Der links-nationale Politiker Robert Fico, der seit Oktober zum vierten Mal Regierungschef der Slowakei ist, wurde bei einem Angriff am Mittwoch lebensgefährlich verletzt. Ein Rettungshubschrauber brachte ihn in ein Krankenhaus in Banska Bystrica, wo er in den Abendstunden operiert wurde.
Was genau ist passiert?
Fico war um etwa 14.30 Uhr von einem Attentäter angeschossen worden, als er sich nach einer Kabinettssitzung im Kulturhaus der Kleinstadt Handlova ins Freie begab, um wartende Anhänger zu begrüßen. Das Lokalfernsehen RTV Prievidza veröffentlichte ein Video vom Tathergang: Zu sehen ist, wie sich ein Mann an den Zaun drängt und aus unmittelbarer Nähe auf den Ministerpräsidenten schießt. Nach Augenzeugenberichten soll der Täter den Politiker laut zu sich gerufen und dann aus unmittelbarer Nähe fünf Schüsse auf ihn abgegeben haben. Der Regierungschef habe ein sogenanntes "Polytrauma", also mehrere schwere Verletzungen erlitten, teilte der Innenminister den Medien mit.
Nach den Schüssen haben Augenzeugen von den dramatischen Szenen vor Ort berichtet. "Kurz bevor ich ihm die Hand geben wollte, habe ich vier Schüsse gehört. Robert fiel auf den Boden", sagte ein Mann auf dem Platz vor dem Haus der Kultur in Handlova im öffentlich-rechtlichen Sender RTVS. Dort hatte zuvor eine Kabinettssitzung stattgefunden. Er stehe unter Schock. "Das ist etwas Schreckliches, das waren Schüsse von hinten", fügte er hinzu. Über den Schützen sagte eine Frau dem Sender: "Der Mann stand dort von Anfang an. (...) Er hat nur noch gewartet."
Wie die Polizei mitteilte, sei der Angreifer festgenommen worden.
Wie geht es Slowakeis Regierungschef Robert Fico?
Innenminister Matus Sutaj Estok und Verteidigungsminister Robert Kalinak, der auch stellvertretender Regierungschef ist, hatten am Mittwochabend direkt in der Klinik verkündet, Ficos Zustand sei lebensbedrohlich und "außerordentlich ernst". Am frühen Donnerstagmorgen berichteten slowakische Medien, Fico habe nach der Operation wieder das Bewusstsein erlangt. Allerdings nannten weder der Fernsehsender TA3 noch die Zeitung "Dennik" Details zum Gesundheitszustand des Regierungschefs. Vize-Ministerpräsident Tomas Taraba sagte der BBC, Fico sei derzeit außer Lebensgefahr: "Ich denke, dass er am Ende überleben wird."
Fico wurde nach dem Attentat per Hubschrauber in die Stadt Banska Bystrica geflogen, da der Weg in die Hauptstadt Bratislava angesichts seiner lebensgefährlichen Verletzungen zu lange gedauert hätte. Die Schüsse hätten den Ministerpräsidenten am Unterleib getroffen. Eine Sprecherin eines Krankenhauses in der Stadt schrieb der Nachrichtenagentur Reuters per E-Mail, Fico sei bei der Einlieferung ansprechbar gewesen.
Populist und Russland-Freund: Wer ist Robert Fico?

Wie fallen die Reaktionen nach dem Angriff aus?
Nach Bekanntwerden des Attentats machte sich in den europäischen Hauptstädten Bestürzung breit.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich "erschüttert" von den Schüssen auf den slowakischen Regierungschef. Scholz sprach auf X von einem "feigen Attentat". Gewalt dürfe "keinen Platz haben in der europäischen Politik". Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte: "Wir verurteilen diesen Akt der Gewalt gegen den Regierungschef unseres benachbarten Partnerstaates aufs Schärfste". Auch Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni sprach von einem "feigen Attentat". "Ich verurteile auf das Schärfste alle Formen von Gewalt und Angriffe auf die Grundprinzipien der Demokratie und der Freiheit", betonte sie. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban äußerte sich "zutiefst schockiert über den Angriff auf meinen Freund" Fico.
Auch in Brüssel fielen die Reaktionen entsetzt aus. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen verurteilte den "abscheulichen Angriff". "Solche Gewalttaten haben keinen Platz in unserer Gesellschaft und untergraben die Demokratie, unser höchstes gemeinsames Gut", schrieb sie im Onlinedienst X . "Nichts kann jemals Gewalt oder derartige Angriffe rechtfertigen", erklärte auch EU-Ratspräsident Charles Michel. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich "schockiert und entsetzt".
