Eine Woche lang hat er sich auf die Debatte vorbereitet, nervös wie ein Oberschüler vorm Abitur. Wichtige Termine wurden reihenweise abgesagt. Ehefrau Carla und die Kinder entschwanden in den Urlaub, damit der Staatschef sich in seinem Palast, umgeben von getreuen Beratern, ungestört vorbereiten konnte auf die Mega-Prüfung. Auf eine Art Rechenschaftsbericht, mit dem er sich ein Jahr nach seiner Wahl zum Präsidenten in ein möglichst gutes Licht stellen wollte.
Eigentlich ist das Amtsjubiläum erst am 6. Mai fällig, doch Nicolas Sarkozy, vorschnell wie immer, wollte die leidige Angelegenheit lieber früher aus der Welt schaffen und stellte sich gestern Abend in einem festlich hergerichteten Prunksaal des Elysée-Palasts 90 Minuten lang den wohl einstudierten Fragen von fünf prominenten Journalisten. Millionen von Franzosen verfolgten vorm Fernseher, wie der Präsident seine Politik verteidigte.
Eine Aufgabe, der er ohne größere Probleme meisterte. Den Staatshaushalt wolle er bis zum Jahr 2012 sanieren, versprach er mit fester Stimme. Den akuten Verfall der Kaufkraft schob er auf den steigenden Ölpreis. Für seine gesunkene Popularität trage er zwar die Verantwortung, erklärte er, von seinem Reformkurs lasse er sich deswegen jedoch keineswegs abbringen: "Ich habe 55 Reformen angefangen", und zwar gleichzeitig, weil die Probleme zusammenhingen.
Keine kritischen Fragen
Sarkozy sprach viel und – das war neu – in relativ ruhigem Ton. Keine fahrigen Gesten, keine Versprecher und keine Verbalattacken auf missliebige Zeitgenossen. Der Präsident hatte sich vorgenommen, staatsmännischer zu wirken und dies ist ihm auch gelungen. Richtig kritische Fragen musste er freilich auch nicht über sich ergehen lassen. Privates blieb tabu und die vielen Ausraster seiner bisherigen Amtszeit ebenfalls. So wirkte die Begegnung mit den Journalisten weitgehend eher wie ein höfisches Zeremoniell als ein Streitgespräch.
In gewisser Weise kam der gestrige Jubiläums-Talk etwas spät. Denn Frankreichs Presse und die Demoskopen hatten Sarkozy bereits in den letzten Tagen und Wochen ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. "Encore quatre ans" – noch vier Jahre stöhnte die Tageszeitung "Liberation" auf ihrer Titelseite und zeigte einen in Schweiß gebadeten, irre dreinblickenden Präsidenten. "Ein Jahr des Wahnsinns", titelte ein anderes Blatt.
Überall die nahezu gleiche Revue seiner pannenreichen Amtszeit: Der Urlaubstörn auf der Yacht des befreundeten Milliardärs, die peinliche Visite bei US-Präsident George Bush vorigen August, die Scheidung von seiner Gattin Cecilia, die superbunte Vorgeschichte seiner superschnellen Hochzeit mit der schönen Sängerin Carla Bruni, sein Spruch "unsere Kassen sind leer", die naiven Befreiungsversuche der Französin Ingrid Bétancourt im kolumbianischen Dschungel, die fragwürdigen Beziehungen zu Wüstendiktator Gaddafi, die Beschimpfung eines harmlosen Bürgers bei einer Bauernmesse, die haushohe Niederlage seiner Partei bei den Kommunalwahlen und immer wieder Beispiele des rapiden Kaufkraftverlustes im Land – Sarkozy konnte einem fast schon leid tun.
Der hyperaktive Präsident mache zu viel und nichts richtig, tönen die Kommentatoren unisono. "Vielleicht habe ich mein Vorgehen nicht ausreichend erklärt", sagte Sarkozy zur Rechtfertigung. Offenbar, denn die Umfragen sind tief im Keller. 64 Prozent der Franzosen sind unzufrieden mit ihrem Staatschef; 81 Prozent glauben, dass er die Wirtschaftsprobleme nicht in den Griff bekommt. Noch nie in der Geschichte der fünften Republik hat ein Präsident ein Jahr nach seiner Wahl so schlechte Umfragewerte eingefahren wie jetzt Sarkozy.
Charles de Gaulle, Georges Pompidou, Valéry Giscard d’Estaing, François Mitterand und selbst der zuletzt wenig beliebte Jacques Chirac – sie alle waren populärer. Bis zu 65 Prozent der Franzosen waren beim einjährigen Amtsjubiläum mit der Politik ihrer Präsidenten einverstanden – Sarkozy hält nun mit 36 Prozent die rote Laterne.
Einer hat das Debakel kommen sehen: Vorgänger Chirac. Der stichelte einmal, Sarkozy die Macht anzuvertrauen, sei, als würde man mitten im Sommer in einem Waldbrandgebiet der Provence eine Grillparty veranstalten.