Das irakische Volk geht bis an die Zähne bewaffnet in die Nachkriegszeit. Wer nicht schon vom Regime Saddam Husseins für die Verteidigung mit Gewehr und Pistole ausgestattet wurde, konnte sich bei den tagelangen Plünderungen im ganzen Land eindecken. Es droht ein langfristiges Sicherheitsproblem, nachdem das US-Militär die irakischen Truppen vertrieben, das Machtvakuum zunächst aber nicht ausgefüllt hat.
Nach dem Zusammenbruch von Militär und Polizei standen die Türen zu den Munitionsbunkern und Waffenlagern schnell offen. Tagelang schleppten die Menschen weg, was sie tragen konnten. Selbst Kinder und Jugendliche waren in Bagdad mit Patronengurten und Gewehren zu sehen, die sie nach Hause schleppten.
Panzerfäuste und Granaten am Straßenrand
Oft muss nicht einmal lange gesucht werden. In verlassenen Schützengräben liegen Gewehre. Auf Panzern ohne Besatzung waren noch vor wenigen Tagen Maschinengewehre montiert, wie in Vororten Bagdads zu sehen war. Panzerfäuste und Granaten lagen am Straßenrand.
So beschert die Niederlage dem Irak ein Volk unter Waffen. Sind Hunderttausende oder Millionen Stück Kriegsgerät verschwunden? Der irakische Polizeimajor Alla Hussein, einer der ersten Beamten in der neuen Sicherheitstruppe des Landes, weiß es auch nicht. «Es ist eine riesige Zahl», sagt er aber.
Die irakische Armee hatte mindestens 350 000 aktive Soldaten. Allein die Republikanische Garde, Saddam Husseins Elitetruppe, hatte mindestens 26 000 Mann. Dazu kamen verschiedene paramilitärische Einheiten, wie die Miliz der bis zum Fall des Regimes regierenden Baath-Partei und Gruppen von Freiwilligen-Kämpfern. Die Zahl der Reservisten wurde auf 650 000 geschätzt.
«Wer nicht abliefert, der wird bestraft»
In einem neuen Rundfunksender laufen jetzt Aufrufe, die gestohlenen Waffen wieder abzugeben. «Wer nicht abliefert, der wird bestraft. Wer die Waffen benutzt, wird noch härter bestraft», warnt der Polizeimajor. Patrouillen der Polizei, von denen inzwischen in Bagdad 40 unterwegs seien, könnten angesprochen werden. «Viele werden die Waffen zurückgeben, weil sie in der Zeit der neuen Freiheit nicht gebraucht werden», sagt er.
Doch die ersten Tage nach dem Sturz des Regimes lassen diese Erwartung in einem zweifelhaften Licht erscheinen. Tatsächlich schien eine Waffe eine Versicherung, die einzige zumal, für das eigene Hab und Gut zu sein. Und nach der kriminellen Anarchie könnte dem Irak eine Phase politischer und ethnischer Spannungen drohen.
Rückzug der US-Armee gefordert
Der irakische Schiitenführer Ajatollah Mohammed Bakir el Hakim hält einen Bürgerkrieg für möglich. «Die derzeitigen Umstände sprechen dafür. Es wird viel von der (amerikanisch-britischen) Koalition abhängen», sagte er in einem Interview. Hakim, der in Teheran den Hohen Rat für die Islamische Revolution im Irak (SCIRI) leitet, forderte erneut den Rückzug der US-Armee aus dem Irak.
«Hauptsache ist, dass die Bürger die Sicherheit fühlen», ist Polizeimajor Hussein überzeugt. Die Gefahr eines Bürgerkriegs sei nicht allzu groß, hofft er. «Sicher, es gibt Probleme. Aber das irakische Volk ist gut und wird die direkte Konfrontation meiden.»