Herr Ries, Herr Gerstner, Herr Petry: Ihre Städte sind in wenigen Tagen Gastgeber des Nato-Gipfels und Sie treffen sich heute zum ersten Mal. Ist das nicht reichlich spät?
Günther Petry (Kehl): In den vergangenen Monaten habe ich mich öfter mit Herrn Gerstner getroffen. Wir waren auch zusammen in Brüssel. Mit Roland Ries war ich ebenfalls im Gespräch. Die Städte sind in diesem Fall Dienstleister für den Veranstalter. Unsere Zusammenarbeit beschränkt sich auf den Meinungsaustausch. Gerade, was die Sicherheit angeht, ist keine Zusammenarbeit zwischen den Städten nötig, da hierfür die Sicherheitsbehörden zuständig sind. Die Städte haben innerhalb ihres eigenen Stadtgebietes Kompetenzen.
Die Vorbereitungen sind doch bestimmt turbulent...
Roland Ries (Straßburg): An einem Tag heißt es, Barack Obama kommt morgens, dann heißt es, abends, dann wieder morgens, weil er noch den Militärfriedhof in Caen besucht. Jetziger Stand ist, dass er am Freitagmorgen um 10.30 Uhr in Straßburg landen wird. Aber vielleicht ist morgen wieder alles anders. Ein anderes Bespiel ist das Mittagessen im Palais Rohan: Wir haben dort schon sichere Doppelfenster einbauen lassen. Aber nun heißt es, dass das Essen womöglich doch woanders stattfinden soll. Wir werden nicht gefragt, aber wenn die Bürger eine Frage haben, dann rufen sie freilich nicht Obama oder Sarkozy an, sondern den Bürgermeister von Straßburg. Dabei bekommt der als Letzter die Informationen.
Herr, Petry, Herr Gerstner. Fühlen Sie sich auch so schlecht informiert?
Petry
: Ich stimme Roland Ries zu, dass es häufig Änderungen des Protokolls und der Abläufe gegeben hat. Aber ich fühle ich mich nicht schlecht informiert. Ich stelle vielmehr mit Roland Ries fest, dass offensichtlich die Ausarbeitung eines von allen akzeptierten Ablaufes eine ungeheuer komplexe Sache zu sein scheint.
Wolfgang Gerstner (Baden-Baden): Es ist sicherlich nicht einfach, bei einer Veranstaltung mit so vielen Beteiligten und Betroffenen im In- und Ausland immer alle umgehend zu informieren. Wir sind jedoch seit Monaten kontinuierlich im Gespräch mit den verantwortlichen Organisatoren seitens der Bundesregierung, die mit uns nach Lösungen suchen und uns auch regelmäßig auf dem Laufenden halten. Die Zusammenarbeit sehe ich sehr positiv.
Der Nato-Gipfel bedeutet unter anderem, dass zum Auftakt der Osterferien zeitweise die Autobahn gesperrt und die deutsch-französische Grenze geschlossen wird. In bestimmten Stadtgebieten in Straßburg, Kehl und Baden-Baden kommen Bewohner ohne Polizeigeleit nicht mehr vor die Tür. Sie erwarten Tausende Demonstranten. Was sagen Sie Ihren Bürgern dazu?
Ries
: Unsere Bürger geben in Umfragen regelmäßig an, wie wichtig es ihnen ist, dass Straßburg mit dem Europäischen Parlament und dem Europarat eine internationale Rolle spielt. Dann müssen sie aber auch die Proteste und Demonstrationen ertragen. Man kann nicht eine international bedeutende Stadt sein und gleichzeitig die Ruhe eines Dorfes fordern.
Petry
: Die Frage der Rechtfertigung stellt sich nicht. Lassen Sie mich eine katholische Fürbitte zitieren, die für mich die erste Regel im Umgang mit dem Nato-Gipfel ist: "Schenk uns Gelassenheit, das hinzunehmen, was wir nicht ändern können, Mut, das zu ändern, was wir ändern können, und Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden."
Der Nato-Gipfel reduziert sich in Kehl auf einen Empfang mit Fototermin. In Baden-Baden weilen die Gäste wenige Stunden. Sind dafür diese enormen Einschränkungen für Ihre Bürger wirklich gerechtfertigt?
Petry
: Ich halte die Einschränkungen für akzeptabel. Einige Vorgänger des amerikanischen Präsidenten sind in ihrem Amt umgebracht worden, und er benötigt diesen Schutz. Heutzutage muss man wohl eine solche Veranstaltung mit diesem Aufwand betreiben. Könnte man es einfacher machen, würde man es machen.
Ries
: 58 Prozent unserer Bürger sind gegen den Gipfel oder sehen ihn zumindest skeptisch, wegen der Einschränkungen in ihrem Alltag. Als Bürgermeister muss ich ihnen klar machen, welch große Chance dieser Gipfel für den internationalen Ruf unserer Stadt ist. Wir müssen einen klare Unterscheidung machen zwischen den politischen Gegnern der Nato und den Leuten, die nur gegen diese Organisation sind, weil es viele Einschränkungen gibt. Viele dieser 58 Prozent denken nur an die täglichen Schwierigkeiten.
