Saddam Hussein pflegte über Jahrzehnte erfolgreich seinen Ruf als Unbesiegbarer. Er überlebte mehrere Attentatsversuche und schaffte es, sogar Niederlagen in Siege umzumünzen. So wie sein Landsmann Saladin, der einst die Kreuzritter aus Jerusalem vertrieben hatte, wollte Saddam als heroischer Kriegsherr in die Geschichte eingehen. In den Geschichtsbüchern wird der ehemalige irakische Machthaberer tatsächlich seinen Platz finden, und zwar als erster arabischer Herrscher, der sich für die in seiner Ära begangenen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht verantworten muss.
Weder Wahrheitskommissionen noch Versöhnungskonferenzen
Der Prozess gegen Saddam Hussein birgt jede Menge politischen Sprengstoff. Denn eine Aufarbeitung der Verbrechen, die während seiner 24-jährigen Amtszeit von der Staatsmacht begangen wurden, hat im Irak bisher nicht stattgefunden. Und die Tatsache, dass es im Irak seit dem Sturz des Regimes im April 2003 weder Wahrheitskommissionen noch Versöhnungskonferenzen gegeben hat, liegt bis heute wie eine Hypothek auf der irakischen Politik.
Die Amerikaner nahmen nach ihrer Invasion lediglich ein paar Dutzend Spitzenfunktionäre gefangen. Einige Mitglieder der unter Saddam regierenden Baath-Partei wurden von einer Entbaathifizierungs- Kommission der Übergangsregierung aus Führungspositionen entfernt. Die Mehrheit der Folterer und Spione von einst blieb jedoch unbehelligt, sieht man einmal von den vereinzelten Fällen von Selbstjustiz ab, denen vor allem frühere Polizeioffiziere in den Schiiten-Städten zum Opfer gefallen sind.
Graben zwischen Gewinnern und Verlierern
Der Saddam-Prozess wird also zwangsläufig alte Wunden aufreißen. Der Graben zwischen den Gewinnern und Verlierern des Regimewechsels dürfte sich durch das Verfahren noch Ansicht ausländischer Beobachter noch weiter vergrößern, was gerade vor den für Dezember geplanten Parlamentswahlen ungelegen kommt.
Anders sieht das allerdings der irakische Außenminister Hoschiar Sebari. Der kurdische Politiker, dessen Familie im Kampf gegen das Saddam-Regime mehrere Männer verloren hat, glaubt, dass der Ex-Diktator immer noch wie ein böser Geist über Bagdad schwebt. "Es gibt in diesem Land baathistische Kleinkriminelle, die immer noch glauben, Saddam würde eines Tages zurückkommen", sagte er kürzlich. "Ich glaube, wenn er schon früher vor Gericht gestellt worden wäre, hätten wir die Sicherheitslage heute besser im Griff."
Um die im politischen Prozess bisher weitgehend außen vor gebliebenen Sunniten nicht weiter zu radikalisieren sondern endlich einzubinden, dürfte es wichtig sein, dass sich das Sondertribunal auf Fakten stützt und keinen Schauprozess veranstaltet. Auch die US-Regierung, die den Nachkriegs-Irak immer noch als Modell für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit im Nahen Osten anpreist, will jeden Anschein von Siegerjustiz vermeiden. Obwohl US-Soldaten Saddam seit seiner Gefangennahme im Dezember 2003 bewachen, wird die amerikanische Regierung nicht müde zu beteuern, dass es ein rein irakischer Prozess sein wird. Washington leiste bei dem Prozess lediglich technische Hilfe, erklärt Außenamtssprecher Sean McCormack.
Fernsehberichterstattung als Straßenfeger
Sicherlich wird die Fernsehberichterstattung über den Saddam-Prozess im Irak ein Straßenfeger. Vor allem Iraker, die unter dem Ex-Diktator gelitten oder Freunde und Verwandte verloren haben, werden sich den Prozess nicht entgehen lassen. Zu ihnen zählen auch mehrere Mitglieder der heutigen irakischen Regierung sowie mehrere Oppositionspolitiker. Der im Frühjahr abgelöste Ex-Regierungschef, der Schiit Ijad Allawi, gehört dazu. Saddams Agenten hatten einst versucht, ihn im Exil umzubringen.
In der arabischen Welt freuen sich auch einige Gegner des Irak-Krieges auf den Prozess. Denn diese Kritiker der US-Außenpolitik hoffen, dass der Ex-Diktator den Prozess als Forum für Enthüllungen nutzen wird, die für die US-Regierung peinlich werden könnten. Dazu zählt unter anderem die amerikanische Hilfestellung für Saddam im Iran-Irak-Krieg (1980-1988).