Psychologie Wie Gefängniswärter zu Sadisten werden

Misshandlungen in Gefängnissen sind ein nicht seltenes Phänomen. Unter anonymen Bedingungen kann das Bewusstsein für Menschlichkeit verloren gehen. "Riesengroß" aber ist die Gefahr, wenn von Vorgesetzten Zustimmung signalisiert wird.

Berichte über brutale Übergriffe amerikanischer und britischer Soldaten gegen irakische Gefangene erregen derzeit die Öffentlichkeit, dabei ist Gewalt in Gefängnissen nach Auffassung von Psychologen ein gar nicht so seltenes Phänomen. Gerade erst wurde der Direktor der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel seines Postens enthoben, nachdem Gefangene von Misshandlungen berichtet hatten.

Die Potsdamer Psychologieprofessorin Barbara Krahe sieht denn auch in den Vorkommnissen von Brandenburg einen "ganz parallelen Fall" zu Irak. In Brandenburg hätten Wärter den Anschuldigungen zufolge Masken angezogen und sich damit in einer Anonymität versteckt, bevor sie ihre Gefangenen gequält hätten. Hier habe sich erneut gezeigt, dass Menschen unter anonymen Bedingungen das Bewusstsein für die Normen und Werte verlören, die ihr Verhalten normalerweise steuerten, erklärte die Psychologin und verwies auf das so genannte Stanford-Gefängnis-Experiment, das nach dem Film "Das Experiment" mit Moritz Bleibtreu auch in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.

Das Stanford-Gefängnis-Experiment

1971 hatte der amerikanische Psychologe Philip Zimbardo zufällig ausgewählte Studenten in einem simulierten Gefängnis in eine Gruppe mit Wärtern und eine mit Gefangenen aufgeteilt. Das ursprünglich auf zwei Wochen angesetzte Experiment musste bereits nach sechs Tagen abgebrochen werden: "In nur wenigen Tagen wurden unsere Strafvollzugsbeamten zu Sadisten und unsere Gefangenen zeigten Anzeichen von Depressionen und extremem Stress", wie es im Bericht Zimbardos heißt. Zimbardo selbst hat unlängst in einem Brief an Kollegen auf die Verbindungen zwischen seinem damaligen Experiment und den Folterungen in Irak aufmerksam gemacht, wie der Marburger Psychologieprofessor Ulrich Wagner berichtete.

Von der "Macht der Situation" spricht in diesem Zusammenhang der Hildesheimer Psychologie-Professer Werner Greve. Allerdings zeigen nach seinen Worten Untersuchungen, dass es sehr wohl Verkehrungen gibt, die verhindern, dass daraus eine "Allmacht der Situation" entsteht. Vor allem eine sehr gute Ausbildung der Bediensteten von Gefängnissen könne verhindern, dass es zu Übergriffen gegen Gefangene komme, sagte der Professor mit Hinweis auf eine derzeit noch laufende Studie zu Gefängnisbediensteten in Niedersachsen. Die "Wärter" von Stanford seien eben keine Profis gewesen, sondern im Gegenteil auf ihre Rolle überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Zudem folterten eben bei weitem nicht alle Gefängniswärter.

Persönliche Neigung mancher Menschen zu Grausamkeiten

Generell kann man nach den Worten Greves drei Fälle unterscheiden, bei deren Zusammentreffen ein hohes Maß an Gewalttätigkeiten entstehen kann: Erstens die im Stanford-Experiment beschriebene Risikosituation eines hohen Machtgefälles zwischen Gefangenen und Wärtern, ständiger Präsens von Waffen, hohem Lärmpegel und anderen Faktoren. Zweitens eine persönliche Neigung mancher Menschen zu Grausamkeiten, die bei freiwillig Kriegsdienst leistenden wohl höher als bei anderen einzuschätzen sei. Drittens wenn Gewalt als instrumentelles Mittel eingesetzt wird, um beispielsweise unbedingt Geständnisse zu erhalten. Dann könnten die Grenzen der Menschlichkeit überschritten werden.

Gerade der letzte Punkt ist für seinen Marburger Kollegen Wagner der entscheidende. Selbstverständlich sei die Gefahr von Übergriffen in einer solchen Gefängnissituation nach einem Krieg immer vorhanden. Eine gute professionelle Ausbildung, aber auch eine gute Gefängnisleitung könne Übergriffe auf die Gefangenen verhindern. Wenn aber signalisiert werde, dass es nicht so schlimm sei, dass Übergriffe also zumindest geduldet, wenn nicht halboffiziell gewünscht würden, sei die "Gefahr riesengroß", sagte der Professor. Jenseits der persönlichen stelle sich dann die Frage der politischen Verantwortung.

AP · DPA
Angelika Bruder, AP

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