Gerstner
: Man muss sich für die Einschränkungen nicht verteidigen. Es hat immer Treffen von Staatschefs gegeben, die einen besonderen Sicherheitsaufwand nötig hatten. Am Schluss zählt nicht der Sicherheitsaufwand, sondern das Ergebnis. Dann steht in unserer Stadtgeschichte nicht nur, dass sich hier drei Kaiser getroffen haben oder Adenauer und Charles de Gaulle zusammengekommen sind. Dann wird auch der Nato-Gipfel erwähnt.
Für Sie ist der Gipfel also eine Möglichkeit, den Ruhm der Stadt zu mehren, koste es was es wolle. Meinen Sie, dass es Ihre Bürger genauso sehen?
Gerstner
: Es geht nicht darum, den Ruhm der Stadt um jeden Preis zu mehren. Eine Stadt wie Baden-Baden mit internationalem Anspruch braucht aber solche Begegnungen, wenn man diesem Anspruch gerecht werden will. Dass nicht alle Bürger diese Meinung teilen, kann ich mir vorstellen.
Wie haben Sie eigentlich davon erfahren, dass ihre Stadt den Gipfel beherbergen wird und haben Sie sich gefreut?
Petry
: Ich habe von einer Presseagentur davon erfahren. Das Gerücht war aber schon vor der Pressekonferenz von Merkel und Sarkozy, bei dem sie diese Entscheidung verkündet haben, zu uns durchgedrungen. Ich empfinde die Wahl dieser Orte Straßburg und Kehl als Auszeichnung für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die in den vergangenen Jahrzehnten hier geleistet wurde.
Sie wurden nicht nach ihrem Einverständnis gefragt?
Petry
: Nein, ich frage ja auch niemanden, wenn ich irgendwo hin möchte.
Aber es geht ja um mehr als nur "irgendwohin gehen".
Gerstner
: Das ist halt so. Solche Sachen werden verkündigt.
Petry: Übrigens auch, als uns mitgeteilt wurde, dass Baden-Baden dritter Gipfelort wird, da nur dort in ausreichendem Maße Luxushotels zur Verfügung stehen.
Ries
: Ich habe im April 2008 kurz nach meiner Wahl von der Entscheidung erfahren. Ich habe mich sehr gefreut, es hat eine große politische Bedeutung für die Region und den gesamten Ballungsraum am Rhein. Es ist ein Glück und eine Chance, aber auch eine Gefahr.
Was fürchten Sie?
Ries
: Es gab Gipfeltreffen, bei denen die Gewalt eskaliert ist. Wenn das passiert, wäre der ganze politische Nutzen des Treffens verloren. Wir hätten in der ganzen Welt das Spektakel von gewalttätigen Demonstranten und zerbrochenen Schaufenstern.
Wieso wird solch eine große Veranstaltung nicht einfach auf einer Insel abgehalten?
Petry
: Es gibt beide Modelle. Der nächste G8-Gipfel wird in Italien auf einer Insel stattfinden.
Gerstner
: Natürlich sind auch Tagungen auf einem Luxusdampfer oder einer Insel möglich. Aber man kann sich auch nicht immer nach den Demonstranten und den dadurch nötigen Sicherheitsmaßnahmen richten. Das wäre eine Bankrotterklärung und würde der Demokratie nicht gut tun. Es müssen doch auch Begegnungen mitten im Leben stattfinden.
Die Nato-Gegner bekommen trotz langer Verhandlungen kein angemessenes Camp und werden, wie in Straßburg, davon abgehalten, in der Innenstadt zu demonstrieren.
Ries
: Wenn wir davon ausgehen könnten, dass die Proteste friedlich sind, dann würde ich die Demonstranten sogar auf den Kléberplatz lassen, unseren zentralen Platz in Straßburg. Wir wissen aber aus Erfahrung, dass es viele Gewalttätige in diesen Gruppen gibt.
Die Adressaten des Protestes, die Staatschefs der Nato-Länder, bekommen davon nichts mit. Das widerspricht doch genau Ihren Darstellungen einer offenen Demokratie, Herr Gerstner.
Gerstner
: Sie bekommen es doch über den Fernseher mit. Man muss einen Weg suchen, wie man Demokratie leben kann, die Randalierer aber im Griff behält. Wenn in der Vergangenheit immer alles friedlich verlaufen wäre, hätten wir auch nicht dieses große Polizeiaufgebot. Außerdem könnten wir in Baden-Baden schon aus logistischen Gründen nicht alle Demonstranten in die Innenstadt lassen. Die Stadt wäre verstopft, die Versorgung lahm gelegt, Feuerwehr und Krankenwagen würden nicht mehr durchkommen. Deshalb muss ein Sicherheitskorridor bestehen, wir wollen die Stadt nicht von den Demonstranten beherrschen lassen.
