Nach dem Krieg im Kaukasus haben die Beziehungen zwischen Russland und den Nato-Staaten einen Tiefpunkt erreicht. Während Russland den im Friedensabkommen vereinbarten Truppenabzug aus dem georgischen Kernland weiter verzögerte, sind in Brüssel die Außenminister der 26 Nato-Staaten zusammengekommen, um ein gemeinsames Vorgehen gegen Moskau zu vereinbaren. Die Diplomaten, die das Treffen ihrer Außenminister in Brüssel vorbereitet hatten, standen vor einer doppelten Herausforderung: Sie sollen Einigkeit herstellen, wo keine ist. Und Russland gegenüber Stärke zeigen, die die Nato abseits militärischer Maßnahmen nicht hat. Das Ergebnis ist ein Kompromiss auf kleinstem Nenner, der in sechs langen Tagen und Nächten mühsam ausgehandelt wurde.
Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer verkündete am Ende der Konsultationen den folgenden Beschluss: Nachdrücklich fordern die Nato-Staaten Russland auf, sein Militär aus dem "georgischen Kernland" abzuziehen. Bis dahin soll die Kooperation zwischen der Nato und Russland, der sogenannte Nato-Russland-Rat, gestoppt werden. Des Weiteren soll ein so genannter 'Nato-Georgien-Ausschuss' eingerichtet werden, der auf verschiedenen politischen Ebenen zu aktuellen Fragen tagen soll. Damit hat die Nato die im Frühjahr in Aussicht gestellten Beitrittsperspektive Georgiens zwar bekräftigt, auf einen beschleunigten Beitritt, wie ihn die USA und Georgien gefordert hatten, wollte sich das Bündnis jedoch nicht einlassen. Außerdem kündigte die Nato an, Georgien beim Wiederaufbau unterstützen zu wollen.
Suche nach dem richtigen Signal
Mit diesen Beschlüssen versucht die Nato, elf Tage nach dem Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien, der Machtpolitik Russlands Einhalt zu gebieten. In den Hauptstädten der Nato-Länder war zuvor befürchtet worden, dass eine zu schwache Reaktion ihres Militärbündnisses auf Moskau wie ein Freifahrtsschein wirken könnte, sich ungehindert in die inneren Angelegenheiten seiner Nachbarstaaten einmischen zu dürfen. Mit einer entsprechend harschen Wortwahl kündigte US-Außenministerin Condoleezza Rice schon vor dem Zusammentreffen der Außenminister an, die Nato werde es nicht zulassen, dass Russland sich Georgien einverleibe, Europa destabilisiere oder einen neuen Eisernen Vorhang errichte. Die USA forderten gemeinsam mit Großbritannien, Kanada und den meisten osteuropäischen Staaten, Russland unter Druck zu setzen und den Nato-Russland Rat ganz aufzukündigen.
Die mehrheitlich westeuropäischen Staaten unter der Führung von Frankreich und Deutschland hingegen warnten davor, die Gesprächskanäle vollständig abzubrechen. Sie setzen weiterhin auf das Mittel der Diplomatie. Allerdings fürchtet man auch in Berlin und Paris, dass Russland eine zu lasche Reaktion der Nato als Signal der Schwäche verstehen könnte. Ein französischer Diplomat sagte, die Verärgerung über Russland wachse. "Wir können nicht so weiter machen, als wäre nichts passiert." Der Beschluss, den Nato-Russland Rat einzufrieren, bis Russland seine Truppen abzieht ermöglicht es immerhin, den Schein der Einigkeit gegen Moskau zu wahren. "Solange die russischen Truppen Georgien praktisch besetzt halten, kann ich nicht sehen, wie wir den Nato-Russland-Rat einberufen können", sagte de Hoop Scheffer. Nun liege es an dem Riesenreich, die Beziehungen zu den Nato-Staaten zu retten.
"Das kann wirklich eskalieren"
Eine Wiederannäherung zwischen den Supermächten, mit den USA und den anderen Nato-Ländern einerseits und Russland auf der andererseits, scheint auf lange Zeit nicht absehbar. Längst macht das Wort von einem 'neuen Kalten Krieg' die Runde. Im Gespräch mit stern.de warnt der Nato-Experte Johannes Varwick: "Das kann wirklich eskalieren. Was wir derzeit erleben ist mehr als ein Kalter Krieg, der ist schon heiß." Nichtsdestotrotz müsse die Nato auf die Invasion in Georgien reagieren. "Russland muss einen Preis zahlen", so Varwick.
Ob sich die vorläufige Aufkündigung des Rats überhaupt als Druckmittel eignet, ist jedoch fraglich. Russland hat sich schon vor längerer Zeit enttäuscht von der Nato gezeigt, nachdem diese ihre Expansion auf Georgien und die Ukraine ausgeweitet hatte, die USA Abwehrraketen in Polen und Tschechien installieren wollen und die westlichen Staaten gegen den Willen Russlands die Unabhängigkeitsbestrebungen des Kosovo unterstützt hatten. "Reich an Ressourcen und militärisch wieder erstarkt, will Russland auch wieder eine Rolle auf dem Parkett der Supermächte spielen", so Frank Kupferschmidt, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im Gespräch mit stern.de. "Genau hier fühlt sich Russland aber übergangen.", sagte Kupferschmidt weiter. Johannes Varwick nannte die Invasion in Georgien ein "schwerwiegendes Signal". "Russland betreibt kühle Machtpolitik, so der Nato-Experte.
Auch Russland braucht den Westen
Wie wenig die Nato dem entgegen zu setzen hat, hat ihre Sondersitzung deutlich gemacht: Nicht einmal die USA haben schwerere Maßnahmen als das Ende des Nato-Russland-Rats in Erwägung gezogen. Ein militärisches Eingreifen in Georgien und damit eine direkte militärische Konfrontation mit Russland will derzeit niemand. Andere Optionen stehen jedoch nicht in Aussicht. "Aber auch die Russen sind auf gute Beziehungen zum Westen angewiesen", sagte SWP-Experte Kupferschmidt. Deshalb bezweifelt er auch ein Szenario, das dem Kalten Krieg gleichkommen könnte. "Das ist unrealistisch. Russland hat längst nicht mehr das militärische Potenzial, wie noch zu Zeiten der Sowjetunion. Was wir derzeit erleben, ist aber eine bedeutende Zäsur."
Der Nato bleibt vorerst nur der Mittelweg zwischen Annäherung zu Russland einerseits und einer gemeinsamen Haltung gegen Moskaus völkerrechtswidrige Politik andererseits. Wie schwer sich die Nato mit einer einheitlichen Strategie allerdings tut, haben die vergangenen Tage gezeigt. Nato-Experte Varwick fordert: "Russland muss sich endlich entscheiden, ob es von seinen Nachbarn gefürchtet werden will, oder ein seriöser Partner sein will. Der Schlüssel liegt in Moskau"