Pressestimmen zur Wahl in Österreich "Ein Menetekel für jede Willkommenspolitik westlich von Wien"

Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Österreich bringt das etablierte Parteiengefüge ins Wanken. Die FPÖ triumphiert. Viele sehen diesen Rechtsruck daher als eine Zäsur. Eine Auswahl an Pressestimmen.

Die rechtspopulistische FPÖ hat bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich ihr bislang bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung erzielt und das Land deutlich nach rechts rücken lassen. Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer kam am Sonntag nach vorläufigen Ergebnissen auf mehr als 36 Prozent der Stimmen. Er tritt nun im Mai in einer Stichwahl gegen den Ex-Parteichef der Grünen, Alexander Van der Bellen, an. Die Kandidaten der beiden ehemaligen großen Parteien SPÖ und ÖVP waren weit abgeschlagen. Erstmals seit Ende des zweiten Weltkrieges wird in Österreich damit kein Kandidat der beiden Volksparteien mehr an der Spitze des Staates stehen.

Der Rechtsruck im Nachbarland war natürlich auch in der Presse ein großes Thema. Eine Auswahl nationaler und internationaler Reaktionen:

Österreich

"Die Presse": "Die Wahrheit für SPÖ und ÖVP lautet schlicht: Eure Zeit ist vorbei. Das heißt nicht, dass es eine oder beide Parteien in Zukunft nicht geben kann. Aber so, wie es bisher war, wird es nie wieder. Jörg Haider orakelte einst vom Ende der Zweiten Republik und sah sich bereits als junger autoritärer Kanzler in einem neuen Österreich mit vielen Schweizer Zitaten. Daraus wurde nichts, Haider gibt es nicht mehr, aber 30 Jahre nach seiner Machtübernahme in der FPÖ ist die Zweite Republik - so wie wir sie als Kinder schätzen gelernt haben und wie wir sie heute als überholt empfinden - Geschichte. Es wird noch Zeit vergehen, bis das Ende auch auf Bundesebene offiziell vollzogen wird, aber heute hat wohl der letzte Funktionär, der klügste Sektionschef und der Faymann-freundlichste Journalist verstanden, dass da ein Kapitel zu Ende gegangen ist. Zusammen kommen SPÖ und ÖVP auf gerade einmal ein Viertel aller Stimmen."

"Der Standard": "SPÖ und ÖVP könnten das Votum über die Stichwahl hinaus auch als Chance sehen: Wir reißen uns jetzt am Riemen und versuchen, gemeinsam etwas zu schaffen. Denn sonst werden beide Parteien das Schicksal ihrer Kandidaten erleiden. Aus einstigen Volksparteien werden Kleinparteien. Noch haben sie die Möglichkeit, bis 2018 durch ihre Arbeit zu überzeugen. Bei der vergangenen Nationalratswahl haben die beiden Regierungsparteien zusammen ohnehin nur noch 51 Prozent erreicht. Das scheint aus heutiger Sicht unerreichbar. Also bleibt nur: Kämpfen oder aufgeben - und die Hofburg und bald auch die Regierung einfach der FPÖ überlassen."

"Wiener Zeitung": "Es gibt Niederlagen, die schmerzen, und solche, nach denen man sich gar nicht mehr spürt. Man kennt das aus der heimischen Fußballgeschichte: Färöer, 1990, 0:1. Oder neun Jahre später, Valencia, 0:9. Nun erlebten, wenn man so will, die beiden Regierungsparteien an diesem Sonntag im April ihren Färöer-Moment. SPÖ und ÖVP bezogen ein Wahldebakel, wie es diese Parteien in der Zweiten Republik noch nicht erlebt haben. Und wie es vor ein, zwei Jahren auch noch völlig undenkbar schien."

Schweiz

"Neue Zürcher Zeitung": "Die nächsten Nationalratswahlen mögen noch zwei Jahre entfernt sein, doch angesichts der Unfähigkeit der Regierung, die drängenden Probleme bei der Arbeitslosigkeit, dem Wirtschaftswachstum und der Bildung zu lösen, wird die Unzufriedenheit nur zunehmen; am Sonntag gaben drei Viertel der Wahlberechtigten an, entweder enttäuscht oder gar verärgert zu sein über die Regierung. (...) Auch kristallisierte sich die Wut der Österreicher nicht nur in Form von Unterstützung für die FPÖ. Vielmehr vereinigten die beiden gemäßigten Kandidaten Alexander Van der Bellen und Irmgard Griss vierzig Prozent der Stimmen auf sich. Beide traten eher spröde sowie dezidiert unpopulistisch auf und argumentierten differenziert. Dies spricht für die Reife der Wähler, die einen Wandel wollen, jedoch nicht dem Reiz von Scheinlösungen erliegen. Die Regierung sollte das Fiasko als Auftrag verstehen, eine ehrlichere und lösungsorientierte Politik zu verfolgen."

