Menschen, die Mut machen Eine Unbequeme gerät ins Visier

In der Adventszeit stellen wir jeden Tag einen Menschen vor, den sein Engagement für andere oder der Umgang mit dem eigenen Schicksal auszeichnet. Heute: Vilma Nunez. Einst beförderten sie die Sandinisten in den Obersten Gerichtshof in Nicaragua. Doch dann begann sie, Menschenrechte für alle einzufordern.
Von Toni Keppeler

Vilma Nunez aus Nicaragua weiß, was schwere Menschenrechtsverletzungen sind. Sie hat sie am eigenen Leib erfahren. "Sie haben mir eine Kapuze über den Kopf gestülpt und mich nackt ausgezogen. Sie haben mich mit Elektroschocks gequält und mich fast ertränkt. Ich weiß bis heute nicht, wo ich die Kraft hergenommen habe, niemanden zu verraten", sagt die fast 70-Jährige.

Stichwort Nicaragua

Jahrelang war Nicaragua in Mittelamerika Schauplatz blutiger politischer Auseinandersetzungen. 1979 wurde Diktator Anastasio Somoza von den linksgerichteten Sandinisten gestürzt. Anfang der 80er-Jahre begannen Kämpfe zwischen Regierungstruppen und von den USA unterstützten rechtsgerichteten Contra-Rebellen. Die Wende kam mit den Wahlen im Jahr 1990, aus denen ein Oppositionsbündnis als Sieger hervorging. Ein großer Teil der vorwiegend Spanisch sprechenden Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Die wertvollen Holzbestände des Landes sind durch jahrelangen Raubbau weitgehend erschöpft.

Das war 1977, zu Beginn des von den Sandinisten organisierten Volksaufstands gegen die Diktatur der Somoza-Familie. Nunez war damals eine bekannte Anwältin und verteidigte politische Gefangene. Als die Rebellen 1979 den Diktator verjagt hatten und sie zur stellvertretenden Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs machten, legte sie sich genauso mit den neuen Herren des Landes an. "Der größte Fehler der Sandinisten war, dass sie die Legalität gering schätzten. Rechtsstaatliche Strukturen waren für sie Relikte der Bürgerlichkeit, die man überwinden müsse. Ich aber pochte darauf." So wurde Nunez aus dem höchsten Richtergremium entlassen und in die staatliche Menschenrechtskommission abgeschoben.

Als die Sandinisten 1990 abgewählt wurden, gründete sie das von "Brot für die Welt" unterstützte regierungsunabhängige "Nicaraguanische Zentrum für Menschenrechte" (CENIDH). Nunez konnte mit deutscher Hilfe eine achtmonatige Fortbildung in Menschenrechten in Straßburg absolvieren.

Menschen, die Mut machen

Überall auf der Welt gibt es Menschen, die anderen helfen und in scheinbar ausweglosen Situationen Mut machen. Menschen, die oft selbst nichts besitzen, wegen ihres sozialen oder politischen Engagements bedroht werden und doch nicht aufgeben. Das Hilfswerk der evangelischen Kirche Deutschlands, "Brot für die Welt", unterstützt diese Menschen. Mit Spenden und mit praktischer Hilfe zur Selbsthilfe. So entstanden unzählige Projekte auf allen Kontinenten. In diesem Jahr feiert die Organisation den 50. Jahrestag ihrer Gründung. stern.de stellt in einer Kooperation mit "Brot für die Welt" 26 Menschen vor, die von der Hilfe aus Deutschland profitiert haben - und nun selber zu Helfern geworden sind: zu Menschen, die Mut machen.

Heute hat CENIDH 30 Angestellte und Nunez ist Präsidentin - ehrenamtlich. Zum Büro in der Hauptstadt kamen Filialen in drei Provinzstädten. Es gibt eine juristische Abteilung, in der junge Anwälte sich um Opfer von Menschenrechtsverletzungen kümmern, und eine Stelle für Öffentlichkeitsarbeit, die Berichte zur Lage der Menschenrechte veröffentlicht. Und es gibt die Abteilung für Aus- und Fortbildung. CENIDH hat bereits 1500 freiwillige Menschenrechtspromotoren ausgebildet. "Sie sind unsere wichtigsten Mitarbeiter", sagt Nunez. "Zu ihnen kommen die Menschen zuerst."

Die Präsidentin fährt selbst hinaus aufs Land, wenn sich die Promotoren zu einem Seminar versammeln. Dort ist sie in ihrem Element. "Menschenrechte werden einem nicht geschenkt", erklärt sie den Versammelten. "Wir müssen nicht darum betteln, sondern sie erobern und verteidigen." Fast nur Frauen sind zum Treffen gekommen. Vilma Nunez spricht das Problem der innerfamiliären Gewalt an und nennt erschreckende Zahlen von misshandelten Frauen. "Nicht nur der Staat kann Menschenrechte verletzen", erklärt sie. "Das kommt auch in den besten Familien vor."

Nunez Kampf gegen die Ungerechtigkeit macht ihr nicht nur Freunde. Sie hat schon etliche Todesdrohungen bekommen. Manchmal macht ihr das Angst, und trotzdem macht sie weiter. Menschenrechtsanwältin zu sein, sagt sie, das sei kein Job. "Das ist eine Lebensentscheidung."

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