Land in Schockstarre Attentat auf Robert Fico: Warum die Slowakei ein Gewaltproblem hat

  • von Steffen Neumann
Fico-Attentäter spricht in Videoaufnahme über sein Motiv (Video)
Nach dem Mordanschlag auf Robert Fico soll der Gesundheitszustand des Politikers wieder stabil sein. Zeitgleich ist ein Video von dem Attentäter kurz nach der Tat aufgetaucht, in dem er sein Motiv darlegt.
Sehen Sie im Video: Attentäter spricht in Video über sein Motiv – slowakischer Ministerpräsident Fico nach OP wieder stabil.
Videoquelle: n-tv.de
Die Slowakei versucht mit dem Attentat auf Premier Fico zurechtzukommen. Die Lage ist angespannt – und Beobachter warnen: Auf das Land könnten noch dramatische Tage zukommen.

Am Morgen nach dem Attentat auf den slowakischen Premierminister Robert Fico war es an Miriam Lapuníková, ein wenig Hoffnung zu verbreiten. "Der Zustand des Patienten ist nach fünf Stunden Operation stabilisiert, aber weiter ernst", sagte die Chefin des Universitätskrankenhauses F.D. Roosevelt im zentralslowakischen Banská Bystrica. 

Die Einschätzung klang zugleich wie eine Zustandsbeschreibung des ganzen Landes. "Ich bin geschockt. Diese Tat gehört nicht in eine zivilisierte Gesellschaft", sagte der Psychologe Dušan Ondrušek der Tageszeitung "Denník N." Den Zweifel, ob die Slowakei Teil der Zivilisation ist, äußerten auch andere Kommentatoren. Das Land, das sich stolz zu Mitteleuropa zählt, gibt nicht zum ersten Mal das Bild eines Staates ab, in dem unliebsame Gegner beiseitegeschafft werden und das Gesetz der Straße herrscht. Sich häufende Angriffe auf Politiker sind auch in anderen Ländern traurige Realität – in der Slowakei ist nun mit dem Attentat auf den amtierenden Regierungschef ein trauriger Höhepunkt erreicht.

Tief gespaltene Gesellschaft in der Slowakei

"Das Attentat ereignete sich kurz nach zwei Wahlkämpfen, die mit bisher nie da gewesener Härte geführt wurden", analysiert der tschechische Publizist Martin Ehl. Im Herbst fanden in der Slowakei Parlamentswahlen statt, in deren Ergebnis Robert Fico zum vierten Mal Premierminister werden konnte. Im März und April folgten die Präsidentschaftswahlen, die der gemäßigte Sozialdemokrat und langjährige Weggefährte Ficos, Peter Pellegrini, für sich entschied.

Beide Wahlen gingen denkbar knapp aus. Und beide Wahlen zeigten eine tief gespaltene Gesellschaft. Schlagzeilen machte die Prügelei zweier Spitzenpolitiker – des Ex-Premiers Igor Matovič mit dem heutigen Verteidigungsminister Robert Kaliňák, nachdem Matovič eine Wahlveranstaltung der Fico-Partei Smer lautstark gestört hatte. Grobe Anfeindungen, die regelmäßig unter die Gürtellinie gingen, bestimmten den Wahlkampf. Robert Fico teilte selbst aus und nannte die noch amtierende Präsidentin Zuzana Čaputová wegen ihrer Ukraine-Unterstützung eine "amerikanische Hure". Dazu kommt, dass Fico seit Jahrzehnten die Politik polarisiert.

Doch das Gewaltproblem hat die Slowakei nicht erst seit den letzten Wahlen. Vor sechs Jahren erschoss ein mutmaßlicher Auftragsmörder den Journalisten Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová. In den polizeilichen Ermittlungen wurde ein Sumpf aus Korruption und Verbindungen zur italienischen Mafia aufgedeckt. Eine Verbindung zu der damals regierenden Smer-Partei mit Robert Fico an der Spitze konnte nie nachgewiesen werden. Für die danach aufflammenden Massendemonstrationen war der Zusammenhang trotzdem klar. Fico und sein umstrittener Innenminister Kaliňák boten kurze Zeit nach dem Attentat ihren Rücktritt an. Mit den Demonstrationen verbunden war der Aufstieg der Präsidentin Čaputová. Bei den nächsten Parlamentswahlen siegte die Opposition auf ganzer Linie.

"Krieg gegen die liberalen Medien"

Während der Journalistenmord eindeutig der Opposition half, ist die Situation heute anders. "Politisch schadet das Attentat allen", sagt der Soziologe Václav Hřích, der zugleich nicht an eine Beruhigung der Situation glaubt. "Wir werden noch weitere überreizte und emotionale Reaktionen von Politikern erleben", sagt Hřích voraus. 

Dabei hatte die Mehrheit der Politiker, allen voran Noch-Präsidentin Čaputová, zu einer Beruhigung aufgerufen. Doch vornehmlich Regierungspolitiker wie der Vizechef der Fico-Partei Smer, Lúboš Blaha, gossen noch am Tag des Attentats Öl ins Feuer und riefen einen "Krieg gegen die liberalen Medien" aus. Blaha gab ihnen und der Opposition die Schuld an dem Attentat. "Ihr habt Fico den Galgen aufgestellt", so Blaha in drastischen Worten.

Dabei bleibt das Motiv des Attentäters Juraj Cintula weiter unklar. Bereits am Mittwoch war bekannt geworden, dass der 71-jährige ehemalige Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes ein Gegner Ficos und seiner Regierung ist. In einem auf Twitter geteilten Video gab er die Regierungspolitik als Motivation für seine Tat an. Inzwischen ist bekannt geworden, dass Cintula auch schon bei anderen Besuchen von Fico in der Provinz anwesend war. Zu den Vorwürfen Blahas an die liberale Opposition und die Medien passt allerdings nicht, dass sich Cintula selbst als linker Nationalist sieht und damit dem gleichen Lager zuordnet wie Robert Fico. Außerdem gründete der Hobby-Dichter 2016 ein "Bündnis gegen Gewalt". Cintula drohen 25 Jahre Gefängnis bis lebenslänglich.

Während die Oppositionsparteien alle geplanten Aktionen im Europa-Wahlkampf sowie Protestveranstaltungen gegen die geplante Verstaatlichung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgesagt haben, deuten Aussagen von Regierungsvertretern an, dass künftig noch schärfer gegen Medien vorgegangen werde soll. "Wir müssen nun keine Rücksicht mehr nehmen", kündigte der Parlamentsvize und Rechtsaußen Andrej Danko an.

Was sich ganz sicher ändern wird, sind die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz von Politikern. So wurde der Einsatz der Personenschützer von Robert Fico bereits als teils chaotisch und unprofessionell kritisiert.