Vom Weißen Haus bis zum Kreml war die Anteilnahme groß. US-Präsident Joe Biden verurteilte die Schüsse auf den slowakischen Regierungschef als "schreckliche Gewalttat". Er und seine Frau Jill beteten für Ficos rasche Genesung, schrieb Biden in einer vom Weißen Haus veröffentlichten Mitteilung. "Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk", hieß es weiter. Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnete den Angriff als "abscheuliches Verbrechen". "Ich kenne Robert Fico als mutigen und willensstarken Mann. Ich hoffe sehr, dass diese Eigenschaften ihm helfen, diese schwierige Situation zu überstehen", teilte er in einer vom Kreml veröffentlichten Erklärung mit.
War das Attentat politisch motiviert?
Nach Einschätzung der slowakischen Regierung hatte das Attentat auf Fico ein "politisches Motiv". Darauf deuteten die vorläufigen Ermittlungen hin, wie Innenminister Matus Sutaj Estok am späten Abend vor Journalisten in der Klinik in Banska Bystrica mitteilte. Der Minister sprach wörtlich von "einem klaren politischen Motiv" hinter dem Attentat in der Stadt Handlova. "Daran gibt es keinen Zweifel", ergänzte Verteidigungsminister Robert Kalinak.
Fico selbst hatte erst vor wenigen Tagen der liberalen Opposition vorgeworfen, ein Klima der Feindschaft gegen seine Regierung zu schüren. Es sei nicht auszuschließen, dass es angesichts der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer Gewalttat komme. Der Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen Linkspartei Smer-SSD ist seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich wie kaum ein anderer.
In Europa ist Fico wegen seiner oft überspitzten Formulierungen zur Ukraine- und Russland-Politik der EU umstritten. Im Wahlkampf für die Parlamentswahl im Herbst 2023, die er gewann, ließ er mit der Ankündigung aufhorchen, er wolle "keine Patrone" mehr an Waffen an die Ukraine liefern. Tatsächlich aber hat die Slowakei seit Ficos Rückkehr an die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt – einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine und Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU – nicht aber zur Nato.
Zuletzt sorgte der Ministerpräsident mit kontroversen Veränderungen im Land für Massenproteste. So beschloss seine Regierung eine viel kritisierte Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die nach Angaben von Journalistenverbänden und Oppositionsvertretern die Pressefreiheit untergräbt. Bei einer Pressekonferenz nach den Schüssen griff der Abgeordnete Lubos Blaha von Ficos Smer-Partei die Kritiker des Regierungschefs an: "Sie, die liberalen Medien, und progressive Politiker, sind Schuld. Robert Fico kämpft wegen eures Hasses um sein Leben", sagte Blaha.
Wofür steht Slowakeis Ministerpräsident politisch?
Fico prägt seit knapp zwei Jahrzehnten die Politik in der Slowakei. In vier Amtszeiten als Regierungschef hat er sich bei einem großen Teil der slowakischen Bevölkerung beliebt gemacht, etwa mit der Ablehnung harter Sparmaßnahmen während der Finanzkrise ab 2008. Mit seinem harten Kurs beim Thema Migration und der Annäherung seines Landes an das Russland Wladimir Putins hat er weit über die Slowakei Aufsehen erregt.
Nach dem Wahlsieg seiner Partei Smer-SD im vergangenen September war Fico erneut Regierungschef des Lands mit rund 5,4 Millionen Einwohnern geworden. In einer Koalition mit Rechtsaußen-Parteien setzte der Populist den Kurswechsel in der Außenpolitik um, den er im Wahlkampf versprochen hatte: Die Slowakei, Mitglied in der EU und der Nato und bis dahin entschiedene Unterstützerin der Ukraine, unterbrach die Waffenlieferungen an das von Russland angegriffene Nachbarland. Die Regierung in Kiew rief der 59-Jährige unter anderem dazu auf, Gebiete an Russland abzutreten.
Fico begann seine politische Karriere bei der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, kurz bevor die Samtene Revolution das System zu Fall brachte. 1999 – sechs Jahre nach der Aufspaltung des Lands in Tschechien und die Slowakei – verließ Fico die linke Partei SDL, die in Bratislava das Erbe der Kommunisten angetreten hatte. Er gründete die sozialdemokratische Smer-SD (Smer bedeutet Richtung).
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