Auch nach einem Monat Krieg gegen die Ukraine steht die politische Elite in Russland fest hinter Präsident Wladimir Putin. "Es gibt keine Anzeichen für eine Spaltung", sagt Tatiana Stanovaya, Gründerin des Thinktanks R.Politik. Weder das Entsetzen des Westens und die harten Sanktionen, noch die Kritik einzelner Oligarchen scheinen die Loyalität gegenüber dem Staatschef zu erschüttern.
"Es gibt einen vollständigen Konsens, wenn auch möglicherweise mit Unterschieden in der Taktik", sagt Stanovaya. Es müsse unterschieden werden zwischen Vorbehalten gegen den Krieg und der Bereitschaft zum Handeln. "Die Menschen sind schockiert und viele glauben, dass die Invasion ein Fehler ist. Aber niemand ist in der Lage zu handeln. Jeder ist auf sein eigenes Überleben konzentriert", konstatiert Stanovaya. Auch Diplomaten aus dem Westen sehen trotz der folgenschweren Strafmaßnahmen bisher keine Anzeichen für einen politischen Wandel in Russland.
Wladimir Putin und sein System der Super-Loyalisten
Die liberale Opposition hat sich verflüchtigt, die im Parlament vertretenen Parteien sind in fast allen Fragen auf Linie des Kremls und Putins stärkster Gegner, Alexej Nawalny, sitzt im Gefängnis. "Es ist keine wirkliche Überraschung, dass wir noch keine dramatische öffentliche Spaltung innerhalb der herrschenden Elite erleben", sagt Ben Noble, Professor für russische Politik am University College London und Mitautor eines kürzlich erschienenen Buches zu Nawalny.
"Wladimir Putin hat ein System kultiviert, in dem er von Super-Loyalisten umgeben ist, die seine Weltsicht eines Westens, der Russland zerstören will, teilen, oder von solchen, die zu viel Angst haben, ihre abweichende Meinung zu äußern." Kritik kommt nach Angaben Stanovayas lediglich von "peripheren" Kräften der radikalen Rechten, die ein noch aggressiveres Vorgehen gegen die Ukraine fordern.
Drei Tage vor Beginn der russischen Invasion hatte Putin die politische Führung in den Kreml einberufen, um über die Anerkennung der pro-russischen Regionen in der Ostukraine zu beraten. In einer medienwirksamen Demonstration der Einigkeit traten zwölf Männer und eine Frau nacheinander an, um sich für die Anerkennung der selbst ernannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk auszusprechen. Ein Schritt, der die Invasion einläutete.
Russland: Kaum einer wagt Kritik an Putin
An dem Treffen nahmen auch jene drei Männer teil, die westlichen Geheimdiensten zufolge zu Putins engstem Kreis gehören: Verteidigungsminister Sergej Schoigu, der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Nikolai Patruschew, und der Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow. Von keinem der Anwesenden, auch nicht von rangniederen Beamten, war auch nur der leiseste Widerspruch zu vernehmen.
Vergangene Woche warnte Putin, der Kreml-Linie zu widersprechen, und erklärte, der Westen setze "auf Landesverräter", um Russland zu schwächen. Praktisch der einzige Insider, der aus der Reihe tanzt, ist der frühere Kreml-Berater und ehemalige Vize-Ministerpräsident Arkady Dworkowitsch, der auch Chef des Weltschachverbandes ist. In einem Interview mit einer US-Zeitschrift sprach er sich gegen den Krieg aus und trat von seinem Posten als Leiter einer Unternehmer-Stiftung zurück.
Zentralbankchefin Elwira Nabiullina räumte in einem mehrdeutigen Video ein, die russische Wirtschaft befinde sich in einer "extremen" Situation. "Wir alle hätten uns sehr gewünscht, dass dies nicht passiert wäre", sagte sie. Daraufhin wurde über einen möglichen Rücktritt Nabiullinas aus Protest gegen den Krieg spekuliert. In der vergangenen Woche sprach sich Putin aber dafür aus, Nabiullinas Amtszeit zu verlängern.
Oligarchen wie Oleg Deripaska und Michail Fridman, die die Sanktionen hart treffen, sprachen sich vorsichtig für Frieden aus. Auch der Vorstand von Lukoil, dem größten privaten Energieunternehmen Russlands, forderte ein Ende des Krieges. "Aber es ist eine Sache, zum Frieden aufzurufen", sagt der Politikwissenschaftler Noble. "Eine ganz andere ist es, Putin direkt zu kritisieren."