Petry
: Ich habe mehrfach mit Leuten gesprochen, die in Kehl ein Protest-Camp organisieren wollten. Sie konnten nicht garantieren, dass sich dort keine Gewalttäter aufhalten werden. Auf der anderen Seite sucht die Politik Symbole und dafür wird großer Aufwand betrieben, weil Gewalttätigkeit droht. Schließlich werden ja auch Tausende Journalisten kommen, um die symbolischen Akte medial zu transportieren. Solange die Welt so funktioniert, wird man solche Veranstaltungen unter solchen Umständen haben. Mit allen Fragwürdigkeiten.
Welches ist denn nun der eigentliche deutsche Gipfelort, Kehl oder Baden-Baden?
Gerstner
: Wir müssen uns nicht darüber streiten. Natürlich kann man eine Gewichtung vornehmen, ich tue es nicht. Ich weiß, was Baden-Baden wert ist.
Das sind ja ganz neue Töne. Bis vor wenigen Tagen haben Sie und Ihre Hoteliers noch heftig darum gekämpft, dass Baden-Baden auf dem offiziellen Gipfel-Logo auftaucht.
Gerstner
: Ich finde es legitim, dass eine Stadt, die einen Tag des Gipfels ausrichtet, auch auf das Logo möchte. Aber wir hängen nicht so am Logo, denn das wird die Geschichte nicht verändern.
Herr Ries, wie haben sie diesen merkwürdigen Streit um das Logo mitbekommen und darum, wer die eigentliche deutsche Gipfelstadt ist?
Gerstner und Petry
: ….Moment. Es gab keinen Streit zwischen Baden-Baden und Kehl.
Gerstner
: Im Oktober wurde entschieden, dass der Gipfel auch nach Baden-Baden kommt. Der Oberbürgermeister wird nicht gefragt, sondern informiert. Das ist umgehend geschehen. Wir wollen nur gute Gastgeber sein und da habe ich kein Problem mit meinem Kollegen in Kehl.
Herr Petry, fühlten Sie sich eigentlich als Stadt ausgebootet?
Petry
: Überhaupt nicht. Wir haben es einfach akzeptiert. Denn dass Baden-Baden schöne Hotels hat, wissen auch wir. Aber was viele noch nicht wissen, ist, dass Kehl und Straßburg eine schöne Brücke verbindet. Das wird die Welt während dieses Gipfels mitbekommen. Wir können symbolisch und atmosphärisch etwas ganz Besonderes bieten. Ich bin absolut sicher, dass auch die Staatschefs, die schon viel gesehen haben, bei ihrem Gang über die Brücke und den Rhein diese besondere Atmosphäre spüren werden.
Herr Gerstner, Sie werden zitiert mit den Worten, das Essen in Baden-Baden sei das wichtigste Gipfelevent auf deutscher Seite.
Gerstner
: Das hieße, die Tatsachen verkürzt darzustellen. Aber eine gute Atmosphäre ebnet den Weg zu guten Entscheidungen. Zudem ist es etwas Besonderes, dass Barack Obama als Präsident deutschen Boden zum ersten Mal bei uns betritt.
Werden Sie die Gipfelgäste persönlich treffen?
Gerstner
: Ich gehe schon davon aus, dass der Oberbürgermeister von Baden-Baden bei dem Empfang der Kanzlerin am Rande dabei sein darf. Ich muss aber nicht begrüßen, es ist nicht unsere Veranstaltung.
Ries
: Ich weiß es noch nicht, es ändert sich ja wie gesagt alles jeden Tag. Eigentlich soll ich die Staatschefs begrüßen und ihre Ehepartner zu einer Besichtigung in Straßburg mitnehmen.
Auf welchen Staatsgast freuen Sie sich besonders?
Petry
: Ich finde, dass die alle einen schwierigen Job machen. Deshalb weiß ich nicht, ob man sich auf einen kaprizieren sollte. Besondere Aufmerksamkeit wird der amerikanische Präsident auf sich ziehen.
Ries
: Ich freue mich besonders auf Carla Bruni, Herrn Sarkozy und Michelle Obama (kurze Pause) und natürlich auf die andern auch (lacht). Aber eins ist klar: Frau Merkel und Herr Sarkozy sind hier keine Neuigkeit. Viele Bürger fragen den Oberbürgermeister deshalb, ob er ihnen helfen kann, damit sie Barack Obama zu sehen bekommen. Dabei ist sich der Bürgermeister selber nicht mal sicher, ob er Obama treffen wird.
Gerstner
: Auch in Baden-Baden herrscht eine wahre Obamania. Ich freue mich selbst schon auf ihn. Meine Söhne übrigens auch, vier der fünf waren schon in den USA, da können Sie sich vorstellen, wie groß die Vorfreude bei uns zuhause ist. Es ist schön, dass man eine Person der Zeitgeschichte persönlich treffen kann. Von Obama geht einfach eine große Faszination aus.
Aber übernachten wird er in Straßburg und nicht eines der Hotels in Anspruch nehmen, auf die Sie so stolz sind. Eine Niederlage?
Gerstner
: Nein, das stört mich nicht. Erstens übernachten 14 Staatschefs in Baden-Baden, übrigens auch Frau Merkel. Und schließlich ist Obama zuerst in Baden-Baden, da ist das Verhältnis zu Straßburg wieder ausgeglichen.