Die Revolution begann auf Facebook. Der Tunesier Mohamed Bouazizi, ohne Arbeit, ohne Hoffnung, hatte sich im Januar 2011 öffentlich angezündet. Die Bevölkerung ging landesweit auf die Straße. "Zwölf andere Menschen hatten sich in dieser Zeit schon angezündet, was war bei diesem anders?", fragt Sihem Bensedrine, Chefredakteurin eines tunesischen Radiosenders. Sie erklärt: Erst seien die Leute in der Heimatstadt des Toten auf die Straße gegangen, die Polizei habe mit Gewalt geantwortet. Die Bilder dieser Gewalt - aufgenommen mit wackeligen Handykameras - fanden ihren Weg ins soziale Netzwerk Facebook. Der arabische Sender Al Jazeera übertrug sie im Fernsehen landesweit. In jedem Straßencafé in Tunis seien sie gelaufen, berichtet Bensedrine. Der arabische Frühling nahm seinen Lauf.
Unter der Fragestellung "Global Democracy - A Triumph for Social Networks?" haben sich Bensedrine und Journalisten aus aller Welt zum Sanssouci Colloquium 2011 in Potsdam zusammengefunden. In der Runde soll es um die Rolle der sozialen Netzwerke, während des arabischen Frühlings gehen. Eine Frage geistert dabei durch den Saal in der Orangerie des Schlosses Sanssouci: Wäre die Revolution ohne Facebook möglich gewesen?
"Du kannst eine Information nicht stoppen"
Eine Diktatur kontrolliert das Leben der Menschen - auch im Internet. Wie sollte es also möglich sein, dass sich in der tunesischen Diktatur der Prostet über das Internet organisierte? Über 200 Blogs seien gesperrt gewesen, genau wie Twitter und Youtube, erzählt Sami Ben Gharbia von der Organisation "Global Voices". Diktator Ben Ali habe vor den Protesten einmal versucht, Facebook ebenfalls auszuschalten. Nach zehn Tagen musste er aufgegeben, denn selbst das Establishment protestierte. "Sie wären alle auf die Straße gegangen", sagt Gharbia. Das soziale Netzwerk blieb bestehen und wurde so zur Plattform, um Demonstrationen zu organisieren und Videos auszutauschen.
Facebook hat auch seine Nachteile: Die Nachrichten sind auf Arabisch - für ausländische Journalisten also nicht zu verstehen. Das Material liegt unsortiert vor, ein Archiv gibt es ebenso wenig. An dieser Stelle seien die Blogger ins Spiel gekommen, so Gharbia. Übersetzte Texte und Videos mit Untertiteln seien über Mailkontakte, Twitter und andere Kanäle weitergeleitet worden. "Du kannst eine Website blockieren, aber eine Information kannst du nicht stoppen", sagt Gharbia. Das Fazit des Tunesiers: Die sozialen Netzwerke seien Werkzeuge für eine schnelle Revolution. "Facebook hat die Revolution nicht erzeugt, aber es hat sie möglich gemacht hat", sagt Chefredakteurin Bensedrine.
Doch das Netz beförderte die Revolution auch auf andere Weise: Durch die geheimen US-Depeschen, von Wikileaks veröffentlicht, sei das Ausmaß der Korruption in der tunesischen Oberschicht ans Licht gekommen, so Gharbia. In andere Weise habe eine Attacke auf die Regierungswebsites der Netzbewegung Anonymous geholfen: "Anonymous war so sexy, dass die ganzen internationalen Medien wieder über die tunesische Revolution berichtet haben."
Der Feind hört mit
Was sich wie ein modernes Revolutionsmärchen anhört, hat jedoch auch seine Schattenseiten. Der Blogger Gharbia weiß: "Es gibt viele falsche Informationen im Netz." Sogar die Accounts von Aktivisten seien gehackt worden. Christopher Walker von der Organisation "Freedom House" prangert dabei auch den Westen an: "Sie haben Programme an die Regime verkauft, um Leute im Internet zu identifizieren oder Handys zu orten."
Das Web-Engagement geht derweil auch nach der Revolution weiter. So arbeite eine Gruppe von Bloggern "kollaborativ" an einer Verfassung, erzählt Gharbia. Neue Impulse gibt es auch auf dem Colloquium in Potsdam. Asiem El Difraoui vom deutschen Institut für Politik und Sicherheit schlägt etwa vor, Mikrokredite über das Internet zu verteilen und Lernhefte zum Downloaden. Und wie bei der Revolution gilt: Facebook ist nur das Werkzeug, es liegt an den Menschen etwas daraus zu machen.