die nicht-radikale Opposition zu stärken und damit den politischen Konkurrenzkampf zu fördern, ging es nicht um das große Ganze.