Deutschland

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": Der Sieg der FPÖ bei der Präsidentenwahl ist eine Zäsur. Die Volksparteien in Österreich spüren den Verdruss der Bürger. Das ist auch ihrer Bequemlichkeit geschuldet. (....) Auf jeden Fall haben die Wähler im Nachbarland ein Votum abgegeben, wen sie nicht mehr auf diesem höchsten Posten ihrer Republik haben wollen: Die Repräsentanten der sogenannten großen Koalition. Und das eigentlich unabhängig von den konkret zur Wahl stehenden Personen. Jetzt gleich das Ende der Volksparteien SPÖ und ÖVP auszurufen wäre verfrüht. Immer noch gibt es mächtige Parteiapparate, mitgliederreiche Unterorganisationen und ehrgeiziges Personal. Aber den Alarmruf sollten die Funktionäre vernehmen und ernst nehmen."

"Süddeutsche Zeitung": "Hofers eindeutiger Sieg ist ein Triumph für all jene, die selbst die rigide Asyl- und Flüchtlingspolitik der rotschwarzen Regierung noch zu freundlich finden. Hofer ist einer der Chefideologen der FPÖ, hat gegen einen EU-Beitritt Österreichs gestimmt, hält die Anliegen von Pegida für berechtigt und gehört einer deutschnationalen Burschenschaft an. Durch seinen Sieg hat der Mann mit der freundlichen Ausstrahlung die FPÖ endgültig salonfähig gemacht."

"Die Welt": "Der Erfolg des rechtspopulistischen FPÖ-Kandidaten bei der österreichischen Präsidentenwahl lehrt dort die große Koalition das Fürchten. So ein Erdrutschsieg von Populisten ist auch woanders möglich. (....) Wer sich in Deutschland immer noch verwundert die Augen reibt, warum Österreichs Sozial- und Christdemokraten so ganz anders als ihre deutschen Kollegen ihre Grenzen gegen Migranten und Flüchtlinge dicht machten und de facto eine Obergrenze für Zuwanderung festlegten, der kennt jetzt den Grund: Eine Partei kann mit Wahlkampf gegen islamische Zuwanderung und Sicherung des Wohlfahrtsstaates für Einheimische einen Wahltriumph herbeiführen. (....) Van der Bellen müsste schon ein Wunder schaffen und das politische Spektrum einmütig hinter sich sammeln. Sonst bekäme Österreichs Zweite Republik erstmals einen Präsidenten von rechts außen. Die Aussicht allein bedeutet ein Menetekel für jede europäische Willkommenspolitik westlich von Wien."

"Tagesspiegel": "Die Stärke der früheren Haider-Partei zwingt die Traditionsparteien SPÖ und ÖVP in eine gefühlt ewige große Koalition. Es ist ein Teufelskreis, von dem allein die FPÖ profitiert. Sie kann sich als frische Alternative inszenieren, obwohl sie längst selbst ein Teil des politischen Systems geworden ist. Das enorm hohe Ergebnis der FPÖ in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl passt in diese Logik. Mit vereinten Kräften werden SPÖ und ÖVP einen Sieg des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer in der Stichwahl nun zu verhindern suchen - was auch zum genauen Gegenteil führen kann."

"Huffington Post": "Nach dem Wahlgang ist klar, dass zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg keine der beiden Volksparteien SPÖ und ÖVP den Bundespräsidenten stellen oder unterstützen wird. Dieses Debakel lässt sich nicht mehr nur alleine durch die Flüchtlingspolitik erklären. Vielmehr war diese Wahl auch ein offener Protest gegen "die da oben", aus dem die rechtspopulistische FPÖ am meisten Kapital geschlagen hat. Aber auch der Erfolg der Grünen und Unabhängigen belegt das. Von diesen Verhältnissen ist Deutschland noch weit entfernt. Lernen kann die Bundesregierung daraus aber schon: nämlich, dass die Flüchtlingskrise zu einer Vertrauenskrise werden kann - und dass davon nicht nur die Rechten profitieren, sondern alle Parteien, auf denen nicht das Etikett Volkspartei klebt."

"Neue Ruhr Zeitung/Neue Rhein Zeitung" (NZR)": "Noch hat die Stichwahl um die österreichische Bundespräsidentschaft nicht stattgefunden. Doch nach dem politischen Donnerschlag von gestern, mag man kaum hoffen, dass sich in den verbleibenden vier Wochen die Grundstimmung im Nachbarland noch ändert. Das war mehr als eine Protestwahl. Der haushohe Sieg des FPÖ-Mannes Hofer im ersten Wahlgang ist nicht nur ein Rechtsruck, er könnte auch das Eingangstor für eine künftig von ausländerfeindlichen Rechtspopulisten geführte Bundesregierung sein. Die FPÖ liegt in Umfragen klar vorn, die das Land über Jahrzehnte regierenden Volksparteien SPÖ und ÖVP haben inhaltlich nichts mehr außer einer aggressiven Flüchtlingspolitik zu bieten. Da machen sie sich mit der FPÖ gemein - künftige Koalitionen möglich. Es kann einem Bange werden um Österreich."

DPA
mod