Der Auftakt des Prozesses gegen Nuon Chea, dem ranghöchsten noch lebenden Funktionär der Roten Khmer, endete nach nur zwei Stunden in einem Eklat. Der Haftprüfungstermin wurde vertagt, ohne dass von dem Gericht ein neuer Termin festgesetzt wurde. Nuon Chea hatte dies mit der Begründung beantragt, er habe keinen ausreichenden Rechtsbeistand, nachdem die kambodschanische Anwaltskammer in letzter Sekunde die Vereidigung von Nuon Cheas Anwalt Victor Koppe aus der niederländischen Anwaltskanzlei "Böhler Franken Koppe Wijngaarden" blockiert hatte. "Dadurch ist kein faires Verfahren garantiert", sagte der auch als "Bruder Nr. 2" bekannte Khmer. Diese Äußerung löste ein bitteres Lachen unter den Opfern der Roten Khmer aus, die im großen Gerichtssaal des Gerichtsgebäudes die Videoübertragung der Verhandlung verfolgten.
Victor Koppe fehlt noch die formelle Vereidigung
Wie das Gericht besteht auch die Verteidigung der bislang insgesamt fünf Angeklagten aus internationalen und kambodschanischen Juristen. Zudem verfügt er mit Michel Pestman über eine zweiten internationalen Verteidiger, der aber in Amsterdam geblieben war. Victor Koppe aber fehlt noch die formelle Vereidigung fehle, wie er sagt.
Der hatte jüngst schon die Hand zum Eid erhoben, als die Vereidigungszeremonie in letzter Sekunde abrupt abgebrochen wurde. Der Anwalt aus Amsterdam glaubt an "einen Zusammenhang zwischen unserem Befangenheitsantrag gegen Richter". Von der Hand zu weisen ist dieser Verdacht nicht. Ein Jurist aus dem Umkreis des Tribunals, der seinen Namen nicht genannt wissen will, sagt: "Es ist bekannt, dass die kambodschanische Anwaltskammer dem Tribunal kritisch gegenübersteht und politischer Einflussnahme durch die Regierung ausgesetzt ist."
Betroffene und Opfer der Roten Khmer sind bestürzt
Die Betroffenen und Opfer der Roten Khmer sind bestürzt über die Vertagung des Verfahrens. "Wir machen uns Sorgen um den Zeitfaktor. Das Gericht hinkt schon jetzt dem Zeitplan hinterher und Nuon Chea ist sehr alt", sagt Theary Seng nach der Vertagung. Die 37 Jahre Frau, deren Eltern von den Roten Khmer ermordet wurden und die selbst als Kind fünf Monate in ein Gefängnis der Roten Khmer gesperrt war, fügte hinzu: "Anwalt Pestman hatte Zeit genug, nach Kambodscha zu kommen."
Der Frust der Opfer ist besonders groß, weil sie sich ein weiteres Mal von Nuon Chea, der als Architekt des Massenmords und als Vollstrecker Pol Pots gilt, missbraucht fühlen. Zumal der Haftprüfungstermin von Nuon Chea eigentlich ein historischer Tag der Justizgeschichte hätte werden sollen. Erstmals nämlich waren Opfer wie Theary Seng als Nebenkläger zugelassen. Damit betritt das Rote-Khmer-Tribunal juristisches Neuland. In keinem anderen internationalem Gericht von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen über die Tribunale zur Aufklärung der Völkermorde in Bosnien oder Ruanda oder auch dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wurde bisher die Stimme der Opfer als Kläger gehört.
Gemischte Gefühle in der Bevölkerung
Die Bevölkerung Kambodschas sieht das Tribunal mit gemischten Gefühlen. Der 37 Jahre alte Architekt und Stadtplaner Somethearith Din aus Phnom Penh, dessen Vater von den Roten Khmer ermordet wurde, sagt: "Vielleicht kommt ja was Gutes dabei heraus, eine Erklärung dafür, wie und warum das alles passieren konnte." Aber er fügt hinzu: "Mein Vater ist tot. Vor Gericht stehen nur wenige hohe Funktionäre. Der wirkliche Killer meines Vaters arbeitet irgendwo unbehelligt auf einem Feld."
Für Wolfgang Möllers, Chef des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) in Kambodscha, lautet die zentrale Frage, was das Tribunal zu Frieden und Versöhnung in Kambodscha beitragen kann. Möllers sagt: "Wenn dadurch ein Dialog zwischen den Generationen entsteht, ergeben sich Perspektiven für einen gesellschaftlichen Neuanfang und ein friedlicheres Zusammenleben in der Zukunft."
Erst vier Opfer als Nebenkläger zugelassen
Diesen Dialog zu fördern hat sich der DED zusammen mit dem Zivilen Friedensdienst auf die Fahnen geschrieben. Die beiden Organisationen finanzieren über kambodschanische Bürgerrechtsorganisationen wie die Anwaltsvereinigung "Cambodian Defenders Project" Anwälte für die Opfer. Noch hätten seien erst vier Opfer der Roten Khmer als Nebenkläger zugelassen, sagt Andreas Selmeci von Zivilen Friedensdienst und fügt hinzu: "Wir hoffen aber, dass es in den kommenden Monaten einige Hundert sein werden. Heute haben die Opfer zum ersten Mal gesehen, dass sie Rechte vor dem Tribunal haben. Das macht Mut."
Nuon Chea ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen angeklagt. Der ehemalige Chefideologe will aber von den Massenmorden nichts gewusst haben. Noch im Juli 2007, zwei Monate vor seiner Verhaftung, sagte Nuon Chea in einem Interview: "Ich hatte oft keine Ahnung, was die Regierung tat." Wie viele andere Rote Khmer hatte sich Nuon Chea mit gutem Gewissen in der Stadt in Südwest-Kambodscha an der Grenze zu Thailand gemütlich im Kreise seiner Familie und Enkel eingerichtet.
Fortsetzung offen
Wann das Verfahren gegen Nuon Chea fortgesetzt wird, ist offen. Die Richter setzten den internationalen Anwälten Nuon Cheas eine Zwei-Tagesfrist um zu erklären, bis wann Pestman zur Vertretung seines Mandanten in Kambodscha sein könne. Koppe erklärte jedoch vor internationalen Medien, zuerst müsse das Problem mit seiner Vereidigung gelöst werden bevor Pestman nach Kambodscha komme.
Während der Terrorherrschaft der Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 waren zwei Millionen Kambodschaner in Gefängnissen zu Tode gefoltert, auf den Killing Fields ermordet und auf den Reisfeldern verhungert. Neben Nuon Chea sind weiter vier hochrangige Führungspersönlichkeiten wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Tribunal angeklagt.